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Internationaler GerichtshofWer das Klima schädigt, muss laut Völkerrecht haften

Der Internationale Gerichtshof hat ein weitreichendes Gutachten veröffentlicht. Laut Völkerrecht müssen Klimasünder haften. Verbindlich ist das nicht.

Be­woh­ne­r*in­nen pazifischer Inseln, die existenziell vom Klimawandel bedroht sind, demonstrieren am 23. Juli vor dem IGH Foto: Marta Florin/Reuters

Freiburg taz | Alle Staaten der Welt sind zum Klimaschutz mit größtmöglichem Anspruch verpflichtet. Das ist der Kern eines Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag. Staaten, die ihre Klimaschutzpflichten nicht einhalten, müssen unter Umständen Staaten entschädigen, die vom Klimawandel betroffen sind.

Das Gutachten wurde im Auftrag der UN-Generalversammlung erstattet. Der Auftrag erfolgte im März 2023 durch einstimmigen Beschluss. Initiiert hatte ihn der kleine Inselstaat Vanuatu, unterstützt unter anderem von Deutschland.

Der 15-köpfige IGH sollte zwei Fragen beantworten: Welche völkerrechtlichen Verpflichtungen haben die Staaten zum Schutz des Klimas? Und welche Rechtsfolgen ergeben sich für Staaten, die durch Handlungen oder Unterlassungen erhebliche Klimaschäden verursacht haben?

Das Verfahren gilt als größter Klimaprozess der Welt. Bei der mündlichen Anhörung im Dezember 2024 gaben 96 Staaten und elf internationale Organisationen Stellungnahmen ab. An diesem Mittwoch verlas der japanische Gerichtspräsident Yuji Iwasawa zwei Stunden lang die Kernaussagen des 140-seitigen Gutachtens.

Gericht verurteilt fossile Subventionen

Die zentralen Pflichten der Staaten ergeben sich aus den internationalen Klimaschutzverträgen, wie dem Pariser Abkommen von 2015. Dessen Hauptziel sei die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Der IGH bezog sich also nicht auf das ebenfalls im Vertrag erwähnte 2-Grad Ziel.

Bei der Reduzierung der klimaschädigenden CO2-Emissionen müssten die Staaten den „größtmöglichen Anspruch“ haben. Gegen die Pflicht zum Klimaschutz verstoßen auch Staaten, so Iwasawa, die neue Öl- und Gasfelder genehmigen oder die fossile Industrie subventionieren.

Für Staaten, die nicht dem Paris-Abkommen angehören, gelten ganz ähnliche Pflichten, so der IGH. Das ist insbesondere relevant für die USA, die im Januar per Dekret von Präsident Donald Trump aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen sind.

So gebe es eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht, die Umwelt und das Klima zu schützen. Jeder Staat müsse dabei die gebotene Sorgfalt anwenden. Außerdem müssten die Staaten hierbei kooperieren, etwa durch finanzielle Unterstützung und Technologie-Transfer.

Klimasünder sind zu Entschädigung verpflichtet

Neben dem Paris-Abkommen ergebe sich auch aus den internationalen Menschenrechts-Verträgen Pflichten zum Klimaschutz, so der IGH. Eine gesunde, saubere und nachhaltige Umwelt sei nicht nur durch das Recht auf Leben und Gesundheit garantiert, sondern auch die Vorbedingung für die Nutzung aller anderen Menschenrechte, betonte Gerichtspräsident Iwasawa.

Mit besonderer Spannung war erwartet worden, welche Folgen der IGH an die Verletzung von Klimaschutz-Pflichten binden wird. Doch auch hier vertraten die 15 Rich­te­r:in­nen aus aller Welt eine strenge Linie: Wer Klimaschutzpflichten verletzt, muss damit nicht nur aufhören, sondern auch betroffene Staaten für ihre Probleme entschädigen. Zerstörte Biotope müssten genauso wiederhergestellt werden wie beschäftigte Infrastruktur, sagte Richter Iwasawa.

Keine konkreten Ansprüche, aber trotzdem nützlich

Der IGH betonte jedoch, dass sich aus diesen abstrakten Äußerungen des IGH noch keine konkreten Ansprüche ergeben. Jeder Fall müsse konkret geprüft werden. Insbesondere müsse die Kausalität zwischen Verletzung der Pflicht zum Klimaschutz und den verursachten Schäden festgestellt werden.

