Interview Moderatoren-Legende Segurola: "Spanien ist das neue Brasilien"

Radiomoderator Santiago Segurola schwärmt davon, wie die spanische Elf den FC Barcelona kopiert. Auf den alten Konflikt zwischen Zentralisten und Separatisten im Land habe das leider keinen Einfluss.

Klein, leicht, lang verschmäht: Xavi und Villa. Bild: dpa

taz: Señor Segurola, die Spanier wurden bei großen Turnieren viele Jahre als Geheimfavorit gehandelt, um dann doch stets überraschend auszuscheiden. Woran lag das?

Santiago Segurola: Der Schlüssel für das Scheitern lag in der Bezeichnung der Nationalmannschaft in jenen Jahren: "Furia roja", die "rote Furie". Das war ein animalisches, ein blindes Konzept. Eine solche sinnlose "Furie" erreicht gar nichts. Was damals gefehlt hat, war eine spielerische Identität. Wir hatten gute Spieler, aber keinen eigenen Stil.

Mit dem Gewinn der Europameisterschaft 2008 hat sich das aber doch geändert?

53, ist stellvertretender Chefredakteur der spanischen Sportzeitung Diario Marca und hat sich außerdem als Radiomoderator einen Namen gemacht.

Der Erfolg der spanischen "selección" ist meines Erachtens vor allem dem Kampf einiger Spieler zu verdanken, die von der heimischen Presse traditionellerweise verschmäht wurden. Ich rede von solch herausragenden Fußballern wie Xavi und Iniesta oder auch David Silva und David Villa. Ihnen wurde lange vorgeworfen, dass sie körperlich nicht in der Lage seien, mit den anderen großen Mannschaften mitzuhalten, weil sie so klein und leicht sind. Diese Einschätzung hat sich zum Glück mittlerweile geändert. Heute hat Spanien einen einzigartigen Stil. Dieser basiert auf der Philosophie des FC Barcelona, der auch den Stamm der Mannschaft stellt.

Und was zeichnet diese Spieler denn aus?

Sie haben eine überragende Technik. Das macht den Unterschied. Spanien hat zuletzt ständig gewonnen, weil es gerade das technisch beste Team der Welt ist, nicht das körperlich stärkste. Wer das nicht sehen will, ist selbst schuld. Für mich ist Spanien das neue Brasilien, während Dunga die Brasilianer am liebsten in Deutsche verwandeln würde. Außerdem sind die besten spanischen Fußballer alles Mittelfeldakteure. Kein anderes Nationalteam kann im spielentscheidenden Mittelfeld eine solche Qualität wie die Spanier aufbieten.

Spanien ist ein Land, in dem traditionell regionale Spannungen bestehen, was sich auch immer wieder im Fußball widergespiegelt hat. Im vergangenen Jahr zum Beispiel, beim Pokalfinale zwischen dem FC Barcelona und Bilbao wurde die Nationalhymne und der anwesende spanische König gnadenlos ausgepfiffen.

Ich war beim Finale in Valencia dabei und kann nur sagen: Wenn sich alle Probleme Spaniens durch ein einminütiges Pfeifkonzert lösen ließen, würde es dem Land sehr gut gehen. Und abgesehen davon war es eine ausgesprochen faire Partie. Ich glaube, dass der Fußball der politischen Realität nicht entkommen kann. Vereine wie Athletic Bilbao und der FC Barcelona haben Anhänger in allen politischen Lagern. Gleichzeitig repräsentieren diese beiden Klubs aber auch ihre Region, die Konflikte mit dem Zentralstaat haben. Das leugnen zu wollen bringt auch nichts.

Joan Laporta, der scheidende Präsident des FC Barcelona, scheint in die Politik gehen zu wollen und fordert die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien …

Es ist hässlich und schlecht, den Fußball für politische Zwecke einsetzen zu wollen. Das ist leider genau das, was Laporta gerade macht. Damit werden die Fans instrumentalisiert und ihr Willen wird missbraucht.

Ist es denn so schwierig für die spanische Gesellschaft anzuerkennen, dass Spanien ein mehrsprachiges und multinationales Land ist?

Spanien ist ein Land der Kontraste und Extreme. Wir waren früher eine Weltmacht, dann haben wir im 20. Jahrhundert 40 Jahre lang in einer Diktatur gelebt, die immer noch nicht aufgearbeitet ist. Auch die Spannungen zwischen Madrid und den Autonomiebewegungen in Katalonien und im Baskenland dauern an. Aber beide Blickwinkel sind sektiererisch. Auf der einen Seite die Separatisten, die nicht einsehen wollen, dass eine vernünftige Beziehung zum Zentralstaat sinnvoll ist; auf der anderen Seite die Nationalisten, welche das ganze Land mit der spanischen Fahne zukleistern wollen. Letztlich sind das sehr ähnliche, engstirnige Sichtweisen. Ich bin Baske und glaube an eine Vielfalt, die auf Toleranz aufbauen muss.

Die Wirtschaftskrise hat Spanien schwer getroffen. Könnte ein Erfolg des spanischen Nationalteams bei der WM angesichts der schwierigen aktuellen Situation als ein nationaler Integrationsmotor wirken?

Nein. Der Fußball löst keine Probleme, sondern kann allenfalls die Menschen erfreuen, wenn es für die eigene Mannschaft gut läuft. Wer dem Fußball andere, tiefere Werte zuzuschreiben versucht, der irrt meines Erachtens.

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