Interview mit Miriam Edding: „Verzweiflung hautnah mitbekommen"“

Miriam Edding, Hamburger Mitinitiatorin von Watch the Med, über die Probleme und die Hürden bei der Rettung in Seenot geratener Flüchtlinge.

Militärische Grenzabschottung statt Hilfe: Frontex im Einsatz Bild: dpa

taz: Frau Edding, wie sind Sie bei Watch the Med, der Initiative, die ein Alarm-Telefon für Bootsflüchtlinge betreibt, gelandet?

Miriam Edding: Ich arbeite seit Jahren in verschiedenen transnationalen Netzwerken zur Situation an den EU-Außengrenzen. Nach der Katastrophe im Oktober 2013, als knapp 400 Menschen vor Lampedusa ertranken, war es für mich ein folgerichtiger Schritt, bei der Entwicklung des Alarm-Telefons mitzuarbeiten.

Eine internationale Organisation mit vielen lokalen Teams lässt sich nicht so einfach aus dem Boden stampfen.

Es geht sowohl um das Wissen von Migrationsrouten als auch um guten Kontakt zu Migranten, die diese Routen bereits zurückgelegt haben, und zudem darum, etwas ganz Konkretes zu tun. Wir haben auf existierenden Netzwerken wie Welcome to Europe aufgebaut und hatten konkrete Vorbilder aus dem migrantischen Communities, die auf privater Basis als Alarmphone funktionieren. Die Bausteine waren also da. Als die EU die Entscheidung fiel, mit Mare Nostrum ein Programm einzustellen, das faktisch ganz vielen Menschen das Leben gerettet hat, war das für uns die Initialzündung, loszulegen.

Wie funktioniert Watch the Med?

Es gibt eine Nummer, bei der alle anrufen. Die Anrufe werden automatisch an die diensthabenden Zweier-Teams weitergeleitet. Eine Person ist dabei meist mit den Flüchtlingen in Kontakt, während die zweite versucht, Hilfe zu organisieren. Kein Boot von Libyen nach Italien geht heute noch ohne Satellitentelefon los, weil die ganze Route so geplant ist, dass man sich irgendwann retten lässt.

Wie kommen die Flüchtlinge an die Nummer?

Unsere Nummer ist in den entsprechenden Communities inzwischen weitgehend bekannt: Migranten, denen wir schon helfen konnten, geben sie weiter. Ein klassisches Schneeballsystem, das auf Vertrauen basiert.

Das Projekt Watch The Med Alarm Phone wird seit dem 8. Oktober 2014 von Freiwilligen aus Europa und Nordafrika betrieben, um schiffsbrüchige Flüchtlinge zu retten:

Die Initiative hat eine Hotline für Flüchtlinge in Seenot eingerichtet: +334 86 51 71 61. Die MitarbeiterInnen arbeiten ehrenamtlich und dezentral von ihren jeweiligen Heimatstädten aus.

Die Flüchtlingshelfer geben den Menschen oft ein Satellitentelefon mit an Bord und halten sie an, bei einem Notfall auf See die Küstenwache und die Alarm-Phone-Hotline zu kontaktieren.

Die Initiative beobachtet, ob die Küstenwachen alle Möglichkeiten nutzen, um eine Seenotrettung einzuleiten, und versucht, Druck auf sie auszuüben.

Wie werden neue Aktivisten für Telefon-Einsätze ausgebildet?

Wer Interesse hat, bei uns einzusteigen, wird gemeinsam mit erfahrenen Alarmphone-Mitgliedern erste Schichten machen. Wenn das gut klappt, bekommt die Person den Zugang zu unserer Schulungsplattform im Internet, in der es etwa Empfehlungen gibt, wie man mit den Flüchtlingen spricht und wie mit der Küstenwache, um wirklich eine erfolgreiche Rettung zu initiieren. Alles funktioniert sehr professionell: Wir beobachten ständig auf Webseiten wie Marine traffic oder Vesselfinder den Schiffsverkehr im Mittelmeer, um selber einschätzen zu können, welche Handelsschiffe oder Seenotkreuzer gerade in der Nähe sind und für einen Rettungseinsatz infrage kommen. All das muss man sich Schritt für Schritt selber aneignen.

Wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt, in denen die Zahl ertrunkener Flüchtlinge in die Höhe geschnellt ist?

Ich hatte mehrere Schichten, die ich als extrem hart empfunden habe. Etwa am 12. April, unmittelbar vor der neuen großen Fluchtwelle, die ungezählte Menschenleben gefordert hat. Da hatten wir in einer Schicht Anrufe von acht verschiedenen Booten, deren Besatzungen sich zum Teil in lebensbedrohlichen Situationen befanden. Die Verbindung war teilweise schlecht, ich musste in verschiedenen Sprachen kommunizieren – all das hat den Stress noch erhöht. Du bekommst die ganze Verzweiflung in den Booten hautnah mit. Aber du musst ganz ruhig bleiben und kühlen Kopf bewahren. Das lässt einen nicht so schnell wieder los.

Wie gehen Sie damit um?

Selbst wenn du in neun von zehn Fällen nicht viel zur Rettung beitragen kannst, ist der eine Fall, wo du zur Rettung von Menschen beiträgst, der, der zählt. Unser Ziel ist es, die politischen Bedingungen zu verändern, die für dieses Leid verantwortlich sind – da muss es einen Gleichklang zwischen konkreter Hilfe und politischer Arbeit geben. Nur wenn man die menschlichen Tragödien in ihren politischen Rahmen einbettet, kann man das, was man am Alarmphone erlebt, ein Stück von sich weghalten.

Wie lässt sich diese Belastung verarbeiten?

Jeder von uns muss selber herausfinden, was er sich zumuten kann. Vorigen Dezember hatte ich Kontakt zu den Angehörigen von Flüchtlingen, denen wir zwar Hilfe organisieren konnten – aber hinterher habe ich erfahren, das viele von ihnen vor der Rettung erfroren sind. Von neun Kleinkindern an Bord hat nur eines überlebt. Ich musste diese Nachricht an die Angehörigen weitergeben. Das war schon extrem belastend.

Wo liegen die größten Hürden bei einem Rettungseinsatz?

Die größte Hürde sind unkooperative Küstenwachen. Die zweite große Hürde sind schlechte Verbindungen – das macht total Stress. Du musst manchmal eine Frage zehn Mal stellen. Schlimm ist es auch, wenn der Kontakt ohne Vorwarnung einfach abreißt: Dann können die Flüchtlinge gerettet worden sein oder etwas ganz Schlimmes ist passiert.

Was sind Ihre konkreten politischen Forderungen?

Wir fordern, legale Einreisemöglichkeiten zu schaffen. Zugespitzt: Fähren statt Frontex. Das will übrigens auch der UN-Berichterstatter für Flüchtlinge, Francois Crépeau, der Fähren zwischen Djibuti und dem Jemen fordert, um die Tausenden Flüchtlinge zu retten, die dort jedes Jahr ertrinken. Keiner würde mehr sterben, die Schleuser wären arbeitslos und billiger als die Maßnahmen der Flüchtlingsabwehr ist dieses Konzept allemal.

Würde die überwiegende Willkommens-kultur in Deutschland nicht kippen, wenn die Grenzen offener und die Flüchtlingsströme breiter wären?

Diese Gefahr sehe ich auch. Aber würde die Zahl der Migranten wirklich ansteigen? Wer nur die eine Chance hat, sein Land zu verlassen, das jahrelang vorbereitet und sein Leben dafür eingesetzt, der krallt sich daran fest, bleibt, egal wie hier seine Lebensbedingungen sind. Rückkehr hieße Scheitern, das ganze ist eine One-Way-Bewegung. Gäbe es aber Reisefreiheit, würden viele Flüchtlinge wieder zurück gehen, wenn sich Europa doch nicht als das erhoffte Eldorado erweist, oder sich die Situation in ihrem Herkunftsland bessert. Oder sie würden zwischen den Kontinenten pendeln, je nachdem wie die aktuellen Arbeits und Lebensbedingungen sind.

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