Internationale Kriegsverbrecherprozesse: Die ignorierten Zeugen

Auch deutsche Gerichte verhandeln Kriegsverbrechen im Ausland. In betroffenen Ländern ändert das wenig – erst recht für Opfer und Angehörige.

Fünf Menschen in Robe sitzen in einer Reihe an einem Tisch

Richter am Tag der Urteilsverkündung im FDLR-Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart Foto: dpa

Ein Jahr ist es her: Am 28. September 2015 fiel am Oberlandesgericht Stuttgart das Urteil gegen die beiden in Deutschland lebenden Anführer der Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Die ruandische Rebellengruppe kämpft seit 20 Jahren im Kongo, ihre Anführer lebten jahrelang unbehelligt in Baden-Württemberg.

In jenem Prozess wurde die FDLR zum ersten Mal weltweit für ihre Verbrechen verantwortlich gemacht. Es war zudem der erste Prozess in Deutschland nach dem Völkerstrafgesetzbuch – ein entscheidendes Verfahren also.

Das Urteil nach viereinhalb Jahren Prozess warf jedoch jede Menge Fragen und Widersprüche auf. Die Richter erklärten die Miliz einerseits zur terroristischen Vereinigung – die allerdings lediglich Kriegsverbrechen und nicht Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen habe. Die beiden FDLR-Führer – die in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt waren – wurden zwar der „Rädelsführerschaft“ schuldig gesprochen, weil sie die Miliz von Deutschland aus politisch geführt hatten.

Andererseits wurde FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka nur für „Beihilfe“ an Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht und sein Vize Straton Musoni in diesem Punkt überhaupt nicht. Das alles war und ist bis heute ziemlich unlogisch.

Plötzlich Massenbetrieb

Dabei wäre eigentlich eine weitreichende Debatte nötig – über die Anwendbarkeit der deutschen Strafprozessordnung in internationalen Kriegsverbrecherprozessen. Die Umsetzbarkeit des Völkerstrafgesetzbuches, die Rolle Deutschlands in der ruandischen Geschichte bis hin zu der Frage, warum die FDLR, die sich aus Tätern des Völkermords in Ruanda 1994 zusammensetzt, sich ausgerechnet in der Bundesrepublik zu Hause fühlt – all das scheint heute genauso schnell wieder vom Tisch zu sein, wie es 2009 durch die Verhaftung der beiden Ruander in Baden-Württemberg aufgekommen war.

Ermittlungen und auch Anklagen auf Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches finden ein Jahr nach dem verkorksten Urteil von Stuttgart allerdings am Fließband statt: Über ein Dutzend Verfahren wurden eingeleitet, meist wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien und im Irak. Es mussten sogar neue Stellen geschaffen werden. „Wir sind auf das Massengeschäft nicht vorbereitet“, beschreibt ein BKA-Beamter die Situation.

Der Richter in Stuttgart leitete damals seine Urteilsbegründung mit dem Satz „So geht es nicht!“ ein. Ein Jahr später wirkt es, als seien dessen Kritikpunkte an der Anwendbarkeit der deutschen Strafprozessordnung in Völkerstrafgesetzbuch-Verfahren im Massenbetrieb untergegangen.

Als eine wichtige Auswirkung von internationalen Kriegsverbrecherprozessen erhoffen sich Menschenrechtler immer, dass sie vor Ort zur Wahrheitsfindung und Befriedung beitragen. Aber vom Urteil in Deutschland hat im Kongo ohnehin kaum jemand etwas erfahren. Es wurde im Radio vermeldet – kurz darauf beging die FDLR weitere Massaker und hielt Treffen ab, um über Führungsfragen zu streiten. Immerhin ist Ignace Murwanashyaka trotz seiner Verurteilung zu 13 Jahren Haft nach wie vor gewählter Präsident der FDLR.

