Installationen: Braunschweig leuchtet

Schwebende Sozialbauten, der Laich eines Monsterlurchs und ein verspiegelter Eisberg: Zum ersten Mal leuchtete im Expojahr 2000 Kunst aus Braunschweigs Uferböschungen. Jetzt macht der inzwischen dritte "Lichtparcours" niedersächsische Fußgänger wieder zu nächtlichen Flaneuren.

Heben sich ab von der Munterkeit der restlichen Werke: Jan Köchermanns "Siedlungen" schweben über der Okerumflut. Bild: Annedore Beelte

Die Frösche quaken, was ihre frühsommerlichen Hormonschübe hergeben. Der Wind weht das Tröten der Vuvuzelas herüber, in der Ferne rast ein Krankenwagen vorbei. Über allem klingt das Läuten der Braunschweiger Kirchenglocken, wie man sie in natura niemals im Konzert hören könnte.

Rainer Gottemeier hat Braunschweig im Miniaturformat abgebildet, als Klangteppich und Lichtcollage. Die Frösche, der Krankenwagen, die WM - das ist die Realität. Leuchtstäbe, Signallichter, schwimmende Kugelfender - das ist ein verwunschenes, irrlichterndes, aber, wie der Künstler sagt, maßstabsgetreues Abbild von Braunschweig, das nachts über den Portikusteich im Bürgerpark leuchtet.

Darüber scheint der Schriftzug mit dem pragmatischen Motto des Braunschweiger Lokaldichters Wilhelm Raabe: "Sieh nach den Sternen, gib acht auf die Gassen." Dieses Leitmotiv könnte über dem ganzen Lichtparcours stehen, der in diesem Sommer nächtliche Flaneure in die Parks an der Okerumflut locken soll wie das sprichwörtliche Licht die Motten.

Im Expojahr 2000 leuchtete erstmals Kunst aus Uferböschungen und Teichen, und das blieb in Braunschweig unvergessen. Nun gibt es nach 2004 eine dritte Neuauflage des Projektes. Wirtschaftskrise war gestern an der Oker - der Eindruck entsteht angesichts der Liste der Sponsoren, die die städtische Kulturbehörde zusammengetrommelt hat. Sieben Künstler waren eingeladen, einen Ort ihrer Wahl mit einer temporären Lichtinstallation zu verwandeln. Dazu kommen zwei seit 2008 bereits fest installierte Arbeiten.

Braunschweigs Stadtgrundriss bietet sich wie wenige andere für ein solches Projekt an. Um 1800 wurden die Befestigungsanlagen geschleift. Stattdessen entstanden rund um die Stadt Parks, Promenaden und Villen mit Gärten, die sich bis zum Ufer der Umflutgräben erstreckten: Denkmale einer bürgerlichen Freizeitkultur des Sehens und Gesehenwerdens. Die Oker wurde in Rohren unter der Innenstadt entlanggeleitet, und bis heute umgibt der paddelfreundlich geschlossene Ring der Okerumflut die Innenstadt.

Die Braunschweiger integrieren die Kunst sehr entspannt: Junge Frauen picknicken gleich neben Susanne Rottenbachers pinkem Farbring. Laut Kulturinstitutsleiterin Bianca Winter haben Liebespaare die LED-Skulptur bereits als Sitzplatz entdeckt, der ein Mindestmaß an Körperkontakt erfordert. Ein älteres muslimisches Paar auf einer Bank lässt sich nicht von den Kunstbetrachtern stören. BMX-Biker bremsen scharf, und Hollandradfahrer halten kurz an. Er legt den Arm um sie, sie macht ein Foto mit dem Handy.

Kunst für alle also? Jein. Um in den vollen Genuss von Jan Köchermanns Installation "Siedlungen" zu kommen, ohne die unbeleuchtete Uferböschung hinunterzukraxeln, muss man schon eine Bootstour buchen. Christiane Stegat hat sich dieser touristischen Logik entzogen, indem sie ihre Installation "Spawn" trotzig aus der Rückfront einer Schule in einen morastigen Seitenarm der Okerumflut quellen lässt, den kein Ausflugsboot je erreicht. Der aus tausend Leuchtkugeln bestehende Laich eines imaginären Monsterlurches passt denn auch wunderbar zu dieser Kehrseite der Innenstadt.

Die Leuchtkugeln sind ein Massenprodukt aus China. Als der Schiffstransfer längst organisiert war, berichtet Bianca Winter, ging dort die Stanzform kaputt, und statt tausend konnten nur 840 Kugeln auf die Reise gehen. Der Rest musste per Luftfracht nachkommen.

Der Lichtparcours macht nur halb so viel Spaß ohne diese Geschichten. Zum Beispiel die von der einzigen Tischlerei der Republik, die sich zutraute, Arend Zwickers monumentale Konstruktion eines verspiegelten Eisbergs zu realisieren. Oder von der Plattform, die mittels Riesendübeln im Morast eines Teiches verankert wurde, bevor Jan Köchermann sein Lampion-Abbild eines Braunschweiger Sozialbaus darauf errichtete.

Köchermanns "Siedlungen" heben sich ab von der Munterkeit der restlichen Werke, die so sinnlich überwältigend und technisch eindrucksvoll wie komplett schmerzfrei sind. Statt Kultur in die Ghettos zu bringen, bringt er lieber die Ghettos im Miniaturformat zum Kulturpublikum. Wenn Plattenbauten könnten, würden sie fliegen, ist er überzeugt und lässt sie über der Oker schweben. Diese "Unorte", wie sie das Begleitheft bezeichnet, sind das Zuhause zahlreicher Braunschweiger. Über ihre skurrile Hässlichkeit dürfen Ästheten hier staunen.

Bis 30. September

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