Interview: "Nachts zu öffnen war Tabubruch"

Der Lange-Nacht-Erfinder Volker Hassemer wehrt sich gegen Vorwürfe, die nächtlichen Museumsbesuche seien Volksspektakel ohne Tiefgang.

taz: Herr Hassemer, sind Sie ein Trendsetter?

Volker Hassemer: Ich war mit der richtigen Idee zur richtigen Zeit zur Stelle, wenn Sie das meinen. Ich ärgerte mich einfach, dass wenige Großausstellungen alle Aufmerksamkeit bekamen und die meisten Museen wie schlafende Riesen in der Landschaft lagen.

Also organisierten Sie eine nächtliche Bustour zwischen sämtlichen Museen der Stadt. Wie fanden das eigentlich die Busfahrer der BVG?

Das war erstaunlich: Die Fahrer waren Feuer und Flamme! Trotzdem ging bei der ersten Langen Nacht sehr viel schief, die Busse waren hoffnungslos überfüllt, wir waren auf den großen Andrang nicht gefasst. Aber trotz Pannen und langer Wartezeiten war die Stimmung super.

Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee - gehen Sie gern nachts ins Museum?

Ich selbst nicht. Aber ich grübelte, womit man die Leute ins Museum locken könnte: eintrittsfreier Tag, Fassadenbeleuchtung Nachts zu öffnen, das war ein Tabubruch. Wir reden von einer Zeit, als es noch keine flexiblen Öffnungszeiten oder ungewöhnlichen Präsentationsformen gab. Das hat die Lange Nacht geändert, es ist bis heute ihr größtes Verdienst.

Jetzt gibt es die Lange Nacht des Shoppings, der Sterne, der Schuldnerberatung. Welche Zukunft hat das Original?

Anfangs waren die Museen die größten Gegner der Langen Nacht. 1997 machten gerade mal 12 mit, dieses Jahr sind es 110. Das hat auch Nachteile: Eine reine Vermehrung der Teilnehmer reicht nicht aus. Um konkurrenzfähig zu bleiben, braucht die Lange Nacht mehr Inhalt. Sie muss sich immer wieder neu erfinden, um nicht unterzugehen.

Wie könnte so eine Neuerfindung aussehen?

Darum kümmern sich jetzt andere. Aber die Begegnung mit der Kunst muss Hauptsache bleiben, die Kunst darf nicht im Larifari untergehen.

Gerade das wird der Langen Nacht oft zum Vorwurf gemacht: ein Volksspektakel ohne Tiefgang zu sein.

Die Lange Nacht ist nicht oberflächlich, sie ist populär. Das Ziel ist, Leute ins Museum zu bringen, die dort sonst nicht hineingehen. Denn Kultur ist nicht nur Aufgabe der Kulturbeflissenen, sie ist eine Bringschuld der Gesellschaft.

Also Kunst und Würstchen für alle?

Warum denn nicht? Das geradezu unerbittliche Interesse der Besucher gibt uns recht. Außerdem kann auch der fleißigste Museumsgänger noch Neues entdecken: Niemand kennt alle 170 Museen der Stadt, genau wie niemand ein Telefonbuch durchlesen würde. Aber einen Terminkalender, den liest man.

Was war Ihre größte Entdeckung bei der Langen Nacht?

1997 war das Zuckermuseum das Schärfste, was es zu dieser Zeit gab. Ein paar Jahre später besuchte ich die Flick-Kollektion im Hamburger Bahnhof und verfolgte die heiße Diskussion unter den Lange-Nacht-Besuchern. Das war ein unvergessliches Erlebnis.

Und was haben Sie sich für dieses Jahr vorgenommen?

Ich muss Sie enttäuschen: Ich werde nicht hingehen. In Menschenmengen fühle ich mich unwohl.

VOLKER HASSEMER, 63, war von 1981 bis 1996 CDU-Senator für Stadtentwicklung und Kultur. Anschließend leitete er die Tourismusagentur "Partner für Berlin".

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