Interreligiöse Krise: Postlagerndes Miteinander

Bremens Evangelische Kirche will sich mit der Jüdischen Gemeinde über ihren Pastor Volker Keller verständigen. Der hatte sich ironisch als Antisemit bezeichnet

Vorreiter des christlichen Antisemitismus: Martin Luther Foto: Hendrik Schmidt, dpa

BREMEN taz | Jetzt hat die Bremische Evangelische Kirche (BEK) doch noch geantwortet. Präsidentin Edda Bosse sei zuvor im Ausland gewesen, teilte Schriftführer Renke Brahms auf Anfrage am Montag mit. Aber „heute Morgen haben wir miteinander sprechen können und der Jüdischen Gemeinde einen Brief geschrieben“ – mit der Bitte, sich baldmöglichst zu einem Gespräch zu treffen. Zum Krisengespräch.

Am 2. Mai hatte, erstmals in der Geschichte der Jüdischen Gemeinde zu Bremen, deren gesamter Vorstand gemeinsam einen Beschwerde-Brief an die BEK-Spitze geschrieben, adressiert an Bosse und Brahms. Es sei „auch das erste Mal“ gewesen, „dass sich der Landesrabbiner an einem Brief an die BEK beteiligt“, so der Vize-Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Grigori Pantijelew. Man habe „lange darüber beraten, und im Zuge der Beratungen hat das Schreiben etwas an Schärfe gewonnen“.

Anlass waren Auslassungen des BEK-Beauftragten für interreligiösen Dialog, Pastor Volker Keller: „Bestürzt und erschreckt“ sei man darüber, „dass Pastor Keller sich in unseren Augen hämisch und verunglimpfend, somit den Antisemitismus verharmlosend verhalten“ habe. Schwerer aber wiege, „dass er als Dialogbeauftragter sein Amt missbraucht und unwürdig seiner Funktion gehandelt“ habe.

Der Vegesacker Pastor hatte sich in einer Mail an Benjamin Weinthal, Korrespondent der Jerusalem Post, ironisch darüber beschwert, dass dieser nicht den Vortrag des Bremer Publizisten Arn Strohmeyer in seiner Kirchengemeinde skandalisiert hatte. Strohmeyer äußert sich seit Jahrzehnten zum Nahost-Konflikt: Dessen Wurzel sei das „zionistische Projekt“, dem „von Anfang an der Charakter eines großen Unrechts“ angehaftet habe, heißt es in seinem jüngsten Werk. Als er daraus zum Jahrestag der Reichspogromnacht im Bürgerhaus Weserterrassen hatte vortragen wollen, war Weinthal auf die Barrikaden gegangen (taz berichtete). Die Lesung wurde verschoben. Keller mahnte nun ähnliche Aufmerksamkeit für seine Vegesacker Soirée an. Weinthal habe ihn „nicht einmal beschimpft“, mokierte er sich, und versprach, ihn künftig vorab zu unterrichten. „Mit besten Wünschen nach Israel, Ihr Volker Keller, Antisemit.“

Die große antisemitisch-christliche Tradition hat sich, anders als die oft beschworene jüdisch-christliche, in vielen Dokumenten niedergeschlagen.

Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher (Entstehung zwischen 51 und 115 u.Z.), kanonischer Teil des Neuen Testaments, etablierte den Topos von den Juden als dem Volk der Gottesmörder: Ab Bischof Melito von Sardes (um 160) beriefen sich führende Theologen darauf, um Pogrome in Gang zu bringen.

Mit Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion (ab 313) verschärften sich diese feindseligen Tendenzen.

Eine neue Qualität erhielt der Antisemitismus durch Martin Luther, der in seinem Pamphlet „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) laut dem Soziologen Micha Brumlik „bis auf die Vergasung alles gefordert hat, was die Nationalsozialisten schließlich exekutiert haben“: Die Schrift wurde auch von Luthers Zeitgenossen als extrem gewertet.

Bremens Bürgermeister Johann Smidt, Theologe, trat beim Wiener Kongress (1814/15) als Vordenker einer Verschmelzung von theologischem und säkular-rassistischem Judenhass auf, die den völkischen Antisemitismus der Nazis vorbereitete.

Zwar: später hat er sich im Gespräch mit der taz davon distanziert. Aber in der Welt waren sie und außer in der Jerusalem Post fand die Nachricht vom Geistlichen aus der „ciudad di Bremen“, der sich selbst Antisemit nennt, auch in Mexiko und in den USA Abnehmer: schlecht für Bremen. Entsprechend erleichtert reagierte das Rathaus gestern, dass die BEK die Jüdische Gemeinde zum Gespräch einlädt: „Das begrüße ich sehr“, ließ Senator für Kirchenfragen Carsten Sieling (SPD) ausrichten.

Auf die Idee, sich an die Jüdische Gemeinde direkt zu wenden, war bei der BEK vor dem Brief selbst niemand gekommen – geschweige denn der Dialogbeauftragte. Auch mit der taz will der nicht mehr sprechen: Er sieht sich zu Unrecht mit Boykottaufrufen des von ihm mitgegründete Bündnisses Nordbremer Bürger gegen den Krieg gegen Israel in Verbindung gebracht. Bei der Jüdischen Gemeinde scheint indes das Misstrauen gegen ihn kaum zu schwinden. „Wie sollen wir einen Dialogbeauftragten […] akzeptieren“, heißt es im Brief an die BEK-Spitze, „wenn er sich offensichtlich antisemitisch präsentiert?“ Die Antwort müssen Bosse und Brahms noch finden: „Ich bitte um Verständnis, dass wir das Gespräch abwarten wollen, bevor wir uns weiter dazu äußern“, so der Schriftführer.

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