Interview afghanische Frauenrechtlerin: "Die Truppen schützen Frauen"

Vieles in ihrem Land sei besser geworden, insbesondere die Situation der Frauen, sagt Shukria Barakzai, paschtunische Frauenrechtlerin und Abgeordnete in Kabul. Barakzai: "Wir wollen den Erfolg".

Das afghanische Parlament tagt. Bild: dpa

taz: Frau Barakzai, was ist in Afghanistan schiefgelaufen?

Shukria Barakzai: Der größte Fehler war, die Warlords wieder an die Macht zu bringen und dass sich die USA nach der Niederlage der Taliban so schnell dem Irak zugewandt haben.

Inzwischen glauben viele Beobachter, Afghanistan wird nie eine richtige Demokratie.

Zeigen Sie mir ein anderes Land, in dem Menschen unter Lebensgefahr wagen, wählen zu gehen. Demokratie ist ein Prozess. Wir haben viele Bestandteile einer Demokratie angenommen wie etwa freie Medien. Wir akzeptieren die Demokratie und praktizieren sie.

Geht es nicht seit 2005 wieder bergab? So gab es bei den Präsidentschaftswahlen 2009 viel mehr Betrug als 2004.

Zweifellos gibt es Rückschritte, aber auch viel Fortschritt. So haben wir heute ein Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen. Bis 2005 wollten sich alle nur an schnellen Lösungen beteiligen, jetzt wird es umfassender. So ist es gut, dass die Zahl der Polizisten endlich erhöht wird. Bildungs- und Gesundheitssystem verbessern sich, die Straßen sind in besserem Zustand, das Telefonnetz funktioniert wesentlich besser. Wir haben noch viele Probleme, aber wir wollen den Erfolg.

Sie nennen den Aufbau der afghanischen Polizei positiv. Vertrauen Sie ihr wirklich?

Shukria Barakzai, 38, ist Abgeordnete im afghanischen Unterhaus. Während des Taliban-Regimes musste sie ihr Studium abbrechen und wurde für einen Arztbesuch ohne männliche Begleitung bestraft. Später unterrichtete sie illegal Mädchen in ihrem Haus. Im Jahr 2002 gründete Barakzai die Frauenzeitschrift Aina-e-Zan ("Spiegel der Frauen"), Ende 2003 gehörte sie der verfassunggebenden Versammlung an. Ihr Ehemann, der Millionär und Geschäftsmann Abdul Gafar Dawi, nahm sich eine zweite Frau, ohne sie zu informieren.

Ja. 2007 sah ich bei einer Demonstration in Kabul, wie ein Polizist Leute bestahl. 2009 habe ich dagegen einen Polizisten erlebt, der Menschen schützte und zugleich bei einem Selbstmordanschlag das erste Opfer wäre. Das hat mich sehr stolz gemacht.

US-Präsident Obama stockt die US-Truppen in Afghanistan auf mit dem Ziel einer militärischen Wende und dem baldigen Beginn eines Abzugs. Was halten Sie davon?

Es besteht große Verwirrung, denn Obamas Botschaften von Aufstockung und Abzug sind widersprüchlich. Wir brauchen nicht nur Soldaten, sondern auch Lehrer und Experten. Die Konzentration auf das Militär und den Plan für einen Krieg ist kein Weg zu Frieden und Stabilität.

Wird Obamas Strategie scheitern?

Sie kann funktionieren, wenn sie parallel zum Wiederaufbau umgesetzt wird. Leider brauchen wir die militärische Komponente, da der Feind direkt vor der Tür steht.

Ist Präsident Hamid Karsai überhaupt rechtmäßig gewählt?

Ich habe für die Demokratie gestimmt, nicht für Präsident Karsai. Doch die [abgesagte] Stichwahl um die Präsidentschaft wurde nicht wegen des Betrugs im ersten Durchgang angesetzt, sondern aufgrund des ausländischen Drucks.

Gab es denn keinen massiven Betrug?

Die Frage des Wahlbetrugs ignoriert Afghanistans Realitäten. Es gibt kein Land auf der Welt, in dem Wahlen hundert Prozent fair sind. Ich war von den lokalen wie internationalen Medien enttäuscht, weil sie nur von Betrug gesprochen haben, aber nicht über die Umstände, unter denen die Menschen wählen gegangen sind. Es war wohl kein Präsidentschaftskandidat direkt in den Betrug verwickelt, sondern eher ihre Unterstützer. Als in Afghanistan lebende Afghanin kann ich sagen, niemand ist mit Präsident Karsai zufrieden. Aber Abdullah Abdullah war keine Alternative. Er war zuvor Sprecher einer Bürgerkriegsfraktion und hatte später als Außenminister keine Verbindung zum Volk. Er ist der Repräsentant des Afghanistans von gestern. Doch die Menschen sind froh, im Heute zu leben - trotz der vielen Probleme. Deshalb haben die Menschen Karsai unterstützt, auch wenn sie ihn nicht mögen.

Wie bewerten Sie Hamid Karsais Konflikt mit den Vereinigten Staaten?

