Institutionelle Krise in Brasilien: Im Sumpf der Korruption

Ein Showdown zwischen Parlament und Justiz fordert die Regierung in Brasilien heraus. Senatspräsident Renan Calheiros darf seinen Posten behalten.

Demonstrantinnen mit Brasilien-Flagge stehen auf der Straße, im Hintergrund stehen Einsatztruppen

Die Regierung in Brasilien verliert wegen ihrer Politikwende den Rückhalt in der Bevölkerung Foto: dpa

RIO DE JANEIRO taz | Präsident Michel Temer kann aufatmen. Mit sechs zu drei Stimmen entschied Brasiliens Oberstes Gericht am Mittwoch, dass sein Vertrauter, Renan Calheiros, den einflussreichen Posten des Senatspräsidenten behalten darf.

Zwei Tage zuvor hatte ein einzelner oberster Richter in einer vorläufigen Entscheidung Calheiros seines Amtes enthoben. Die neue Regierung geriet dadurch ernsthaft ins Straucheln. Zudem eröffnete die überraschende Entscheidung eine neues Kapitel in der endlosen Polit-Soap Brasiliens: Der offene Schlagabtausch zwischen den Staatsgewalten, Kongress und Justiz.

Am Donnerstag leitete der halbwegs rehabilitierte Calheiros gleich die erste Senatsdebatte über das derzeit umstrittenste Gesetzesprojekt – die Bestrafung von Richtern und anderen Autoritäten, wenn sie willkürlich ihre Macht missbrauchen.

Die Initiative gilt als Warnschuss von Calheiros an die Justiz und insbesondere an die Ermittler im riesigen Korruptionsprozess um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, die die Schlinge um zahlreiche ranghohe Politiker und auch Minister des Temer-Kabinetts immer enger ziehen.

Neue Enthüllungen betreffen bis zu 200 Politiker

Bisher wurden vor allem Manager von Petrobras und den Bauunternehmen zu hohen Haftstrafen verurteilt, weil sie überteuerte Aufträge erhielten und mit dem Extragewinn korrupte Politiker und politische Parteien aller Couleur mit Millionenbeträgen schmierten.

Doch nun hat sich Lateinamerikas größter Bauriese Odebrecht auf Kronzeugenaussagen von über 70 ehemaligen und heutigen Managern geeinigt. Bis zu 200 Politiker könnten laut Presseberichten durch die neuen Enthüllungen nun an den Pranger gestellt werden.

Calheiros, wie Temer Mitglied der Wendehalspartei PMDB, ist einer von ihnen. Zumal bereits ganze zwölf Ermittlungsverfahren gegen den Senatspräsidenten laufen, die meisten im Zusammenhang mit der Petrobras-Affäre.

Calheiros’ Abgang hätte die Kürzungspolitik der neuen Regierung gefährdet

In einem weniger spektakulären Korruptionsfall aus dem Jahr 2005 eröffnete das Oberste Gericht vergangene Woche den Prozess gegen Calheiros. Dies war auch der Grund für die Absetzungsentscheidung, da er als dritthöchster Repräsentant des Staates und damit potentieller Nachfolger des Präsidenten nicht auf der Anklagebank sitzen darf.

Doch Calheiros, ein geübter Strippenzieher, der schon unter linken wie rechten Regierungen stets seine Machtpfründe wahrte, setzte auf Konfrontation. Er weigerte sich 48 Stunden lang, seiner vorläufigen Absetzung Folge zu leisten, was Befürchtungen einer ernsthaften institutionellen Krise in Brasilien auslöste.

Die Regierung verliert an Rückhalt

Wäre Calheiros abgesetzt worden, hätte Jorge Vianna von der jetzt oppositionellen Arbeiterpartei PT den Senatsvorsitz übernommen – eine Schreckensvision für Temer, der bis vor Kurzem noch Vizepräsident unter PT-Präsidentin Dilma Rousseff war und sich seit Mitte des Jahres erfolgreich an Intrigen beteiligt, die Politikerin aus dem Amt zu drängen.

Vor allem die geplante Sparpolitik der neuen Regierung wäre gefährdet. Derzeit debattiert der Senat ein Gesetzespaket, mit dem die öffentlichen Ausgaben für die nächsten 20 Jahre eingefroren werden sollen.

Auch eine radikale Rentenreform soll auf den Weg gebracht werden. Doch die Regierung verliert an Rückhalt. Ende November verlor Temer bereits seinen sechsten Minister wegen Verstrickung in Korruptionsskandale.

Angesichts zunehmender Arbeitslosigkeit und einer Wirtschaftskrise ohne Ende nimmt der Protest gegen die rechtsliberale Politikwende unter Temer zu. Doch auf den Straßen dominiert das Thema Korruption: Zehntausende demonstrierten am vergangenen Sonntag gegen korrupte Politiker und gegen die Verwässerung eines Antikorruptionsgesetzes im Parlament.

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