Dies dürfte schwierig sein, da es ja kein lokales oder regionales Klima gibt, sondern nur ein gemeinsames Weltklima. Der Ort, an dem solche Streitigkeiten dann ausgetragen werden, dürfte wieder der IGH in Den Haag sein – aber nur soweit sich die Staaten (wie Deutschland) freiwillig dessen Rechtsprechung unterworfen haben. Die USA sind hierzu schon lange nicht mehr bereit.

Das nun erstattet Gutachten wird im englischen „advisory opinion“ genannt, also beratende Meinung. Der Begriff deutet an, dass das Gutachten an sich keine rechtliche Verbindlichkeit hat. In der juristischen Öffentlichkeit – bei Gerichten und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen – dürfte das Gutachten aber sehr einflussreich sein. Außerdem ist das Gutachten natürlich eine Einladung, geeignete konkrete Fälle zum IGH zu bringen.

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23 Kommentare

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  • Schauen wir mal was passieren wird. Ich bin einfach mal neugierig.

  • Das sogenannte Völkerrecht ist ein Beliebigkeitsrecht, bezahlen wird überhaupt niemand.

  • Auch mein erster Gedanke war, dass ein Rechtsgutachten, das nicht verbindlich ist, wenig taugt, aber dann erinnerte mich an das Churchill-Zitat über die Demokratie und kann deshalb in Abwandlung feststellen: Das Völkerrecht mag zwar mangelhaft (weil zahnlos) sein, aber es ist das beste, was wir haben.

  • Das Gutachten des IGH ist nichts wert, denn Länder mit zusammen über 90% der CO2-Emissionen werden autokratisch regiert oder sind Diktaturen, die sich allesamt vom IGH nichts sagen lassen.

    • @H2Wirtschaft:

      90% sind doch arg übertrieben. Woher wollen Sie diese Zahlen haben?

      Aber eine Wahrheit ist dran: Soviel zum umjubelten Globalen Süden der Postkolonialisten. Augen zu vor Diktatoren und den Welbsthass auf den Westen kultivieren.

      Sagen Sie es doch klar: Die arabischen Länder und die Brics-Staaten beteiligen sich kein bisschen an den Hilfen - sind aber dabei die Fehler der Industrieländer zu wiederholen.

  • Naja, gerade einmal 74 von 193 Länder erkennen den Gerichtshof an. USA, Russland und China sind als größte Verursacher nicht mit dabei. Außer dem Westen (a.k.a. Europa) sind keine Länder dabei die Geld haben um zum abgeben. Wird also darauf hinauslaufen das die Geldforderungen an die "alte Welt" gestellt werden. Die höhe ist ja vom letzten Klimagipfel auch schon bekannt ca. 1000 Milliarden.

    • @Franz Tom:

      Die Länder die kein Geld haben, sind in der Regel jene die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben.

  • Jetzt brauchen wir nur noch rechtlich verbindliche Regelungen (völkergewohnheitsrechtlich versteht sich), wie groß ein Land sein darf und wie viele Menschen (aka Emittenten) dort leben dürfen, welchen Lebensstandard sie haben bzw. Bequemlichkeiten sie nutzen dürfen (die Bewohner Vanuatus z.B. nutzen gerne SUVs und Pick-ups, die sie in Industriestaaten gekauft haben und im Archipel werden Inlands(!)flüge bevorzugt), dann steht einer Klagewelle von Staaten gegen Staaten nichts im Wege. Zuvor werden potentielle Klägerstaaten allerdings vorsorglich in Forschung und Entwicklung und klimaneutrale Produktion von bisherigen Importgütern aus potenziell beklagten Staaten investieren müssen, um möglichen prozessualen Einwendungen zu entgehen.

  • Geschichten aus dem Wolkenkuckuckusheim.



    "keine rechtliche Verbindlichkeit"



    "advisory opinion"



    "Der IGH betonte jedoch, dass sich aus diesen abstrakten Äußerungen (...) keine konkreten Ansprüche ergeben."



    Spätestens bei dem Satz, "die Kausalität zwischen Verletzung der Pflicht zum Klimaschutz und den verursachten Schäden (müsse) festgestellt werden", sollte jeder wieder nüchtern sein.



