Internationaler Militäreinsatz in Syrien: Camerons große Niederlage

Nach der Schlappe im Parlament kann sich Großbritannien nicht an einem Militärschlag in Syrien beteiligen. Selbst konservative Abgeordnete stimmten dagegen.

Großbritanniens Premierminister Cameron hatte stark für einen Militäreinsatz in Syrien geworben. Nun steht er blamiert da. Bild: dpa

LONDON/WASHINGTON/BRÜSSEL dpa | Nach einer beispiellosen Abstimmungsschlappe im Unterhaus hat Großbritanniens Premierminister David Cameron jede britische Beteiligung an einem Angriff auf Syrien ausgeschlossen. „Das britische Parlament und die britische Bevölkerung wünschen keine militärische Aktion. Ich nehme das zur Kenntnis, und die Regierung wird entsprechend vorgehen“, sagte Cameron in der Nacht zum Freitag.

Verteidigungsminister Philip Hammond bestätigte, es werde keine Militäraktion mit britischer Beteiligung geben. Obwohl die USA jetzt ohne ihren wichtigsten Verbündeten angreifen müssten, behält sich Präsident Barack Obama weiter einen Schlag gegen das Regime in Damaskus vor.

Premierminister Cameron verlor die Abstimmung, weil ihm Abweichler in seiner Konservativen Partei die Unterstützung versagten. Insgesamt stimmten 285 Abgeordnete gegen die Beschlussvorlage, die als Reaktion auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz mit mehreren Hundert Toten „grundsätzlich“ militärische Schritte der Briten gegen das Regime von Baschar al-Assad möglich gemacht hätte. Mit der Opposition votierten auch 30 der insgesamt 304 Mitglieder von Camerons eigener Partei.

Seine Niederlage nach einer erbitterten, über mehr als sieben Stunden geführten Debatte wurde in Großbritannien als Demütigung für den Regierungschef aufgefasst. Cameron und sein Außenminister William Hague hatten auf dem internationalen Parkett für eine harte Haltung gegen Damaskus geworben und erklärt, eine einstimmige Haltung der fünf Vetomächte des UN-Sicherheitsrats sei für einen Militärschlag nicht notwendig.

Oppositionsführer Ed Miliband von der Labour-Partei begrüßte das Votum. „Das Unterhaus hat für das britische Volk gesprochen, das nicht in den Krieg rennen will“, sagte er. Umfragen hatten gezeigt, dass die große Mehrheit der Briten eine Militäraktion ablehnt. Miliband warf Cameron „Hochmut und Rücksichtslosigkeit“ vor. Politische Kommentatoren sehen jetzt die Position Camerons als Regierungschef deutlich geschwächt: Dieser habe die Kontrolle über seine Außen- und Sicherheitspolitik verloren.

Die USA und andere Staaten könnten ohne Broßbritannien agieren

Obama behält sich trotz des britischen Neins eine Intervention vor: „Wie wir bereits sagten, wird Präsident Obamas Entscheidung von den besten Interessen der Vereinigten Staaten abhängen“, sagte Sprecherin Caitlin Hayden. Der Präsident sei überzeugt, „dass Länder, die internationale Normen verletzen, zur Verantwortung gezogen werden müssen“.

Die Weltgemeinschaft hatte zuvor auf allen diplomatischen Kanälen nach einer Alternative zum drohenden Militärschlag gesucht. Telefondrähte liefen heiß, um doch noch eine gemeinsame Linie im UN-Sicherheitsrat zu finden. Ein eilig einberufenes Treffen der fünf ständigen Ratsmitglieder USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich endete aber ohne Erklärung.

Russland, ein enger Partner Syriens, will mit seinem Vetorecht eine UN-Resolution für einen Militäreinsatz verhindern. „Russland lehnt jeden Beschluss des Weltsicherheitsrates ab, der die Möglichkeit einer Gewaltanwendung vorsieht“, sagte Vizeaußenminister Gennadi Gatilow am Freitag in Moskau der Agentur Itar-Tass.

