Interview mit Urheberrechtsexpertin: "Wieso soll Musik gar nichts kosten?"

Die Berliner Rechtsanwältin Angelika Strittmatter über den Wert künstlerischer Arbeit und eine angemessene Vergütung für Musiker und Rechteinhaber.

Stefan Raab mit Lena Meyer-Landrut auf der Bühne: Das Konto füllt sich auch über Gema-Gebühren. Bild: imago/showimages

taz: Am Montag dieser Woche hat das Parlament der Europäischen Union die Ausweitung der Schutzfrist für Tonaufnahmen von 50 auf 70 Jahre verlängert. Wie stehen Sie dieser Entscheidung gegenüber?

Angelika Strittmatter: Ich stehe ihr sehr positiv gegenüber. Künstlerische Leistung hat einen Wert. Weshalb sollen Künstler ihre Leistung an die Konsumenten verschenken? Alles was umsonst ist, steigert nicht das Ansehen, sondern gilt als beliebig. Die Gesellschaft sollte den Wert künstlerischer Arbeit schätzen und anerkennen. Das bedeutet auch, Musiker über einen angemessenen Zeitraum für ihre Leistung zu bezahlen.

Werden Songs nicht automatisch nach Ablauf von 50 Jahren "gemeinfrei"?

Es ist ein Trugschluss, dass Musikstücke nach dem Ablauf von 50 Jahren gemeinfrei würden. Das Urheberrecht gilt bis 70 Jahre nach dem Tod eines Künstlers, also auch für die Erben. Die Laufzeit für das Leistungsschutzrecht beginnt mit der Veröffentlichung des Tonträgers. Ich habe also, auch wenn das Leistungsschutzrecht gemeinfrei geworden ist, sowieso noch immer etwas an die Urheber (also für die Nutzung) zu zahlen.

Was passiert mit Künstlern, die die Rechte für ihre Songs vor langer Zeit an Plattenfirmen oder Produzenten abgetreten haben? Was können weniger bekannte Künstler und Plattenfirmen sich von der Entscheidung des EU-Parlaments erhoffen?

Angelika Strittmacher, Rechtsanwältin, ist Gründerin und Seniorpartnerin der Kanzlei SWS in Berlin, spezialisiert auf Urheberrechte im Kunst- und Entertainmentbereich. Klienten sind u. a. Brainpool und Stefan Raab.

Das Leistungsschutzrecht kommt sicherlich berühmten Musiktiteln eher zugute, aber doch auch den weniger bekannten Musikern. Wenn die Schutzfrist abgelaufen ist, dann bekommt der weniger berühmte Künstler oft gar nichts, so seine Leistung benutzt wird. Nun hat er zumindest die Chance, dass noch mal Geld in die Kasse kommt, auch wenn die Plattenfirma daran partizipiert. Es ist allemal besser, ein paar Prozent von Erlösen zu erhalten als gar nichts.

Wenn man fordern würde, dass die Rechte von den Plattenfirmen nicht mehr wahrgenommen, sondern an die Künstler zurückfallen sollen, verkennt man einiges. In vielen Fällen arbeiten mehrere Leistungsschutzberechtigte an einem Titel: Sänger, Studiomusiker, Produzenten etc. Würden jetzt die Rechte an jeden Einzelnen zurückfallen, könnte niemand mit dem fertigen Musiktitel mehr etwas anfangen, denn er bräuchte, wie die Plattenfirma, alle Rechte gebündelt.

Wird das Eintreiben von Urheberrechten auch dazu benutzt, um Einnahmenverluste der Plattenfirmen durch illegale Downloads aufzufangen?

Urheberschutz ist ja keine Erfindung von heute. Die Erlöse wurden durch illegale Downloads gesenkt, deshalb ist kein Künstler geneigt, seine Rechte noch weiter einzuschränken. Die Erlösschmälerung kann aber nicht durch die Verlängerung der Schutzfrist ausgeglichen werden.

Die Creative-Commons-Bewegung macht gegen die Entscheidung der EU Front und warnt vor einem "Wegsperren des aufgenommenen Kulturguts". Können Sie diesem Argument folgen?

Nein. Für das Ansehen von jahrtausendealten Kulturgütern in Museen wird auch Geld verlangt, wieso soll dann Musik gar nichts kosten? Und weggesperrt wird auch nichts. Songs können von jedermann neu aufgenommen werden, als Coverversionen. Auch der Künstler kann selbst, so die Rechte seiner Titel zeitlich für die Dauer der Schutzfrist der Plattenfirma eingeräumt wurden, nach Ablauf der sogenannten Titelexklusivität die Stücke neu aufnehmen. Die Titelexklusivität wird meist für fünf bis sieben Jahre nach Erstveröffentlichung oder Vertragsende eingeräumt.

Was ist am Urheberrecht zeitgemäß, was müsste Ihrer Ansicht nach reformiert werden?

Ohne Urheberrecht würde es für Künstler und Komponisten sehr schwer, angemessene Vergütungen für alle Auswertungen zu erlangen. Das Urheberrecht ist sehr komplex. Es sichert dem Urheber nicht nur finanzielle Ansprüche, sondern auch sonstige Rechte, wie etwa Schutz vor Entstellung und Vernichtung. Die Schwierigkeit des Urheberrechts ist, mit der rasanten technischen Entwicklung Schritt zu halten.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der GEMA?

Die GEMA und andere Verwertungsgesellschaften wie etwa die GVL sind von entscheidender Bedeutung für Musiker, denn über die GEMA bekommen sie Geld für jeden einzelnen Einsatz im Radio, im TV und Honorare für Verwertungen im Ausland. Einzelnen wäre es unmöglich, mit jeder TV- und Radio-Station auf der Welt Verträge abzuschließen. Es gibt aber Künstler, die nicht Mitglied der GEMA sind. Das bleibt jedem selbst überlassen. Die GEMA ist gehalten, sich den Herausforderungen der neuen Vertriebsformen im Internet zu stellen und angemessene Tarife aufzustellen. Sie hat aber die digitale Neuordnung verschlafen.

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