Inklusion: "Ab sechs Kindern pro Klasse kippt es"

Die Bremer Schulbehörde will die Anzahl geistig behinderter Kinder in einigen Inklusionsklassen aufstocken. Kann Inklusion dann noch funktionieren?

Gemeinsam Lernen: In Bremen sollen Inklusionsklassen größer werden, als bisher bekannt. Bild: dpa

BREMEN taz | Wenn im August Bremens Erstklässler eingeschult werden, werden an den Inklusionsgrundschulen mehr geistig behinderte Kinder sein, als bisher bekannt. Eltern und LehrerInnen gingen davon aus, dass 17 Erstklässler ohne und fünf mit „Förderbedarf im Bereich Wahrnehmung und Entwicklung“ unterrichtet werden. So sieht es eine Richtlinie der Bildungsbehörde vor, die im Dezember veröffentlicht wurde.

Jetzt ist durchgesickert, dass die Bremer Schulbehörde vier von zehn Schulen je ein behindertes Kind mehr pro Inklusionsklasse zugewiesen hat – das erlaubt dieselbe Richtlinie im Ausnahmefall. Wahrscheinlich werden weitere Schulen folgen.

„Mit fünf Kindern ist Inklusion noch möglich“, sagt eine Lehrkraft an einer Inklusionsgrundschule. Sie bittet um Anonymität, um sich und ihre Schule zu schützen. Bei sechs behinderten Kindern kippe das Verhältnis, ab dem Unterricht möglich sei. Die Kinder kämen mit verschiedenen Förderbedarfen, von einer leichten geistigen Behinderung bis hin zu einer schweren mit körperlichen Behinderungen, einige seien autistisch. „Eins muss gewickelt werden, eins läuft weg, eins klettert auf Schränke, eins schreit vor Frust“, schildert die Lehrkraft. Passiere das alles auf einmal, müsse man mit den Kindern den Raum verlassen. „Das hat mit Inklusion nichts zu tun.“

Es gibt bereits Klassen mit sechs behinderten Kindern, weil diese schon vor der Inklusion als kleine Gruppe zusammen unterrichtet wurden. Anhand dieser Klassen zeige sich, dass die Grenze bei fünf Kindern überschritten werde. Einige brächten noch eigene AssistentInnen mit, zusätzlich zu den drei Regelkräften pro Klasse. „Dann haben Sie vier, fünf oder mehr Erwachsene im Raum, das macht die Gruppe unruhig“, sagt die Lehrkraft.

Ungewohnte Situation

Bei den neuen Klassen käme erschwerend hinzu, dass es sich um Erstklässler handle. „Die müssen sich an die neue Situation gewöhnen“, sagt die Lehrkraft. Sie vermutet, dass es unmöglich sein werde, alle von Anfang an einen Schultag hindurch zu unterrichten. „Es ist verboten, aber bereits jetzt werden Eltern gebeten, ihre Kinder zu Hause zu behalten, wenn Lehrkräfte oder Assistenten krank sind.“

Außerdem stelle sich oft erst später heraus, dass die Kinder einen Förderbedarf haben. Oder ein Kind ist nach einem Unfall behindert oder es zieht eins hinzu. Je nach Stadtteil kämen verhaltensauffällige SchülerInnen hinzu. „Ich weiß nicht, wie so noch Inklusion funktionieren soll“, sagt sie. Wenn Bremen seiner Vorreiterrolle gerecht werden wolle, dürfe es nicht auf halber Strecke Halt machen, weil das Geld ausgegangen sei. „So laufen die Eltern der Regelkinder den Schulen weg, weil sie fürchten, ihr Kind kommt bei so vielen Behinderten nicht mehr auf seine Kosten“, sagt die Lehrkraft.

Elternvertreter von drei der betroffenen Schulen haben sich bereits mit einem offenen Brief an die Bremer Bildungssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) gewandt. Die will sich Donnerstag äußern. Ihre Sprecherin sagte am Montag, sie könne nicht ausschließen, dass weitere Klassen aufgestockt werden. Neue Klassen könne man an anderen Grundschulen so kurzfristig nicht mehr eröffnen. Es sei allerdings seit Februar sei bekannt, dass 2014 bei mehr Kindern ein Entwicklungsförderbedarf festgestellt wurde, sagte Petra Kettler von der Arbeitsgemeinschaft Bildung bei den Bremer Grünen.

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