Interview mit Katarzyna Wielga-Skolimowska: „Die Polen hier sind liberal und links“

Vor einem Jahr wurde sie als Leiterin des Polnischen Instituts gefeuert. Nun arbeitet Wielga-Skolimowska bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

An neuer Wirkungsstätte am Checkpoint Charlie: Katarzyna Wielga-Skolimowska Foto: Joanna Kosowska

taz: Frau Wielga-Skolimowska, fühlen Sie sich eigentlich als Wendegewinnerin?

Katarzyna Wielga-Skolimowska: Auf jeden Fall.

Warum?

Weil ich von der Transformation, wie wir in Polen sagen, nur profitiert habe. Meine erste Begegnung mit dem Ausland war 1991. Das war in Deutschland, im Schwarzwald. Ich war 15 und dort zum Schüleraustausch. Das hat meinen Blick auf die Welt beeinflusst. Ich habe verstanden, dass Europa ein Organismus ist, dass Europa aus Ländern besteht, die zusammengehören.

Der Blick über den Tellerrand …

„Ich habe doch keinen Staatsverrat begangen. Aber vielleicht bin ich für manche zu selbstständig“

… hat mich geprägt. Durch den Austausch wusste ich, dass es sich lohnt, Fremdsprachen zu lernen. Das gab es in der Generation meiner Mutter nicht, da war das Ausland kein Thema. Man durfte ja nicht ausreisen, man brauchte die Sprachen nicht. Russisch war verpönt, und mit Deutsch konnte man nichts anfangen.

Die Wende war also eine Zeit, in der alles möglich war.

Für mich war alles offen. Die Zukunft war ein Versprechen. Das war aber auch die Zeit, in der das neoliberale System in Polen schon eingeführt war. Als Oberschüler haben wir davon aber nichts gespürt. Wir haben ohne großes Kalkül über unsere Zukunft entschieden.

Was wäre passiert, wenn Sie nicht nach Deutschland gefahren wären? Hätte es auch passieren können, dass Sie zu den Wendeverliererinnen gehören?

Das glaube ich nicht. Ich war in Warschau in einer sehr guten Oberschule. Allerdings habe ich mich mit Theaterwissenschaften für ein Studium entschieden, das damals als Luxusstudium galt.

Im staatlichen Fernsehen in Polen wird oft über No-go-Areas in Berlin berichtet. Für die Künstlerszene ist Berlin dagegen das Paradies. Es ist eine Insel der Freiheit in Europa

Ihre Eltern haben nicht gesagt: Um Gottes willen, Theaterwissenschaften? Mach lieber was Anständiges!

Nein, meine Mutter hat mir immer viel Freiheit gegeben. Vielleicht auch deshalb, damit ich meine eigenen Entscheidungen, aber auch meine Fehler selbst verantworte.

Für die Bundeszentrale für politische Bildung haben Sie im taz-Café eine Reihe mit fünf Diskussionen unter der Überschrift „transformacja“, also Transformation, organisiert. Wann ist Ihnen der Gedanke gekommen, dass diese Aufbruchstimmung eine Schattenseite hat? Dass es auch die gibt, die sich von dieser Euphorie nicht mitgenommen fühlen?

Sehr spät. Zu spät. Ich hab das zwar gespürt, aber richtig nachgedacht darüber habe ich erst, als im Oktober 2015 die neue PiS-Regierung gewählt wurde. Bis dahin ging ich wie viele andere davon aus, dass diejenigen, die sich abgehängt fühlen, selbst daran schuld seien. Ich habe nicht gesehen, dass das ein strukturelles Problem ist.

Aber die jüngeren Polinnen und Polen haben immer wieder darüber geklagt, dass sie nur befristete und schlecht bezahlte Verträge bekommen. Sind Sie tatsächlich ein Beispiel dafür, wie die Eliten in Polen die Spaltung der Gesellschaft nicht wahrhaben wollten?

