Integration und bürokratische Hürden: Land unter: Servus Bayern?

Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer*innen in Bayern fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. In München sprach taz.meinland mit Betroffenen.

Volles Haus: An der Berufsintegration von Geflüchteten in Bayern muss sich was ändern. Eine Diskussionsrunde mit vielen Fragen und Ansätzen Bild: Torben Becker

von PAUL TOETZKE

Das Bellevue di Monaco im Stadtzentrum von München sticht sofort heraus. Umgeben von Designerläden, schicken Cafes und Unternehmensberatungen versprüht das Kulturzentrum für unbegleitete Flüchtlinge einen angenehm alternativen Flair. Ein paar Graffitis prangen an der Außenwand, im Hof sitzt man auf bunten Paletten. Im Innenraum lernen zwei Geflüchtete gerade wie die Audiotechnik funktioniert.

Das Bellevue di Monaco ist bekannt für sein Flüchtlingsangebot, die Vielzahl der Beratungen und seinen Aktivismus. Ein perfekter Ort also für die taz.meinland-Veranstaltung „Bayern – ein verlorenes Land?“, bei der es um die rechtlichen und politischen Hürden für Flüchtlingshelfer*innen gehen soll. Trotz des sommerlichen Wetters ist der Saal fast voll, knapp 80 Menschen sind gekommen.

Am Runden Tisch sitzen neben dem Moderatoren und taz.meinland-Redakteur Volkan Ağar: Johannes Tiebel (Schreinermeister beim Holzkollektiv), Hubert Schöffmann (Bayerische Industrie- und Handelskammer), Angela Bauer (Vorstand Heilpädagogisch-psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfe e.V.), Karen Majewski (Paritätischer Wohlfahrtsverband), Stephan Dünnwald (Bayerischer Flüchtlingsrat).

Großes Integrations-Hindernis: Fehlende Arbeitsgenehmigungen

Im Vorhinein war klar, dass sich die Gäste am Runden Tisch wohl mehr oder weniger einig sein würden. Denn der eigentliche „Gegner“, die Landesregierung, war an diesem Abend nicht vertreten.

"Natürlich hat es Auswirkungen auf das Lebensgefühl [...], wenn nachts die Polizei einzelne Menschen aus dem Heim holt."

Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat gibt zunächst einen Überblick über die Situation. Seit 2015 habe sich die Lage stark verändert, sagt er. Viele Geflüchtete, die damals zwar keinen Erfolg im Asylverfahren hatten, konnten wenigstens einen Aufenthaltstitel bekommen. „Jetzt verschließen wir den Weg zur Arbeit wieder. Wir setzen auf Abschiebung statt auf Integration.“

Keine Arbeitsgenehmigungen – das ist für die meisten hier am Tisch das größte Hindernis. Denn der Wille sowie freie Arbeitsstellen sind da. Johannes Tiebel vom Holzkollektiv kann davon ein Lied singen. Er versucht seit längerer Zeit eine Arbeitsgenehmigung für einen Senegalesen zu bekommen, der am 1. September mit der Ausbildung beginnen soll. Doch bisher gibt es keine Antwort. „In der Ausländerbehörde haben sie nur gesagt: ‚Senegal? Keine Chance.’ Wie kann das sein?“

Inzwischen bekommt er rechtliche Hilfe. Trotzdem wissen beide nicht, was passieren wird. Tiebel wirkt verzweifelt, er will alles dafür tun, den jungen Mann als Azubi zu gewinnen. „Wir hatten zwei Geflüchtet aus Afghanistan. Beide haben die Ausbildung abgeschlossen und arbeiten inzwischen als Schreiner. Toll! Warum will man das verhindern?“

Win-Win-Situation?

Karen Majewski springt ihm bei. Das Problem sei, dass sie überwiegend Geflüchtete betreuen, die keine Bleibeperspektive haben; beispielsweise aus Afghanistan, Pakistan oder Nigeria. Das seien überwiegend junge Männer, die gern etwas machen würden aber nichts machen dürfen. „Das ist kein schönes Leben, wenn nachts die Polizei einzelne Leute aus dem Heim holt. Natürlich hat das Auswirkungen auf das Lebensgefühl der Menschen dort“, sagt sie.

"Im Prinzip geht es um Abschreckung"

Es gebe zwar viele Vereine und engagierte Ehrenamtliche, doch selbst Praktika seien nur schwer vermittelbar: „Man nimmt den Menschen jegliche Perspektive.“ Auch aus wirtschaftlicher Sicht macht das System keinen Sinn. Hubert Schöffmann bestätigt das. 12.000 Ausbildungsplätze seien derzeit unbesetzt. „Es ist ein glücklicher Zufall, dass so viele wissbegierige, lernfähige Menschen zu uns kommen, denen wir im Leben weiterhelfen können und die unseren Unternehmen weiterhelfen können.“

Eine Win-Win-Situation also – sollte man denken. Aber die Unternehmen haben keine Planungssicherheit, zu hoch seien die rechtlichen Hürden. Doch ohne sie sei die Herausforderung nicht zu schaffen. Darüber sind sich alle am Tisch einig. „Integration fängt vor der Ausbildung an“, gibt Angela Bauer zu bedenken. Die Heilpädagogisch-psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfe betreut 180 Kinder und Jugendliche, davon etwa 60 Geflüchtete.