Wegen des Syrien-Konflikts hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag auch mit Obama telefoniert. Merkel sprach sich nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert dafür aus, den mutmaßlichen Giftgasangriff nahe Damaskus im UN-Sicherheitsrat zu behandeln, damit dieser „seiner Verantwortung gerecht werden“ könne. Beide vereinbarten, sich weiterhin eng über eine mögliche internationale Reaktion abzustimmen.

Militärischen Vorbereitungen gehen voran

UN-Experten machten sich am Freitag in Damaskus auf den Weg, um nach Beweisen für einen Giftgasangriff zu suchen. Nach Angaben von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon wird das UN-Team Syrien bis Samstagmorgen verlassen und ihm dann berichten. Das Regime weist alle Giftgas-Vorwürfe vehement zurück.

Die militärischen Vorbereitungen für einen Angriff auf Stellungen in Syrien gehen ungeachtet aller Diplomatie voran. Am Donnerstag traf ein fünfter Lenkwaffenzerstörer der US-Marine mit Marschflugkörpern im östlichen Mittelmeer ein.

Israel brachte eine Raketenabwehrbatterie vom Typ Eisenkuppel bei Tel Aviv in Stellung. Das bestätigte eine Sprecherin der Armee am Freitag. Die Regierung schließt nicht aus, dass es bei einem US-Militärschlag gegen Syrien von dort aus unter Beschuss geraten könnte.

Die Syrienkrise kein Thema beim G20-Gipfel

Die EU hat keine Absicht, die Syrienkrise beim G20-Gipfel in der kommenden Woche in St. Petersburg auf die Tagesordnung zu setzen. Die G20 seien kein Forum für die Außenpolitik, sagte ein EU-Diplomat am Freitag in Brüssel. „Syrien ist nicht auf der Tagesordnung.“

Bei dem Spitzentreffen am kommenden Donnerstag und Freitag (5. und 6. September) werden die „Chefs“ der weltweit größten Industrie- und Schwellenländer (G20) erwartet. Der Gastgeber, Russlands Präsident Wladmir Putin, ist ein entschiedener Gegner eines Syrien-Militärschlags, wie er von den USA und ihren Alliierten erwogen wird. Putin hatte schon erklärt, dass Syrien kein Thema der G20 sein solle.

US-Bürger und Kongress sind skeptisch über den Militäreinsatz

Die US-Bürger stehen einer Umfrage zufolge einem amerikanischen Militäreinsatz in Syrien skeptisch gegenüber. 50 Prozent der Befragten sagten, sie lehnten eine solche Operation ab. 42 Prozent sprachen sich dafür aus, wie die am Freitag veröffentlichte Erhebung für den TV-Sender NBC ergab. Etwas mehr Unterstützung erhält die US-Regierung für einen eng begrenzten Einsatz, der allein Raketenabschüsse von Kriegsschiffen umfassen würde. Hier sagten 50 Prozent, sie seien dafür. 44 Prozent lehnten auch dies ab.

An der Umfrage hatten NBC zufolge am Mittwoch und Donnerstag insgesamt 700 Menschen teilgenommen. Besonders gravierend ist die Beurteilung der Frage, ob US-Präsident Barack Obama für einen Militäreinsatz die Genehmigung des Kongresses einholen müsse. 79 Prozent der Befragten nannten dies eine Bedingung, nur 16 Prozent meinten, das sei nicht notwendig.

Viele Abgeordnete und Senatoren in Washington äußerten sich zurückhaltend zu einem Militäreinsatz. Bei einer Telefonkonferenz zwischen Regierungs- und Kongressmitgliedern, an der auch Außenminister John Kerry und Verteidigungsminister Chuck Hagel teilnahmen, sei Kritik über die hohen Kosten eines Einsatzes laut geworden, berichteten US-Medien.

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