Interview über Sicherungsverwahrte: "Fast jeder ist psychisch gestört"

Die Kriminologin Monika Frommel glaubt, das Gesetz zur Unterbringung von Gewalttätern soll viele treffen. Zur Anwendung kommen wird es aber kaum.

Weggesperrt: Einzelzelle im Knast. Bild: dpa

taz: Frau Frommel, an diesem Freitag berät der Bundestag über das geplante Therapie-Unterbringungsgesetz. Werden Straftäter jetzt psychiatrisiert, weil man sie partout nicht aus der Sicherungsverwahrung entlassen will?

Monika Frommel: Das Gesetz ist eine Reaktion auf die Kampagne einiger Boulevardmedien. Das erklärt die Skepsis vieler Fachleute. Ich glaube aber, der Plan ist unter dem Strich gar nicht so schlecht.

Wen betrifft das Gesetz?

Es betrifft mehr als hundert Gewalt- und Sexualtäter, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte im Dezember entschieden, dass ihre Verwahrung nicht rückwirkend verlängert werden durfte. Sie sollen nun neu begutachtet werden. Wenn sie psychisch gestört und gefährlich sind, sollen sie zwangsweise untergebracht bleiben.

Verstößt das nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, wenn das Straßburger Urteil damit einfach ausgehebelt wird?

Nein, denn die Konvention lässt eine Freiheitsentziehung bei "psychisch Kranken" ausdrücklich zu.

Monika Frommel, 64, Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, ist seit 1992 Direktorin des Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie.

Die Sicherungsverwahrten sind aber nicht "psychisch krank"…

Aus Sicht der Konvention genügt eine psychische Störung, etwa eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, mit abnormer Aggressivität und fehlender Empathie für die Opfer. Auch der Straßburger Gerichtshof hat das schon bestätigt.

Wie viele Sicherungsverwahrte haben wohl eine psychische Störung?

Fast jeder.

Diese Personen waren aber bisher nicht in der Psychiatrie, sondern im Gefängnis. Lauter Justizirrtümer?

Das ist kein Widerspruch. Ein Straftäter landet nur dann als Maßregel in der Psychiatrie, wenn die Tat kausal auf der psychischen Störung beruhte und er seine Handlungen nicht mehr steuern konnte. Das wird bei dissozialen Tätern fast nie angenommen. Sie werden gerade wegen ihrer Störung zu hohen Freiheitsstrafen und eventuell zu Sicherungsverwahrung verurteilt.

Und nun? Kann keiner aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden, weil alle eine psychische Störung haben?

Nein. Denn es kommt ja auch darauf an, dass diese Personen noch gefährlich sind.

Das kann ja wohl angenommen werden, schließlich sitzen alle aufgrund von Gutachten in der Sicherungsverwahrung.

So einfach ist das nicht. Die Männer, um deren Entlassung es geht, sind inzwischen meist alt. Sie haben lange Haftstrafen und mindestens zehn Jahre Sicherungsverwahrung abgesessen. Ich gehe davon aus, dass neue Gutachter feststellen werden, dass diese Personen überwiegend nicht mehr gefährlich sind.

Warum kommen jetzt neue Gutachter ins Spiel?

Weil für die Anwendung des Therapie-Unterbringungsgesetzes die Zivilgerichte zuständig sind. Die arbeiten mit anderen Gutachtern zusammen als die Strafgerichte. Da werden alte Netzwerke durchbrochen und es entsteht Raum für neue Erkenntnisse. Das neue Gesetz wird wahrscheinlich nur sehr wenige Anwendungsfälle haben.

In welcher Einrichtung sollen dann diejenigen untergebracht werden, die noch gefährlich sind? In der Psychiatrie?

Auf keinen Fall. Man kann einen gefährlichen Vergewaltiger nicht in die Psychiatrie stecken, wo ja auch Frauen leben.

Also wieder ins Gefängnis?

Nein, das geht auch nicht. Das würde der Straßburger Gerichtshof als neue Strafe werten, die aber gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Infrage kommen vor allem kleine private Spezialkliniken. Dort kann man die Täter immer noch billiger sichern, als wenn sie draußen von 25 Polizisten rund um die Uhr überwacht werden.

Welche Therapie kommt für dissozial gestörte Täter in Betracht?

In der Regel Verhaltenstherapie. Die Täter müssen trainieren, ihre Aggressionen zu kontrollieren. Solche Programme sollten in den Haftanstalten aber so früh wie möglich eingesetzt werden, nicht erst in der Sicherungsverwahrung oder der Therapieunterbringung.

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