Interreligiöse Beziehungen in Indien: Kampf dem angeblichen „Love Jihad“

Indische Hindu-Hardliner mobilisieren aus Furcht vor demografischen Veränderungen gegen Liebesbeziehungen mit Muslimen – und zeigen Netflix an.

Säulen vor dem Nobelgeschäft eines Juweliers.

Die Schmuckmarke Tanishq musste einen Werbespot über ein interreligiöses Paar zurückziehen Foto: Mayank Makhija/Nur/picture alliance

BERLIN taz | Indiens Filmbranche um Bollywood hat sich schon manche Zensur gefallen lassen müssen: Szenen wurden rausgeschnitten, Titel geändert. Doch bisher sind Indiens Video-on-demand-Plattformen kaum von den strengen Prüfer*innen reguliert worden. Das ändert sich jetzt, wie Netflix gerade erlebt. Eine Kussszene zwischen zwei sich heimlich liebenden Studierenden in einem Tempel in der progressiven Serie „A Suitable Boy“ brachte Netflix jetzt zwei Anzeigen und einen Boykottaufruf ein.

Denn in der in den 1950er Jahren spielenden BBC-Produktion ist sie Hindu und er ein Muslim. Damals kam es nach der Gründung von Indien und Pakistan entlang vermeintlich religiöser Grenzen zu schweren Unruhen. 


Der Jungpolitiker Gaurav Tiwari von der hindunationalistischen Volkspartei BJP warf Netflix jetzt vor, mit der Serie für den „Heiligen Krieg der Liebe“ („Love Jihad“) zu werben. Deshalb reichte Tiwari Beschwerde ein.

Andere Hindu-Politiker und -Hardliner griffen seinen Vorwurf auf. Mit dem inzwischen zum Kampfbegriff gewordenen Ausdruck „Love Jihad“ meinen sie die Gefahr, dass muslimische Männer vorgeben, nichtmuslimische Frauen zu lieben, um sie zum Islam zu konvertieren und so die Demografie des Landes zugunsten der Muslime zu ändern.

Werbespot empört Hindunationalisten

Erst vor wenigen Wochen hatte sich die Schmuckmarke Tanishq nach Drohungen gezwungen gesehen, einen Werbespot zurückzuziehen. Darin feierte eine hinduistische Frau mit ihrer angeheirateten muslimischen Familie eine Babyparty. Hindunationalist*innen waren empört.

Wer in Uttar Pradesh die Ehepartnerin zum Wechsel der Religion zwingt, muss 10 Jahre in Haft

Am Dienstag ist in Indiens bevölkerungsreichstem und auch von der BJP regierten Bundesstaat Uttar Pradesh ein Gesetz verabschiedet worden, das jeder Person, die mittels Ehe bei ihrem Partner einen Religionswechsel erzwinge, mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren bestraft.

Paare verschiedener Religionen müssen in Uttar Pradesh künftig zwei Monate im Voraus von den Behörden prüfen lassen, ob sie überhaupt heiraten dürfen. Zwei weitere Bundesstaaten haben bereits ähnliche Gesetze angekündigt.

Den BJP-Jungpolitiker Tiwari freut, dass Tempelküsse in Filmen künftig nicht mehr so einfach in seinem Bundesstaat Madhya Pradesh erlaubt sind. Dort regiert ebenfalls die hindu­na­tionalistische BJP.

Bollywood wundert sich über Anzeigen

Doch in Mumbai, wo ein Großteil der Filmbranche zu Hause ist, sieht man das anders und wundert sich trotz der sonst üblichen Schnitte in der Filmzertifizierung über die Anzeigen. Denn Indiens Hindi-Film-Szene ist immer öfter in Film- und Serienproduktionen für Netflix und andere Videoplattformen involviert. Es ist ein großer Markt.

Swara Bhasker, die „A Suitable Boy“-Darstellerin, ließ die Vorwürfe nicht auf sich sitzen. Menschen hätten kein Recht, sich von einer gespielten Darstellung eines Kusses angegriffen zu fühlen, sagte sie, wenn sie nicht auch darüber entsetzt waren, dass vor zwei Jahren ein muslimisches Mädchen von einer Gruppe Männer in einem Tempel vergewaltigt wurde.

Da in Indien das vorsätzliche Verletzen religiöser Gefühle eine Straftat ist, drohen Monika Shergill und Ambika Khurana von Netflix Indien jetzt außer einer Geldbuße auch bis zu drei Jahre Haft. Der US-Mutterkonzern dürfte in diesem Fall eher keine ernsthaften rechtlichen Probleme bekommen. Doch dürfte dies Netflix wie anderen Produzent*innen zu denken geben, welche Inhalte sie künftig zeigen wollen.

Indiens hindunationalistische Regierung will ohnehin digitale Inhalte künftig stärker kontrollieren. Deshalb hat sie bereits Anfang November die digitalen Medien unter die Aufsicht des Informations- und Rundfunkministeriums gestellt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.