Desintegration statt Integration?

Auch sie berichtet von dramatischen Abschiebungen. „Das macht etwas mit 15-, 16-Jährigen. So produzieren wir Angst und Angst schafft Rückzug.“ Das sei Desintegration statt Integration. Doch warum existieren diese Hürden? „Ist diese Irritation gewollt?“, fragt Volkan Agar und trifft damit einen wunden Punkt.

"Warum herrschen hier keine Menschenrechte? Warum dürfen wir nicht arbeiten?"

Stephan Dünnwald gibt seine Sicht wieder. „’Migrationspolitische Erwägung’ nennt sich das. Aber im Prinzip geht es hier um Abschreckung.“ Die Landesregierung wolle gezielt den Eindruck erwecken, dass es hier keine Perspektiven für Geflüchtete aus Ländern mit einer niedrigen Schutzquote gibt. Ein Kreisvorsitzender habe ihm ganz offen gesagt, dass man die Pull-Faktoren verringern müsse. „Das könnte doch auch heißen, den FCB nach Katar zu exportieren“, fügt Dünnwald scherzeshalber hinzu.

Zu dieser Abschreckung gehören auch die erst kürzlich eingerichteten Transitzentren direkt an der Grenze, in denen Menschen mit einer geringen Bleibeperspektive festgehalten werden. „Die Menschen sind dann nicht mehr zugänglich“, erklärt Dünnwald. Der Zugang sei nur sehr eingeschränkt und es dürfe nur Arbeit geleistet werden, die eine Rückkehr nicht gefährdet.

Karen Majewski bringt einen weiteren wichtigen Punkt in die Diskussion: das Einwanderungsgesetz. „Ein Land darf schauen: welche Leute brauche ich. Das ist völlig legitim. Wir verwechseln nur leider oft Asyl mit gezielter Einwanderung."

Gemeinsame Verzweiflung: Geflüchtete und Helfer*innen

Hubert Schöffmann stimmt ihr zu. Ein neues Einwanderungsgesetz sei dringend nötig. Außerdem sollten sich die Politik und die Ausländerbehörde auf gewisse Grundwerte verständigen, denn oft gebe es widersprüchliche Aussagen. Ein Beispiel sind Geflüchtete aus Afghanistan. Die Schutzquote für sie liege eigentlich bei etwa 57 Prozent. Trotzdem werden Arbeitsgenehmigungen verweigert.

Daraufhin meldet sich ein junger Mann aus dem Publikum. Sein Name ist Nasim, er kommt aus Afghanistan und ist seit 2014 in Deutschland. „Die UN setzt sich für Menschenrechte in Afghanistan ein. Aber warum herrschen hier keine Menschenrechte? Warum dürfen wir nicht arbeiten? Warum werden kranke Menschen abgeschoben?“ Kurz stockt seine Stimme, dann fasst er sich wieder: „Erklären Sie mir das bitte!“

"Das ist keine zukunftsorientierte Politik. Was hier passiert, das ist Herumdoktern."

Eine andere Zuschauerin fragt, ob das noch rechtsstaatlich sei, was hier passiert. Immer mehr kommt die gemeinsame Verzweiflung der Geflüchteten und der ehrenamtlichen Helfer*innen zum Ausdruck. Sie haben das Gefühl, es werde ihnen absichtlich schwergemacht. Eine Frau aus dem Publikum berichtet von ihren Erfahrungen im Sommer 2015, als die Willkommenskultur ihren Höhepunkt erlebte. „Aber warum passiert politisch so wenig?“, fragt sie.

Sie erzählt von einer privaten Entbindung einer geflüchteten Mutter. „Bis heute haben wir keine Geburtsurkunde erhalten!“ Die Gesellschaft ruhe sich auf den Ehrenamtlichen aus, es würden viel mehr Jurist*innen gebraucht. Auch die Gäste am Tisch scheinen ratlos. „Wenn meine Unterschrift helfen kann, dass jemand nicht abgeschoben wird, werde ich das tun“, sagt Angela Bauer.

Wir machen das

Doch viele Unternehmen würden sich das nicht trauen, zu unsicher sei für sie die rechtliche Lage. Ist Bayern also ein verlorenes Land? Hubert Schöffmann glaubt das nicht. „Bayern ist nicht verloren, es geht nur unter“, sagt er. Er berichtet von über 3000 Geflüchteten, die eine Ausbildung begonnen haben. Inzwischen beschäftige jedes fünfte Unternehmen einen Geflüchteten. „Man kann darauf aufbauen“, sagt er.

Stephan Dünnwald stimmt zunächst zu, aber äußert sich kritischer: „Das ist keine zukunftsorientierte Politik, was hier passiert, das ist Herumdoktern.“ Seit 2015 habe eine Umkehrung eingesetzt. Karen Majewski sieht Bayern nicht als verloren. „Ich bin ja noch hier“, sagt sie mit einem Lächeln.

Aber jetzt heiße es nicht mehr „wir schaffen das“, sondern „wir machen das“. Angela Bauer gibt zu, dass sie sich manchmal für Bayern schäme. Der Titelvorschlag stamme ja auch von ihr. „Ich wünsche mir, dass die Willkommenskultur wieder Teil des Wahlkampfs wird.“