Interview mexikanische Aktivistinnen: "Lohn reicht nicht zum Leben"

Der Konzern Metro muss sich um Produktionsbedingungen seiner Ware kümmern, sagen die mexikanischen Aktivistinnen Merejilda Peñaloza und Rubenia Delgado.

Metro soll auch darauf achten, wie die Produkte hergestellt werden, die in den Märkten der Metro-Gruppe verkauft werden. Bild: dpa

taz: Frau Peñaloza, Sie arbeiten in einem mexikanischen Elektronikunternehmen. Womit haben Sie am meisten zu kämpfen?

Merejilda Peñaloza: Der Lohn ist das größte Problem. Er reicht nicht zum Leben. Also sind Überstunden fast Pflicht, weil man das Extra-Geld braucht. Ich arbeite oft 16 Stunden am Tag. Acht Stunden regulär, von 14 Uhr bis 22 Uhr, und dann noch einmal bis 6 Uhr morgens. Danach kann ich vier Stunden schlafen, bevor ich um 14 Uhr erneut auf der Arbeit sein muss.

Wie viel verdienen Sie?

Rund 209 Euro im Monat für eine reguläre 48-Stunden-Woche. Wir haben eine Sechs-Tage-Woche. Viele meiner Kolleginnen sind Alleinerziehende mit drei oder vier Kindern. Warenkorbberechnungen zeigen aber, dass die Frauen allein für Lebensmittel, Miete, Gas, Elektrizität, Transport und Wasser für ihre Familie mindestens etwa 370 Euro bräuchten. Überstunden müssen also sein - der Chef erwartet es sowieso. Arbeitet man nicht, bekommt man eine Verwarnung und später zum Beispiel keine Erlaubnis, mit dem kranken Kind zum Arzt zu gehen.

Frau Delgado, am 5. Mai sprechen Sie auf der Hauptversammlung von Metro - was werfen Sie dem Konzern vor?

Rubenia Delgado: Auf Arbeitsrechtsverletzungen in Mexiko nicht zu achten. Metro verkauft Elektronikartikel, die in Mexiko hergestellt werden, zum Beispiel Sony-Produkte. Wir wollen, dass man hier erfährt, unter welchen Bedingungen Handys, Computer und Fernseher entstehen, welche Rechte der Beschäftigten verletzt werden. Metro soll seine Lieferanten auffordern, fundamentale Arbeits- und Menschenrechte einzuhalten. Auch die KonsumentInnen sollten sich fragen: Wie wurde mein Notebook eigentlich produziert? Firmen, die nach Mexiko kommen, sollen unsere Gesetze achten.

Welche Arbeitsrechtsverletzungen registrieren Sie bei Ihrer NGO Cereal, die die Produktionsbedingungen in der Elektronikindustrie beobachtet?

In der gesamten Branche wird das Recht auf Organisations- und Koalitionsfreiheit unterdrückt. Überall gibt es zudem unglaublich kurze Arbeitsverträge. Viele bekommen nur Verträge über 28 Tage! Zu jedem Monatsende hören wir die Klagen, Familien oder alleinerziehende Frauen wissen nicht, ob sie im nächsten Monat Arbeit und Geld haben. Systematisch wird bei einer Entlassung auch die gesetzlich verbriefte Entschädigungszahlung verweigert oder gekürzt. Und bei etlichen Firmen, unter anderem bei Flextronics, die die Xbox-Spielekonsole für Microsoft herstellen, darf man nur per lange Warteliste und nacheinander auf die Toilette. Deshalb trinken viele Frauen kaum Wasser - und bekommen Blasenentzündungen oder Nierenerkrankungen.

Und das alles, obwohl es Gewerkschaften gibt?

In Mexiko handeln die Unternehmen mit einer der großen Gewerkschaften aus, dass sie für die ArbeiterInnen zuständig sind - ohne dass diese davon wissen. Die offiziellen Gewerkschaften vertreten die Interessen der Unternehmen. Denn die angeblichen Arbeitervertreter werden durch die Arbeitgeber finanziert, nicht durch Mitgliedsbeiträge der Beschäftigten.

Vor sechs Jahren haben sich führende Elektronikproduzenten den freiwilligen Verhaltenskodex EICC gegeben. Was hat er gebracht?

In Mexiko ist der Kodex ein Lippenbekenntnis, sich fair zu verhalten. Er bleibt zudem weit hinter dem mexikanischen Arbeitsrecht zurück. Es gab kleine, individuelle Verbesserungen, zum Beispiel werden ArbeiterInnen weniger wegen Tattoos oder - die Männer - wegen langer Haare diskriminiert, aber strukturell hat sich wenig verbessert. Außerdem evaluieren sich die Unternehmen selbst.

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