    Das ist doch das komplett gleiche wie bei dem peruanischen Bauern Luciano Lliuya. Da hat das Gericht zwar auch anerkannt, dass einzelne Konzerne für die Folgen des Klimawandels haftbar gemacht werden KÖNNTEN, die konkrete Gefahr für das Haus des Klägers wurde jedoch als nicht ausreichend hoch eingeschätzt, um eine Verurteilung von RWE zu rechtfertigen.



    Und ganz nebenbei dauerte der Prozess 10 Jahre.



    10 Jahre.



    Das Gutachten des IGH mag Seelenbalsam für manche Menschen sein, ein moralisches Pappschildchen mehr, das man zukünftig hochhalten kann, Vanuatu aber bringt das nichts.



    Ein Papiertiger. In meinen Augen sogar noch schlimmer: eine Exit-Strategie für Emittentenstaaten, Stichwort "jeder Fall muss kausal geprüft werden".



    Eine Greencard, alles vor Gericht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschleppen.

  • Moralisch interessant, aber praktisch gesehen ein weiterer Sargnagel für den IGH.

    Ab dem Moment, wo die demokratischen Länder mit einigermaßen funktionierenden Rechtsstaat verklagt wurden, hat der IGH seinen Abstieg gestartet.

    Aber hey, mit akademischer Moral hat man schon immer viel gerissen…

  • "... In der juristischen Öffentlichkeit – bei Gerichten und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen – dürfte das Gutachten aber sehr einflussreich sein. ..." Wenn es so weiter geht, dürfte von unabhängigen Gerichten und Wissenschaftlern ja nichts mehr übrig bleiben, die USA sind auf dem Weg in den Faschismus, Russland und China kann man wie alle anderen Diktaturen vergessen und wenn die halbe Unions Fraktion wegen Frau Brosius-Gersdorf durchdreht und die Universitäten wieder kurz gehalten werden, kann man hier demnächst auch erwarten, dass die Ergebnisse des Gutachtens bewusst ignoriert werden.

  • Das Gutachten muß nicht verbindlich sein. Denn der Inhalt des Gutachtens ist verbindlich. Die Welt um uns herum, die sogenannte Umwelt, benötigt kein Gutachten um den Inhalt zu kennen und sich danach zu verhalten. Es sind der Umwelt eigene Gesetzmässigkeiten die auf unser Verhalten reagieren. Daher sind wir nicht relevant. Daher macht die Umwelt auch keinen Unterschied innerhalb unserer Spezies. Wir werden alle zur Rechenschaft gezogen. Der einzige Ausweg besteht darin neue, die Umwelt schützende Wege zu gehen und zu hoffen, dass unsere Umwelt, trotz der bereits umfänglichen Zerstörungen, durch die neuen Wege keine weiteren zerstörenden Lebenseinflüsse für uns hervorbringen wird.

  • Das gute alte Völkerrecht.

    Es eignet sich hervorragend zur Bekämpfung der Blattläuse, wie Michael Wolffsohn einmal anmerkte.

    Ansonsten: Banane.

    Ein Recht, das von keiner Instanz, von keinem Souverän, schlicht von niemandem durchgesetzt werden kann, ist ein Papiertiger.

    Und ein Propagandainstrument, das in erster Linie gegen Israel in Anschlag gebracht wird.

    • @Jim Hawkins:

      Im letzten Satz noch schnell die (erwartbare) Kurve gekriegt.

      Und das Völkerrecht? Werfen wir es doch einfach über Bord, und wenn wir gerade dabei sind auch gleich die Menschenrechte, stören eh nur und sind was für weltfremde Träumer wie zum Beispiel Martin Luther King.

      "But we refuse to believe that the bank of justice is bankrupt. And so, we've come to cash this check, a check that will give us upon demand the riches of freedom and the security of justice.

      I have a Dream..."

    • @Jim Hawkins:

      Das ist dem Sonderfall geschuldet, dass Palästina der Sitz in der UNO lange verweigert wurde, dass z.B. die Bundesrepublik das immer noch nicht hinbekommen hat.



      Also sprang die UNO ein. Zwar auch ein wohlfeiles Ventil für fragwürdige Regimes, sich als Gute darzustellen, doch leider haben die Resolutionen einen Punkt.

