Investigative Journalisten: Die Spürnasen

Correctiv, Krautreporter und eine Stiftung für „Vielfalt und Partizipation“: Retten diese Projekte den Qualitätsjournalismus in Deutschland?

Investigative Recherchen für die Gesellschaft. Bild: imago/Paul von Stroheim

David Schraven und Jonathan Sachse sind mit einer Gabe gesegnet, die Kreative schon immer beflügelt hat: Größenwahn. Die beiden Journalisten sitzen in einem Ostberliner Plattenbau und planen die Revolution im deutschen Journalismus: Sie wollen, dass die Masse ihnen bei der Investigation hilft. Ihr erstes Ziel sind Einrichtungen, die das Geld von Millionen Bürgern verwalten. Schraven und Sachse wollen sich die Sparkassen vornehmen. Genauer gesagt: alle 417 Sparkassen.

„Unsere Idee ist es, Bürger und Aktivisten zu freien Journalisten zu machen, damit sie ihre Sparkasse durchleuchten“, sagt Schraven. Er hat jahrelang die Investigativ-Einheit der heutigen Funke Mediengruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) geleitet. Nun baut er Correctiv auf. Das Büro ist gemeinnützig, wird von der Essener Brost-Stiftung mit 3 Millionen Euro angeschoben und will die zunehmend taumelnde hiesige Medienbranche mit besonders aufwendigen Recherchen beschenken.

Die Correctiv-Strategie ist einmalig. Zwar haben Medien immer mal wieder ihre Leser eingebunden: Die Zeit hat sich jüngst die Zinssätze nennen lassen, die Banken von ihren Kunden berechnen, wenn die ihr Konto überzogen haben. Das neue Investigativ-Büro Correctiv will mehr: Seine Unterstützer sollen selbst bei Banken als Rechercheure auftreten.

Zuständig für das Großprojekt ist Sachse, der im Netz mit dem Slogan „Leidenschaft, Transparenz, Öffentlichkeit“ für sich wirbt und zuletzt die skandalgeplagte „Tour de France“ besonders intensiv begleitet hat. Nun ist er einer der festen Mitarbeiter von Correctiv. Sachse soll es schaffen, möglichst an allen Standorten deutscher Sparkassen Mitstreiter zu gewinnen. Er muss Hunderte auftreiben.

„Das große Bild zeichnen“

„Sparkassen sind wie die Deutsche Telekom“, sagt Sachse. „Viele sind dabei, obwohl sie sich über vieles ärgern.“ Er selbst habe etwa nie den Sinn von Kontoführungsgebühren verstanden – hohe Monatsbeiträge, obwohl viele Konkurrenten ihren Kunden kostenlos Konten zur Verfügung stellen. Und natürlich wollen sich Sachse und Co. ansehen, was die Banken mit dem Geld der Leute anstellen, ob einige riskant spekulieren, und wie gut es sich die Mitarbeiter gehen lassen, vor allem die Chefs. All das soll in eine gigantische Übersicht münden, die am Ende aufwendig visualisiert wird.

Hunderte Mitarbeiter, die keiner wirklich kennt – das klingt nach einem wahnsinnigen Manöver. Wer sich mit Schraven und Sachse unterhält, bekommt allerdings eine Ahnung davon, dass sich die beiden ihre Sache gründlich überlegt haben.

„Wir wollen uns nicht von einem Skandal zum nächsten hangeln“, sagt Sachse. „Wir wollen das große Bild zeichnen.“ Dafür bilde Correctiv den „redaktionellen Körper“ für eines der größten Rechercheprojekte in der deutschen Geschichte.

