Interview Bundesanwalt Rainer Griesbaum: "Dschihad-Werbung ist strafbar"

Die Bundesanwaltschaft will islamistischen Terror verstärkt über das Internet verfolgen. Wer Werbung für islamistische Organisationen macht, wird hart bestraft.

Strafrechtlich nicht relevant: T-Shirts mit dem Konterfei von Osama Bin Laden. Bild: dpa

taz: Herr Griesbaum, will die Bundesanwaltschaft künftig Jagd auf muslimische Jugendliche machen, die sich Bin-Laden-Bildchen zuschicken?

Rainer Griesbaum: Wie kommen Sie denn darauf?

Sie haben angekündigt, bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors verstärkt auch Propagandadelikte im Internet zu verfolgen.

Das stimmt. Der islamistische Terror besteht schließlich aus drei Säulen: der Durchführung von Anschlägen, der erforderlichen Logistik und, als dritte Säule, der Propaganda. Hierzu zählen etwa Leute, die Reden von Ussama Bin Laden verbreiten. Weil das meist im Internet stattfindet, sprechen wir vom virtuellen Dschihad.

Der Terror im Netz: Nach 2001 wurde die Struktur von al-Qaida weitgehend zerschlagen. Heute steuert die Führung um Ussama Bin Laden ihre Anhänger überwiegend indirekt. Niemand muss nach Pakistan ins Ausbildungslager fahren, um Anschlagstechniken zu lernen. Bombenbau-Anleitungen gibt es auch im Internet. Durch die Verbreitung von Al-Qaida-Botschaften sollen neue Aktivisten rekrutiert werden. Mit Hilfe von Videos und Drohreden setzt das Terrornetzwerk zudem missliebige Regierungen unter Druck und versucht, die Bevölkerung einzuschüchtern.

Der Schreibtischtäter: Der Iraker Ibrahim R. war arbeitslos und saß den ganzen Tag in Georgsmarienhütte an seinem Computer. Im frei zugänglichen Chatroom "al Ansar Ansar al Mujaheddin" hörte er sich Botschaften von Ussama Bin Laden und anderen Al-Qaida-Größen an. Außerdem verbreitete er Links zu Webseiten, auf denen weitere Videos und Reden zu finden waren. Er hatte sich die Reden auf al-Qaida-nahen Internetseiten selbstständig besorgt und ohne Auftrag gehandelt. Für die Bundesanwaltschaft war er damit der erste überführte Cyber-Dschidhadist. Das Oberlandesgericht Celle bestrafte ihn mit einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Er habe sich bin Ladens Werben um neue Al-Qaida-Aktivisten zu eigen gemacht. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil.

Die verbotene Werbung: Seit 1976 steht die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung unter Strafe. Seit 2002 gilt dies auch für ausländische Terrororganisationen. Geregelt ist das in den Paragraphen 129a und 129b des Strafgesetzbuchs. Wer nicht Mitglied ist, kann sich strafbar machen, indem er die Terrorgruppe unterstützt oder für sie wirbt. Seit einer rot-grünen Reform im Jahr 2002 ist allerdings die bloße Sympathiewerbung nicht mehr strafbar, sondern nur noch die Anwerbung von Mitgliedern. Die Bundesanwaltschaft wollte die Sympathiewerbung als "Unterstützung" einer terroristischen Vereinigung weiter verfolgen. Das hat aber der Bundesgerichtshof 2007 verboten, weil es den Willen des Gesetzgebers missachte.

In einem Pilotverfahren wurde im vergangenen Jahr ein Mann zu drei Jahren Haft verurteilt, der im Internet Reden von Al-Qaida-Größen verbreitet hat. Finden Sie das nicht unverhältnismäßig hart?

Überhaupt nicht. Drei Jahre Haft sind eine angemessene Strafe. Der Mann hat in 22 Fällen versucht, Mitglieder und Unterstützer für al-Qaida zu werben. Das sind schwere Straftaten.

Es ist doch gar nichts passiert. Der Mann hat in einem Chatroom einige Reden zum Anhören angeboten und einige Links auf andere Seiten verbreitet. Ob das irgendjemand beeindruckt hat, ist nicht nachgewiesen.

Die Werbung für eine terroristische Vereinigung ist immer strafbar, unabhängig von ihrem Erfolg. Und oft hat die Werbung ja auch Erfolg, vor allem wenn ein in der Szene angesehener Islamist junge Leute um sich schart. Ich bin mir sicher, als jemand, der seit fast 30 Jahren den Terrorismus bekämpft, dass wir solche strafrechtlichen Instrumente gegen terroristische Werbung brauchen.

Auch gegen muslimische Jugendliche, die Bin Laden für eine Art Popstar halten?

Nein. Der Deutsche Bundestag hat 2002 beschlossen, dass die bloße Sympathiewerbung für terroristische Vereinigungen nicht mehr strafbar ist. Die Jugendlichen mit ihrem Bildchen-Tausch haben also nichts zu befürchten.

Ärgert es Sie, dass Sie nicht mehr gegen die Sympathiewerbung für al-Qaida vorgehen können?

Nein, das war eine gute Entscheidung des Bundestags. Wir haben in Deutschland Meinungsfreiheit, deren Grenzen selbstverständlich respektiert werden müssen. Strafbar ist nach Paragraph 129a aber noch die Werbung um Mitglieder oder Unterstützung für eine Terrororganisation. Denn dabei entsteht eine Gefahr, die die Gesellschaft nicht akzeptieren kann. Das ist für die Bundesanwaltschaft viel wichtiger als die Verfolgung von Sympathiewerbung.