      Als Zionist darf Wolffsohn das sagen, als Sozialwissenschaftler an einer Bundeswehr-Universität ist es natürlich Melone, was er da vor sich hin brabbelt.



      Gerade Mittelmächte wie Deutschland, gerade vor dem Hintergrund von Nürnberg, gerade in der kantianischen Tradition etc. etc. ist Wolffsohns Satz, den ich noch nicht kannte, erschreckend tumb und nach hinten feuernd.

  • Für unser Karma, unsere Existenz auf dem Planeten: Fossil, Auto, Flug & Co. null-niente-nix mehr unterstützen. Wir haben 100 Jahre lange uns in die falsche Richtung finanzgedopt, das drehen wir besser ganz rasch zurück.

  • Das Pariser UN Klimaabkomen ist eine unverbindliche Absichtserklärung. Und wie es schon im Artikel steht kann der Gerichtshof keine Strafen aussprechen.

    Und da viele meinen Deutschland unternimmt nichts gegen den Klimawandel, seit der UN Konferenz hat Deutschland sein CO2 Austoss um 48 % gesenkt. Vertragsgemäß.

    China mit 1,4 Miliarden Einwohnern um 20 % gesteigert. Erzeugt pro Kopf mehr CO2 als Deutschland. Ja, China baut ganz viel Solarenergie dazu, aber auch 100 neue Kohlekraftwerke und 200 Flughäfen. Das senkt aber den CO2 Austoss nicht. Ja ich gönne den Chinesen ihren Wohlstand, kann aber nicht mehr hören das Deutschland nichts gegen den Klimawandel unternimmt.

    de.statista.com/st...dern-je-einwohner/

    • @Martin Sauer:

      Laut ourworldindata hat China seine Emissionen seit 1990, dem Referenzjahr des Pariser Abkommens, um 379% gesteigert während Deutschland sie um 43% gesenkt hat.



      ourworldindata.org...y=OWID_WRL~CHN~DEU

    • @Martin Sauer:

      Ein kleines Detail haben wir bei dieser Betrachtung vergessen. Europa und vor allem Deutschland hat durch seine dilettantische Politik einen nicht unerheblichen Teil seiner Produktion und damit den CO2-Ausstoß nach China ausgelagert. Inklusive Arbeitsplätze in der Windkraft- und Solarindustrie.

    • @Martin Sauer:

      China produziert inzwischen für die Welt, Deutschland weniger. Den Sonderfaktor DDR-Abwicklung hatte China nicht.

      Deutschland hat bei Energie bewundernswert viel gemacht: die rotgrüne Energiewende entfesselte Solar, auch für die Welt. Bei Wärme und Verkehr hingegen ist es sehr mau. Und wer dermaßen weit weg vom Ziel ist, anders als viele andere Länder der Erde, und dermaßen selbstgewiss seiner Ingenieurskunst, könnte schon mehr machen. Nicht mal das triviale Tempolimit, nicht mal Wärmepumpen, nicht mal ...



      Deutschland könnte deutlich mehr, und kehren wir auch mal vor der Türe.

      • @Janix:

        Chinas Export beträgt etwa 10% des GDP, d.h. es produziert zum allergrößten Teil für den Eigenbedarf.



        Außerdem importiert China sehr viel, so dass man schon Export mit Import gegenrechnen muss, damit eine halbwegs brauchbare Aussage (da keine CO2-Angaben möglich) zustande kommt.

      • @Janix:

        Also sollte man aus D, dem Exportweltmeister, die Exporte rausrechnen? Und bestimmte Aspekte, Förderung der EE als globale Stimulans wieder positiv anrechnen? Dazu dann noch einrechnen, dass die Forschung der letzten 100 Jahre Lebensdauer und -qualität auf der ganzen Welt verbessert haben. Dann wird die CO2 (Emissions)rechnung langsam kompliziert.

        • @fly:

          Die Welt ist kompliziert, das gilt es auszuhalten.

          Man sollte hier im Fokus die Lösung haben. Also vor der Türe anpacken und zuerst, wo es recht einfach, billig und sozial gerecht umzusetzen ist. Wärmewende, Verkehrswende nachziehen.