Das habe ich natürlich mitbekommen, weil ich viel mit Künstlerinnen und Künstlern gearbeitet habe, die in prekären Arbeitsverhältnissen leben. Aber Ihre Frage stimmt nicht. Ich gehöre nicht zu einer Elite. Ich komme auch nicht aus einer Familie, die zu den Eliten gehört. Aber Anfang und Mitte der Neunziger gab es noch eine Chance aufzusteigen. Man brauchte nur ein bisschen Englisch zu können und kam sofort bei einer Werbeagentur oder einer anderen großen Firma unter. Später war das nicht mehr möglich, weil der Markt dicht war. Das haben schon die gespürt, die fünf oder sieben Jahre jünger sind als ich. Die, die in den Neunzigern jung waren, haben diese Stellen heute noch. Da ist kein Platz mehr für die, die nachfolgen.

Sie sagen, Sie seien selbst von der Wucht überrascht worden, mit der die PiS 2015 an die Macht kam. Geht denn der Riss, der seitdem die Gesellschaft in Polen durchzieht, auch bei Ihnen mitten durch die Familie?

Auf jeden Fall. Mein Schwiegervater hat PiS gewählt, meine Schwiegermutter die liberale Bürgerplattform PO. An Weihnachten ist das manchmal schwierig. Wir reden dann über andere Themen als Politik. Auch mit Bekannten versucht man, solche Themen zu vermeiden.

In Berlin und in Deutschland war man sehr überrascht über das Ergebnis. Das wirtschaftlich erfolgreiche Polen wählt nationalkonservativ und antieuropäisch. Wie sehr ärgert es Sie, mit Vorurteilen wie denen über die angeblich undankbaren Polen konfrontiert zu werden?

Das ärgert mich sehr. Meine Arbeit als Leiterin des Polnischen Instituts bestand darin, Verständigung zu ermöglichen. Dass ich den Deutschen, Österreichern, Israelis Polen näherbringe. Das war mein Job.

Und persönlich?

Dieses Staunen über die undankbaren Polen zeigt auch, dass es nach wie vor ein Überlegenheitsgefühl in Deutschland gibt. Da hat sich aber etwas geändert, als nach der Wahl im September die AfD in den Bundestag zog.

Im Dezember vergangenen Jahres wurden Sie als Leiterin des Polnischen Instituts abberufen, seit Juli arbeiten Sie bei der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin. Was ist da Ihre Aufgabe?

Ich finde es wichtig, dass auch nach dem Wahlsieg der PiS das Gespräch zwischen Deutschland und Polen weitergeführt wird. Deshalb machen wir bei der Bundeszentrale Veranstaltungen wie etwa die transformacja-Reihe. Manchmal laden wir auch Expertinnen und Experten nach Deutschland ein, die in Polen gar nicht mehr miteinander reden. Die andere Schiene sind geschlossene Workshops. Die richten sich an die polnische Community hier. Was braucht sie, wo sind die Defizite, was kann die öffentliche Hand dafür tun, damit sich nicht auch noch die Polinnen und Polen in Deutschland radikalisieren?

Wie groß ist denn die Unterstützung für Kaczyński in der polnischen Community in Berlin?

Da gibt es keine Daten. Ich kenne aber die Wahlergebnisse von 2015, wo man im Polnischen Institut wählen konnte. Da lag die Bürgerplattform an erster Stelle, und an Platz zwei kam Razem.

Die undogmatisch linke Bewegung und Partei.

Genau. Aber man muss halt auch sagen, dass man die Polen in Berlin nicht als stellvertretend für die Community in Deutschland ansehen kann.

Warum nicht?

So wie auch Berlin nicht stellvertretend für Deutschland steht. Die Community hier ist liberal und links, es gibt viele Künstlerinnen und Künstler, viele junge Leute.

Vor Kurzem wurde eine Studie vorgestellt, aus der hervorging, dass die konservativen Polen gar nicht mehr nach Berlin kommen, weil in den polnischen Medien Berlin als Stadt dargestellt wird, in der Flüchtlinge andauernd Gewalttaten begehen. Kennen Sie selbst Freunde aus Warschau, die sich vor Berlin fürchten?

Die Freunde, die ich kenne, fragen mich eher, wie man nach Berlin auswandern kann. Bei denen gibt es ein ganz anderes, positives Bild von Berlin. Aber es stimmt, dass im öffentlichen Fernsehen und Radio in Polen immer wieder über No-go-Areas in Kreuzberg und Neukölln berichtet wird. Man hört von den Gräueltaten der Jugendämter, die polnische Kinder ihrer Familie entziehen. Für die Künstlerszene in Polen ist Berlin dagegen das Paradies. Es ist eine Insel der Freiheit in Europa.