Wenn ich ein Bin-Laden-T-Shirt trage, ist das also nicht strafbar?

Nein. Es ist nach Paragraph 129a auch nicht strafbar, wenn Sie öffentlich erklären, dass Sie al-Qaida gut finden, wenn Sie allgemein zum Heiligen Krieg aufrufen oder die Dschihad-Ideologie loben. Es macht keinen Sinn, dieses ganze diffuse Umfeld in die Terrorbekämpfung einzubeziehen. Das würde das Strafrecht überfordern.

Aber warum ist dann die Verbreitung von Bin-Laden-Reden strafbar? Ist das keine straflose Sympathiewerbung?

Bin Laden ist die wichtigste Symbolfigur von al-Qaida. Wenn er zum Dschihad aufruft, dann ist dies zumeist auch als Aufruf zu verstehen, Mitglied von al-Qaida zu werden oder al-Qaida zu unterstützen, zum Beispiel durch Spenden. Das hat der Bundesgerichtshof 2007 auch so entschieden.

Macht sich also jeder strafbar, der eine Bin Laden-Rede liest oder weitergibt?

Nein. Es ist weder verboten, solche Reden zu lesen, noch sie aus dem Internet herunterzuladen. Es ist nur strafbar, solche Reden zu verbreiten, um damit für al- Qaida neue Mitglieder und Unterstützer zu werben. Ob dies die Absicht war, muss in jedem Einzelfall geprüft werden.

Ein Fernsehsender dürfte also eine Bin-Laden-Rede dokumentieren?

Natürlich, denn hier geht es nicht um Werbung, sondern um Information, die straflos ist. Wenn aber ein radikaler Islamist eine solche Rede an andere Islamisten schickt, um ihre Kampfbereitschaft zu wecken, dann ist das strafbar. Es kommt also immer auf die Umstände an.

Wird dabei nicht die Gesinnung bestraft?

Nein. Bestraft wird die Werbung. Die Gesinnung ist nur ein Indiz dafür, dass ein entsprechender Vorsatz bestand.

Was ist mit islamistischen Drohvideos?

Wir gehen davon aus, dass diese als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar sind, weil das Ziel hier ist, den Gegner einzuschüchtern und zu demoralisieren.

Sie sehen darin also keine straflose Sympathiewerbung?

Ich bitte Sie, wenn mit Anschlägen gedroht wird oder wenn gezeigt wird, wie eine Geisel geköpft wird, das ist doch keine bloße Sympathiewerbung. Das ist vielmehr terroristisch motivierte, psychologische Kriegsführung gegen die westlichen Gesellschaften.

Wie ermitteln Sie eigentlich gegen islamistische Internet-Täter?

Es gibt grundsätzlich zwei Wege: Entweder gegen jemanden wird ohnehin ermittelt und dabei fällt auch das Handeln im Internet auf. Oder wir studieren die Veröffentlichungen im Internet und hoffen, dass jemand dabei eine Kleinigkeit über sich mitteilt und sich so verrät.

Sie haben also keine neuen Hightech-Methoden?

Nein, das ist klassische Ermittlungsarbeit. Wir fügen Puzzleteil zu Puzzleteil, bis wir ein Gesamtbild haben.

Wenn Sie einen Internet-Chatroom über längere Zeit überwachen, dann fallen dabei große Datenmengen an. Haben Sie überhaupt die Kapazitäten, das alles auszuwerten?

Das macht ja in den meisten Fällen nicht die Bundesanwaltschaft selbst, sondern in der Regel das Bundeskriminalamt. Aber es stimmt, die Datenmengen sind gewaltig.

Und dann wird in solchen Chats in der Regel nicht deutsch gesprochen.

Nein, wir müssen sehr viel übersetzen lassen, aus dem Arabischen, aus dem Kurdischen, aus vielen anderen Sprachen.

Wäre es nicht besser, diese Kapazitäten auf die Verhinderung von Terroranschlägen zu konzentrieren?

Sie bauen hier einen künstlichen Gegensatz zwischen Anschlägen und Propaganda auf. Propaganda soll zu Anschlägen führen. Wer gegen die Propaganda angeht, verhindert auch Anschläge. Außerdem haben wir genügend Ressourcen, um alle Terrordelikte zu verfolgen.

Zumindest die Sympathiewerbung für Terrorgruppen müssen Sie heute nicht mehr verfolgen, während es in den 70er- und 80er-Jahren noch hunderte Ermittlungsverfahren gegen RAF-Sympathisanten gab. Hätte man den Paragraph 129a nicht viel früher entschärfen müssen?

Nein, Werbung für die RAF war nie so diffus wie etwa Werbung für den Dschihad. Bei der RAF ging es um eine inländische Terrororganisation mit einer konkreten Ideologie.

Warum musste man es bestrafen, wenn jemand "RAF lebt" an einen Brückenpfeiler sprüht?

Auch früher wurde sehr genau geschaut, wer hat das zu welchem Zweck gemacht. Da wurden keine Dumme-Jungen-Streiche bestraft. Nach der Deeskalationserklärung der RAF 1992 gab es auch kaum noch Anklagen. Wenn etwa ein Punker ein T-Shirt mit RAF-Emblem trug, dann haben wir darin keine Werbung für die Terrorgruppe RAF mehr gesehen, sondern nur noch eine plakative Systemkritik, die schon damals straflos war.

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