Es gibt in der Tat einen Konflikt, denn die USA müssen lernen, auf die Afghanen zu hören, was ihre eigenen Fehler angeht. Aber es gibt keinen Konflikt über die politische Partnerschaft.

Sehen Sie keinen Vertrauensverlust zwischen Washington und Kabul?

Beide Seiten haben keine andere Wahl und müssen kooperieren.

Karsai drohte kürzlich in einer Rede gar damit, sich den Taliban anzuschließen.

Das wird er nie machen, denn sein Vater wurde von ihnen ermordet. Die Taliban bezeichnen seine Regierung als illegitim. Ausländer, die Karsais Wahl kritisieren, stellen sich deshalb mit den Taliban auf eine Ebene. Karsais Rede war an ein innenpolitisches Publikum gerichtet und zeigt, dass die Afghanen den mangelnden Respekt leid sind.

Regiert Karsai nur noch mit Unterstützung der Warlords?

Zum Glück nicht. Von seiner Kabinettsliste haben wir im Parlament nur die qualifizierten Minister bestätigt. Die Warlords haben wir abgelehnt. Das Parlament besitzt inzwischen Macht. Zwar findet man dort auch War- und Druglords, aber sie konnten sich nicht durchsetzen.

Auf wen stützt sich Karsais Herrschaft?

Wir haben meist nicht die Wahl zwischen gut und böse, sondern zwischen schlecht und schlechter. Wir können froh sein, wenn nur das Schlechte gewinnt. Nun müssen wir dafür sorgen, dass es nach Karsais jetziger zweiter und damit letzter Amtszeit keinen noch schlechteren Präsidenten gibt.

Noch mal: Wer in Afghanistan unterstützt Karsai heute?

Niemand unterstützt ihn politisch, es gibt auch niemanden, der eine realistische Alternative zu ihm darstellt. Und heute kann ich mich wenigstens mit Ihnen unterhalten, früher wäre das unmöglich gewesen.

Karsai fordert die Taliban zu Verhandlungen auf. Welche Chancen sehen Sie für eine Verhandlungslösung?

Karsai entscheidet das nicht allein, sondern die Personen in der [für Ende Mai angesetzten] Friedensdschirga. Es ist gut, durch diese Versammlung die Verantwortung wieder ein Stück an die Bevölkerung zurückzugeben. Verhandlungen gehören auch zu Obamas Strategie.

Die USA wollen erst nach militärischer Schwächung der Taliban verhandeln.

Über Verhandlungen entscheiden die Afghanen und nicht die USA oder Karsai.

Wie entscheiden denn die Afghanen darüber?

Die Afghanen werden nicht für Verhandlungen stimmen, wenn diese außerhalb der Verfassung stattfinden sollen. Auf der Friedensdschirga wird man das bald so entscheiden.

Die Taliban bestehen vor Gesprächen auf einem Abzug der internationalen Truppen.

Das verlangen sie immer, ist aber nicht die Meinung der Afghanen. Umgekehrt unterstützt derjenige in der internationalen Gemeinschaft die Taliban, der den sofortigen Abzug der internationalen Truppen fordert.

Die Regierung will Gespräche nur auf Grundlage der Verfassung führen.

Es darf keine Gespräche außerhalb dieses Rahmens geben, der alle Bürgerrechte beinhaltet, beginnend mit der Gleichstellung von Mann und Frau, unabhängigen Institutionen bis hin zum Aufbau der Demokratie. Die Verfassung darf nicht verhandelbar sein.

Fürchten Sie die Preisgabe von Frauenrechten?

Wir haben heute viele Frauen, die für ihre Rechte kämpfen. Wir leben nicht mehr im Jahr 2001. Frauen haben positive Veränderungen erfahren. Ihre Situation ist heute besser, als es die internationalen Medien darstellen. Eine Beschneidung unserer Rechte ist nicht akzeptabel.

Die internationale Militärintervention wurde auch mit dem Schutz von Frauen begründet. Frauen wurden jedoch auch Opfer der internationalen Truppen. Schützen diese tatsächlich die Frauen?

Nicht direkt, aber indirekt. Die Anwesenheit der internationalen Truppen gibt den Afghanen das Vertrauen, dass ihr Land nicht wieder in die Hände schlechter Menschen oder in einen Bürgerkrieg gerät. Dabei wären Frauen und Kinder die größten Opfer, insofern schützt die internationale Truppe Frauen.

Afghaninnen wurden bereits Opfer der internationalen Truppen.

Frauen sterben auch bei Selbstmordattentaten der Taliban. Zivile Opfer der internationalen Truppen sind nicht akzeptabel. Aber es wird besser, seit General Stanley McChrystal Verantwortung trägt.

Personen mit Kontakten zu den Taliban behaupten, diese würden Fehler ihrer Herrschaft einsehen und künftig Mädchen den Schulbesuch nicht mehr verbieten.

Wir können den Taliban nicht trauen, auch wenn es heute in den von ihnen kontrollierten Gebieten Schulen für Mädchen gibt. Das ist nur Taktik.

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