Haben Sie das auch so empfunden, als Sie Ende der Neunziger in Berlin Theaterwissenschaften studierten?

Das war unglaublich spannend. Es war die Zeit mit Matthias Lilienthal am HAU, mit Castorf an der Volksbühne, und zwar in Höchstform, mit der Schaubühne und Ostermeier und auch mit Peymann. Natürlich wurde damals überall erzählt, dass es Anfang der Neunziger noch krasser war. Aber auch damals spürte man noch diese Vielfalt, in der alles möglich war. So bunt und wild. Meine Magisterarbeit habe ich über Heiner Müller gemacht. Auch deshalb, weil für eine Polin wie mich die DDR Neuland war. Erst da habe ich verstanden, welche Konflikte es bei der Wiedervereinigung gab. Warum die Ostdeutschen gar nicht so happy waren wie die Polen, als der Eiserne Vorhang fiel. Heute verstehe ich, dass sie sich oft ähnlich abgehängt fühlen wie in Polen.

Als Sie als Leiterin des Polnischen Instituts abgelöst wurden, hatte der polnische Botschafter unter anderem bemängelt, man solle mehr konservative Schriftsteller nach Berlin einladen. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung machen Sie das. Geben Sie ihm also im Nachhinein recht?

Ich hab das auch als Institutsleiterin gemacht. Wir haben ganz verschiedene Geschichtsthemen angesprochen, zum Beispiel zum Warschauer Aufstand oder den Polen, die in die sogenannten wiedergewonnenen Gebiete umgesiedelt wurden. Aber natürlich ist es eine Ironie der Geschichte, dass ich jetzt meine Arbeit weiterführen darf, nur an einer anderen Stelle. Ich mache das gerne, weil es auch im Sinne Polens ist. Nicht im Sinne der Regierung, aber im Sinne eines differenzierten Bildes des Landes.

Nationalkonservative Intellektuelle wie Marek Cichocki haben dieses Engagement der Bundeszentrale als deutsche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Polens gewertet.

Ich wäre sehr gespannt, wie er meine Arbeit nun bewerten würde. Ich habe doch keinen Staatsverrat begangen. Im Gegenteil. Es ist gut für Polen, dass sich die Bundeszentrale mehr mit dem Land beschäftigt. Bisher waren die Gäste aus dem konservativen Spektrum, die wir nach Berlin eingeladen haben, eher begeistert.

Nach Ihrer Abberufung beim Polnischen Institut wurde ein Gutachten des polnischen Botschafters bekannt, in dem es hieß, Sie würden sich zu sehr mit jüdischen Themen beschäftigen und eine Kultur des Nihilismus fördern. Haben Sie seitdem die Gelegenheit gehabt, noch einmal mit Herrn Przyłębski zu reden?

Nein. Ich hab eine solche Gelegenheit auch nicht gesucht. Er hat das Recht, seine Meinung zu formulieren. Aber dieses Gutachten hatte mit der Realität meiner Arbeit nichts zu tun. Auch das Programm, das seitdem stattfindet, zeigt ja, dass es in erster Linie nicht um das Programm ging, sondern um meine Person.

Was ist an Ihnen so empörend, dass Sie für die PiS-Regierung in Warschau nicht tragbar sind?

(lacht) Ich weiß es nicht. Vielleicht, dass ich Transformationsgewinnerin bin und in diesem Sinne zu einer Elite gehöre, zu der ich mich gar nicht zugehörig fühle. Ich gehöre übrigens keiner Partei an. Ich habe unter vielen verschiedenen Regierungen gearbeitet. Aber vielleicht bin ich deshalb für manche zu selbstständig.

Was sagen Sie Ihrer fünfjährigen Tochter, wenn sie fragt, was typisch deutsch oder typisch polnisch sei?

Das sind für sie getrennte Welten. Polnisch ist für sie zu Hause. Deutsch ist die Sprache in der Öffentlichkeit.

Kann man mit verschiedenen Identitäten aufwachsen und das als Bereicherung empfinden?

