Intergeschlechtliche Kinder in Bremen: Keine Anlaufstelle für Eltern

Wenn Eltern von intergeschlechtlichen Kindern Hilfe benötigen, müssen sie nach Emden, Hamburg oder Lübeck fahren. Denn in Bremen gibt es keine Beratungsstelle.

Ein Plakat mit der Aufschrift "Dritte Option"

In Bremen kommen jährlich zwischen 130 und 190 intergeschlechtliche Babys zur Welt Foto: dpa

BREMEN taz | In Bremen gibt es keine Beratungsstellen für Eltern intergeschlechtlicher Kinder. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine große Anfrage der Linksfraktion hervor. Wenn Kinder nach ihrer Geburt weder als Mädchen noch als Jungen eingeordnet werden können, haben ihre Eltern erst einmal niemanden, an den sie sich mit Fragen und Ängsten wenden können.

Der Senat nennt das „Rat & Tat Zentrum für queeres Leben“ als „bekannten Träger, an den sich Betroffene, Angehörige und Fachkräfte gleichermaßen wenden“. Er sagt aber auch: „Eine eigene Plattform über Beratungs- und Informationsangebote für Eltern über Intergeschlechtlichkeit bei Kindern ist nicht eingerichtet.“

Als zweite Anlaufstelle wird die Beratungsstelle von Pro Familia genannt. Aber auch dort gibt es keine Beratung für Eltern intergeschlechtlicher Kinder. „Wir verweisen die betroffenen Eltern nach Hamburg an den Verein Intersexuelle Menschen oder an die Beratungsstelle für Intersexualität nach Emden“, sagt Alix Schröder, psychologische Psychotherapeutin bei Pro Familia. Dasselbe sagt auch das Rat & Tat Zentrum.

Bei dem Verein intersexuelle Menschen in Emden bieten betroffene und extra dafür geschulte Eltern Beratungsangebote für andere Eltern an. Michael Evern, Lehrer an der Bremer Paul-Goldschmidt-Schule, kennt über seine Arbeit viele intergeschlechtliche Kinder. Er weiß, dass es in Bremen eine betroffene Familie gibt, die andere Eltern berät. „Man muss diese Kontakte aber erst einmal finden, denn viele Eltern halten sich bedeckt, weil sie entweder ihre Kinder schützen oder sich nicht dafür rechtfertigen wollen, dass ihr Kind intergeschlechtlich ist.“

Als intergeschlechtlich oder -sexuell werden Menschen bezeichnet, deren Chromosomen, Keimdrüsen, Hormonproduktion oder körperliches Erscheinungsbild keine eindeutige Zuordnung zu einem Geschlecht erlauben.

Das kann bei der Geburt auffallen: etwa wenn die Klitoris eines Babys sehr groß ist.

Obwohl medizinische Leitlinien davon abraten, Kinder aus kosmetischen Gründen am Geschlecht zu operieren, ist nach einer Studie die Anzahl dieser Operationen zwischen 2005 und 2014 nicht zurückgegangen.

Dabei will Bremen eigentlich „gezielt Beratungsangebote für trans*- und intergeschlechtliche Menschen aller Altersgruppen und ihre Angehörigen in Bremen“ fördern. So steht es im Aktionsplan gegen Homo-, Trans*- und Interphobie für das Land Bremen, den die Bürgerschaft vor vier Jahren beschlossen hat. Es handele sich um Maßnahmen, die man noch umsetzen wolle, sagt David Lukaßen, Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne).

In der Senatsantwort steht auch, dass einige Krankenhäuser betroffenen Eltern „im Rahmen einer Sprechstunde Informationsgespräche“ anböten. Was genau Inhalt dieser Beratungsgespräche ist, ob sie einen psychosozialen oder medizinischen Charakter haben, steht dort nicht.

Außerdem heißt es in der Antwort, dass einige Krankenhäuser eng mit den DSD-Zentren (Disorders of Sex Development) in Berlin, Hamburg und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck und Kiel zusammenarbeiteten. „In den DSD-Zentren erhalten die Eltern in der Regel die Kontaktdaten der Selbsthilfegruppen“, heißt es in der Senatsantwort. Anlaufstellen für Notsituationen nach der Geburt werden nicht genannt.

Sofia Leonidakis, queerpolitische Sprecherin der Linksfraktion, hat für all das kein Verständnis. „Es kann doch nicht sein, dass es in Bremen keine fachliche Beratung für Eltern gibt“, sagt sie. Des Weiteren kritisiert sie, dass Ärzt*innen nicht hinreichend geschult würden. In der Antwort des Senats wird lediglich darauf hingewiesen, dass Ärzt*innen laut ihrer Berufsordnung dazu verpflichtet seien, sich regelmäßig fortzubilden. Doch inwieweit sie sich weiterbilden, dafür seien Ärzt*innen selbst verantwortlich.

Jährlich kommen in Bremen laut Statistischem Landesamt zwischen 130 und 190 intergeschlechtliche Babys auf die Welt. Zwischen 2005 und 2017 betraf dies 1.975 Menschen.

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