Intendanten-Wechsel am Schauspielhaus: Ein Ensemble zerfällt

Den Schauspielern an dem Hamburger Theater steht eine frustrierende letzte Spielzeit unter dem alten Team Kurfess/ Vogel bevor.

Wegen Bauarbeiten in den Zuschauerraum verlegt: die Bühne im Hamburger Schauspielhaus. Bild: dpa

HAMBURG taz | Ein paar Stunden vor Beginn der Eröffnungspremiere kommt die Nachricht, dass die Hauptdarstellerin Sophie Rois bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater Heute zur „Schauspielerin des Jahres“ gewählt wurde. Der geschäftsführende Intendant Jack Kurfess packt die Gelegenheit beim Schopf: „Alle guten Dinge sind drei: Spielfeldeinweihung, Eröffnungspremiere und Auszeichnung für eine der Hauptdarstellerinnen – besser kann eine Spielzeit nicht beginnen“, lässt er der Presse mitteilen. Schließlich steht das Schauspielhaus am Beginn einer anstrengenden, für viele deprimierenden Spielzeit. Es ist die letzte des alten Teams um Jack Kurfess und Florian Vogel, bevor im Herbst 2013 die neue Intendantin Karin Beier aus Köln kommt.

Karin Beier wird aller Voraussicht nach einen harten Schnitt machen. Zwar haben die Gespräche zwischen ihr und den Schauspielern des aktuellen Ensembles noch nicht stattgefunden, aber es sei davon auszugehen, dass niemand der 30 Schauspieler übernommen werde, ist aus dem Ensemble zu hören. Bis Ende Oktober müssen die Gespräche geführt werden. Sonst verlängern sich die Verträge der Schauspieler automatisch.

Dass die neue Intendantin ihre eigenen Leute mitbringe, sei üblich, ist im Ensemble zu hören: „Aber ein so radikales Aussortieren ist selten.“ Karin Beier selbst möchte sich zu ihren Personalplanungen derzeit nicht äußern.

Auch nicht erbaulich war für das Ensemble, dass bei der Premiere zur Spielzeiteröffnung am Donnerstag kein einziges Ensemblemitglied auf der Bühne stand. Gegeben wurde die Uraufführung des Stücks „Neues vom Dauerzustand“ von Autor und Regisseur René Pollesch. Dieser ist an vielen Bühnen im deutschsprachigen Raum tätig und hat eine Position, in der er fordern kann, mit seinen eigenen Schauspielern zu arbeiten. Die Hamburger Theaterleitung hat seinen Wünschen entsprochen. Und sich gefreut, mit Sophie Rois eine frisch gebackene Preisträgerin präsentieren zu können.

"Elektra" - Neufassung des antiken Stoffs von Nino Haratischwili. Uraufführung: 9. September.

"Ein Pfund Fleisch" von Albert Ostermaier, laut FAZ eine "Menschenverwertungselegie", die sich an Shakespeares Kaufmann von Venedig anlehnt. Uraufführung: 14. September.

"Aida" - ein Liederabend von Franz Wittenbrink. Premiere: 21. September.

"Der Kontrabass" von Patrick Süskind. Regie: Max Claessen. Premiere: 6. Oktober.

"Ödipus" nach Sophokles. Regie: Alice Buddeberg. Premiere: 19. Oktober.

"Der Vorname oder Zu Gast bei guten Freunden". Regie: Christian Brey. Deutsche Erstaufführung: 4. November.

Diese stand dann auf jener provisorischen Bühne namens „Spielfeld“, die die Spielzeit prägen wird. Weil die eigentliche Bühne renoviert wird, haben die Schauspielhaus-Techniker das Parkett überbaut und auf der neuen Fläche das „Spielfeld“ und die Sitze für die Zuschauer angebracht. Damit verringert sich die Anzahl der Plätze von 1.200 auf 709. Allerdings rückt die Bühne auch näher an das Publikum heran: „Die Bühne ist eine Sensation“, sagt der Schauspieler Dominique Horwitz. „Die Zuschauer sind mittendrin wie zu Shakespeares Zeiten.“

Bei Polleschs Stück „Neues vom Dauerzustand“ blicken die Zuschauer auf eine Wildwest-Szenerie, das Bühnenbild zeigt das Abendrot über dem Prärie-Himmel, links steht ein Klavier, rechts ein Baum ohne Blätter. Sophie Rois wuchtet ihr überdimensionales weißes Rüschenkleid mit Reifrock ans Klavier und wird von vier jungen Frauen in Cowboy-Klamotten zur Rede gestellt. „Ich habe mit dem Banküberfall nichts zu tun“, sagt Rois, die in dem Stück Vienna heißt und einen Mann liebt, der eine Frau im Cowboy-Kostüm ist.

Nun beginnt ein wilder Ritt durch die Zeiten, Diskurse und Jargons. Johanna von Orléans tritt auf und redet über Selbstverachtung und die Liebe, die Cowboys reden von Dumpinglöhnen und Weltwirtschaft, Vienna von Kulturimperialismus und ihrem Problem damit, dass ihr Ehemann ihre Patientin gefickt habe.

Es ist wie immer in den Stücken von René Pollesch: Thesen, Phrasen und Aphorismen treffen aufeinander, berechenbare Charaktere oder eine Geschichte gibt es nicht und immer, wenn das Publikum glaubt, sich an irgendetwas festhalten zu können, wird ihm dieser Anhaltspunkt wieder genommen. Worum es ging? Um die Liebe, irgendwie, und um das Scheitern. Schließlich hat das Eine ja öfter mit dem Anderen zu tun.

Nach gut einer Stunde beschließt Johanna von Orléans das Stück mit dem Satz: „Man findet niemals eine neue Liebe. Wenn ihr das denkt, dann hab ihr nie geliebt.“ Dass das Stück vorbei ist merken die Zuschauer daran, dass plötzlich alle neun Schauspielerinnen Hand in Hand auf die Bühne kommen und lächeln. Der Abend ist selbst für René-Pollesch-Liebhaber zu wirr geraten. Und für die, die Pollesch nicht mögen, waren es 60 verlorene Minuten – aufgewertet allein durch die wie immer beeindruckende Sophie Rois.

Das Gute ist: Die nächste Premiere lässt nicht lange auf sich warten. Beinahe im Wochentakt gibt es nun neue Stücke, zehn Premieren insgesamt, davon sieben Uraufführungen, zum Teil eigens für die neue Bühnensituation gemacht. Durch die Verringerung der Platzzahl werden dem Theater Einnahmen in Höhe von einer Million Euro fehlen. Geschäftsführer Jack Kurfess sagt, man werde deshalb an allen Posten sparen. Manchen Schauspielern habe man auch schon unbezahlten Urlaub angeboten.

Die Hoffnung, die Schauspieler des Ensembles würden die letzte Spielzeit nutzen, um es noch einmal richtig krachen zu lassen, wird sich kaum erfüllen. Das Ensemble hat viel Kraft gelassen beim Kampf gegen die existenziell bedrohlichen Subventionskürzungen, die vor zwei Jahren abgewehrt werden mussten. Außerdem gebe es keinen Grund, zum Abschied noch mal auf die Kacke zu hauen, ist zu hören. „Es gibt zwar nichts mehr zu verlieren“, sagt ein Ensemblemitglied, „aber auch nichts mehr zu gewinnen.“

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