Ich glaube schon. Für mich waren vor allem die Sprachen eine riesige Bereicherung. Dass man auch in verschiedenen Sprachen denken kann. Ich merke, dass ich auf Deutsch was anderes sage, als wenn ich es auf Polnisch tun würde. Es sind also eher parallele Identitäten, als dass sie sich mischen würden.

Dennoch gibt es den wachsenden Wunsch nach ethnischer Homogenität.

Wenn ich die Zahl der gemischten Ehen beobachte, wenn ich Kinder sehe, die nicht nur zwei, sondern drei oder vier Sprachen sprechen, sieht es nicht so aus, als ob man das stoppen könnte. Wenn ich alles über die Nationalität definiere, lande ich wieder im 19. Jahrhundert.

Manchen scheint das eine Orientierung zu geben.

Der Staat kann doch auch ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln, ohne dabei in den Kategorien von Nationalstaaten zu denken. Oder sogar des Volkes. Der Staat sollte inklusiv sein, nicht ausschließen, wie er es in Polen macht. Da spricht Kaczyński inzwischen von den guten Polen und den schlechten Polen. Das kann irgendwann auch zu einem kulturellen Clash führen.

Auch in Deutschland wird über eine neue Leitkultur debattiert.

Was ist mit Migranten, die Schiller lesen, und den Biodeutschen, die nie ein Buch von ihm in der Hand hatten? Macht man dann einen Test? Aber ich weiß schon, Diversität auszuhalten ist nicht immer einfach. Vor allem dann, wenn man nicht darauf vorbereitet ist und nicht schon in der Schule mit Vielfalt konfrontiert war. Wir brauchen auf jeden Fall eine Debatte. Ich selbst finde die Frage faszinierend, was deutsch ist, was polnisch, was europäisch. Das Schöne ist aber, dass es auf diese Fragen gar keine Antwort gibt. Identität und Zugehörigkeit sind Sachen, die man jeden Tag neu für sich bestimmen muss.

Ist das in den Städten leichter als in den ländlichen Regionen?

Das weiß ich nicht, weil ich nie auf dem Lande gelebt habe. In Städten lebt man nebeneinander. In den ländlichen Regionen muss man sich wahrscheinlich viel mehr damit beschäftigen, wenn einem Fremde auf der Straße begegnen. Da werden Differenzen viel schneller deutlich.

Zeigt der Rechtsruck in Polen, aber auch das Brexit-Votum, dass wir in Europa vor einem neuen Stadt-Land-Konflikt stehen?

Die Städte wählen in Polen liberal. Die ländlichen Regionen wählen eher konservativ, das ist in Deutschland auch so. Aber auch in den Städten werden die Spannungen größer. Das sind weniger kulturelle Spannungen als soziale. Die Frage, woher man kommt, spielt da allerdings immer weniger eine Rolle. Das sehe ich in der Kita meiner Tochter. Da kommen die Eltern aus aller Herren Länder, aber sie ticken trotzdem alle ähnlich.

Sie haben keinen deutschen Hintergrund. Woher kommt Ihre Affinität zu Deutschland?

Eigentlich wollte ich unbedingt Französisch lernen. Aber in der Schule, in der ich mich einschrieb, gab es dann nur Deutsch als erste Fremdsprache. Damit war ich zuerst gar nicht zufrieden. Was soll man in Warschau mit Deutsch anfangen?

Weil Deutsch die Sprache der ehemaligen Besatzer ist?

Das weniger. Eher war es so, dass ich gar nicht gewusst habe, wie wichtig die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen waren. Aber nach dem Austausch im Schwarzwald hat sich das geändert.

Von Warschau in den Schwarzwald, das war bestimmt auch nicht ganz so einfach.

Das war krass. Du bist da mitten in der Milkawerbung gelandet. Aber es gibt noch eine zweite, eine eher unbewusste Geschichte zu dieser Affinität.

Und die wäre?

Meine Großmutter zog 1946 nach Stettin. Dort habe ich einen Teil meiner Kindheit und meine Ferien verbracht. In einem alten deutschen Haus in Stettin. Als ich das erste Mal in Berlin war und in einem Altbau im Flur stand, dann kam mir dieser Geruch wieder in den Sinn. Der Geruch der Dielen und die Geschichten, die meine Großmutter von diesem Haus in Stettin erzählt hat. Das waren ja auch deutsche Geschichten.

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