Von dem Urteil in Deutschland hat im Kongo kaum jemand

etwas erfahren

Und die Zeugen? Die zehn kongolesischen Opfer, die ihr Leben riskiert hatten, per Videoschaltung von Afrika aus anonymisiert gegen die beiden Angeklagten auszusagen, sind sozusagen vom Radar der deutschen Behörden verschwunden. Vom Stuttgarter Urteil haben sie offiziell von deutscher Seite nie etwas erfahren. Deutsche Gerichte sind erst nach Inkrafttreten des Urteils angehalten, die Zeugen zu unterrichten. Doch das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, denn es geht wohl in Revision vor den Bundesgerichtshof – und das kann erneut Jahre dauern.

Im Fall des in Frankfurt verurteilten ruandischen Völkermörders Onesphore Rwabukombe hat der BGH die Revision schnell durchgezogen und das Urteil sogar im Sinne der Anklage revidiert. Immerhin besteht also eine Instanz, die die Widersprüche im FDLR-Urteil aufheben könnte.

Lösen kann der BGH das verfahrenstechnische Dilemma aber auch nicht. Seine Richter riefen nämlich genauso um Hilfe. In all den Prozessen nach dem Völkerstrafgesetzbuch kämen die Gerichte inzwischen deutlich an ihre Grenzen, klagt BGH-Richter Jörg-Peter Becker: „Hier ist der Bund in der Pflicht, dringend Abhilfe zu schaffen.“ Eine Bankrotterklärung der Justiz.

Nicht beweiskräftige Traumata

In Stuttgart liegt auch nach einem Jahr immer noch keine schriftliche Urteilsbegründung vor. Die Mühlen der deutschen Justiz mahlen eben langsamer. Unterdessen geht der Kongokrieg in seine nächste Runde. Die Gefahr, dass die Opferzeugen in Kämpfen getötet oder erneut vertrieben werden, ist hoch. Die Mehrheit sind Frauen, die vergewaltigt worden waren. Sie hatten nach den Taten im Jahre 2009 über drei Jahre ausgeharrt, um auszusagen – unter Gefahr für ihr Leben und psychisch schwer belastenden Umständen. Ihre Befragung vor Gericht war für sie sehr schwierig, manche brachen traumatisiert vorzeitig ab. Ihre Aussagen wurden im Urteil letztlich komplett ignoriert – und als nicht beweiskräftig eingestuft.

Nach der Urteilsverkündung 2015 wurden sie nie angerufen, nie informiert, nie über den Ausgang unterrichtet. Anrecht auf Entschädigung haben sie nach deutschem Recht ohnehin nicht. Der für sie zuständige BKA-Beamte wurde aus Afrika abgezogen.

Wie es den Zeugen geht, ob sie noch leben, ob sie bedroht werden, ob sie erneut fliehen mussten – danach hat sich nie jemand erkundigt. Um dies zu tun, müssten Dolmetscher, BKA-Zeugenschützer und Opferbeistände erneut in den Kongo fliegen – doch dafür stellt keine Behörde derzeit ausreichend Geld zur Verfügung.

Stattdessen reist nun, pünktlich ein Jahr nach dem Urteil, Bundesumweltministerin Barbara Hendricks nach Ruanda. Dort besucht sie mit ihrem Tross an Delegationsmitgliedern die gefährdeten Berggorillas, übernachtet in Luxushotels, die bis zu 500 Dollar die Nacht pro Person kosten. Deutschland kümmert sich offenbar lieber um Affen als um die Opfer der FDLR.

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Simone Schlindwein, Jahrgang 1980, lebt seit 2008 in Uganda und ist taz-Korrespondentin für die Region der Großen Seen: DR Kongo, Ruanda, Burundi, Uganda, Zentralafrikanische Republik, Südsudan. Von 2006 bis 2008 war sie u.a. Moskau-Korrespondentin des Spiegel. Für ihre Arbeit wurde sie u.a. mit dem Journalistenpreis »Der lange Atem« sowie dem Otto-Brenner-Preis ausgezeichnet. Zuletzt veröffentlichte sie die Bücher »Diktatoren als Türsteher Europas« (mit Christian Jakob) und »Tatort Kongo« (mit Dominic Johnson und Bianca Schmolze).

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