Integrationsgesetz: "Das ist ein Sonnenscheingesetz"

Bis Dienstag haben Migrantenvertreter Zeit, Stellungnahmen zum geplanten Integrationsgesetz abzugeben. Nicht alle finden es gut: Kritik übt etwa Maryam Stibenz, Integrationsbeauftragte im Bezirk Mitte.

taz: Frau Stibenz, was haben Sie gegen das geplante Integrations- und Partizipationsgesetz? Es soll doch Migranten fördern.

Maryam Stibenz: Das Gesetz ist nicht zu Ende gedacht. Es ist realitätsfern. Wir brauchen kein Gesetz, dessen juristische Möglichkeiten nicht über bereits vorhandene hinausgehen. Schließlich haben wir schon das Grundgesetz und das Antidiskriminierungsgesetz. Solche Gesetze müssen weiterentwickelt und dann auch eingesetzt werden. So bleibt es doch ein Sonnenscheingesetz, das nichts bewirkt! Außerdem wird immer noch nicht die Frage geklärt, wer wohin integriert werden soll.

Die 34-Jährige ist seit Jahresbeginn 2009 Integrationsbeauftragte des Bezirks Mitte. Die studierte Physikerin ist Tochter iranischer Einwanderer.

In dem Eckpunktepapier scheint das doch ganz klar: Es geht um Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die deutsche Gesellschaft und in die Verwaltung.

Bei diesen Begrifflichkeiten fangen meine Probleme an: Der Begriff "Migrationshintergrund" ist schwammig und rassifizierend. Er findet keine Anwendung auf "Migranten", die aus weißen, christlichen und abendländischen Zusammenhängen kommen, sondern markiert alle "Anderen" als defizitär. Der Begriff ist mittlerweile völlig negativ besetzt. Wer an Migrationshintergrund denkt, denkt an sogenannte ausländische Sozialschmarotzer, die sich nicht integrieren wollen.

Welchen Begriff würden Sie denn verwenden?

Meiner Meinung nach geht es um Menschen, die ressourcenarm sind: Menschen, die aufgrund eines Mangels an Geld, Bildung und anderen Kompetenzen nicht ihren Platz in der Gesellschaft finden konnten. Das betrifft nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund.

Wo sollte man demnach ansetzen?

Man muss die Gesellschaft stärker sensibilisieren. Vor allem bei der Personalentwicklung. In der Verwaltung haben wir zum Beispiel kaum Möglichkeiten, externe Leute einzustellen. Es hapert an der Finanzierung. Wie soll man denn da eine breite Vielfalt an unterschiedlichen Mitarbeitern zu Stande bekommen?

Das will das Gesetz ja erreichen. Warum trauen Sie ihm das nicht zu?

Das Gesetz ändert an dieser Lage ja nichts. Stattdessen werden Menschen mal wieder stigmatisiert, wird ihnen ein Etikett verpasst. Und dieses Mal sogar ein gesetzlich verankertes. Es sendet ein fatales Signal für die Identitätsbildung unserer Jugendlichen. Man unterstreicht, dass sie nicht deutsch sind. Zudem befürchte ich eine Neiddebatte, denn es spaltet die Gesellschaft in Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Gibt es denn gar nichts Positives an dem Gesetz?

Als Gesetz lehne ich es definitiv ab. Ich sehe aber in der Debatte darüber ein positives Signal. Denn die Forderung, dass Verwaltungsstrukturen ein Abbild der Gesellschaft darstellen sollen, halte ich für richtig. 40 Prozent aller BerlinerInnen haben eine wie auch immer geartete plurikulturelle Prägung. Eine Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn ihre BürgerInnen um ihre Chancengleichheit und Aufstiegsmöglichkeiten wissen. Wir dürfen aber keine Opferrollen schaffen, sondern müssen unsere Mitbürger stärken, fördern und ein klares Signal setzen: Das ist eure Heimat. Gestaltet sie mit!

MARYAM STIBENZ

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