Wer mitmachen will, soll erst gecheckt werden und dann eine Schulung erfahren. „Du musst denen ja nicht gleich den ganzen Journalismus erklären“, sagt Schraven. „Es reicht ja, wenn wir ihnen erst mal beibringen, worauf es in unserem Projekt ankommt, welche Rechte und Pflichten ein Journalist in Deutschland hat und wie man hartnäckig auftritt, ohne dabei einen schlechten Eindruck zu hinterlassen.“

Werbung und Sponsoring sind tabu

Am Ende will Correctiv ein System schaffen, bei dem „alle gegenseitig das gewonnene Material checken“. Damit wollen die Macher den Aufwand für die wenigen festen Mitarbeiter – bis zu 20 sollen es bei Correctiv bald sein – möglichst klein halten. Genug Schreibtische für die Verstärkung haben sie schon mal aufgebaut. Die fest angestellten Journalisten binden die Fälle dann zusammen, suchen sich die spannendsten heraus und gehen denen noch mal richtig nach. Schraven will – wenn es sein muss – auch klagen, um Informationen aus den Aktenschränken zu befreien.

Unterdessen bereitet sich – ebenfalls in Berlin – ein weiteres Projekt auf seinen Start vor: das Onlinemagazin Krautreporter, das entsteht, weil sich im Vorfeld mehr als 15.000 Leser bereit erklärt haben, ein Jahresabonnement zu lösen. Bald sind eine Million Euro zusammengekommen, die nun in ein Produkt münden sollen.

Eine Million Euro, das klingt nach viel Geld – ist es aber nicht: Die Journalisten müssen erst einmal die Mehrwertsteuer abziehen. Außerdem will Krautreporter seine Autoren vernünftig bezahlen, muss sich ein eigenes Redaktionssystem anschaffen, ein eigenes Layout und multimediale Produktionen finanzieren. Gleichzeitig versprechen die „Krautis“, wie sie von ihren Fans liebevoll genannt werden, die bestmögliche Unabhängigkeit: Sie wollen nur ihren Lesern verpflichtet sein. Werbung und Sponsoring sind tabu.

Die Krautreporter lehnen Interviewanfragen seit Wochen konsequent ab. Sie wollen nach einer misslungenen Imagekampagne diesmal erst liefern, dann reden. Das macht sie sympathisch, andererseits bleibt so aber auch vieles im Vagen. Klar ist allein ihr Versprechen: vier Geschichten pro Tag, die es so sonst im Netz nicht gibt. Außerdem haben die „Krautis“ erst mal zwei Mitarbeiterinnen eingestellt, um den Kontakt zu den Fans zu halten.

Mitarbeiter mit Werkvertrag

Im Ungefähren bleibt erst einmal auch ein anderes Projekt, das die Qualität im Journalismus stützen will. Der nordrhein-westfälische Landtag hat Ende Juli den Weg für eine Landesstiftung „Vielfalt und Partizipation“ frei gemacht. Die neue Stiftung wird an die Landesmedienanstalt (LfM) angeschlossen sein und soll vom Herbst an vor allem dem angeschlagenen Lokaljournalismus unter die Arme greifen. „Eine solche Stiftung, die mit 1,6 Millionen Euro im Jahr ausgestattet ist, kann natürlich nicht den lokalen Journalismus retten“, erklärt Werner Schwaderlapp, der Vorsitzender der LfM-Medienkommission. „Aber sie kann einiges tun, damit vielleicht die Entwicklung des Lokal- und des Regionaljournalismus im digitalen Zeitalter gefördert wird.“

Klar sei bisher nur, was die NRW-Stiftung nicht tun werde: „keinen Journalismus selbst veranstalten“. Denkbar sei, Apps für mobile Geräte mit zu entwickeln, mit denen Redaktionen ihren lokalen Journalismus zeitgemäß unter die Leute bringen könnten. Auch die Förderung neuer Onlineportale sei möglich. Was genau kommt, soll eine Auftaktveranstaltung klären. Die LfM plant sie für Oktober.

Das Investigativbüro Correctiv wird also von diesen drei neuen Projekten den Anfang machen. David Schraven hat gerade vier weitere Mitarbeiter verpflichtet – zunächst per Werkvertrag. Auch sie sollen dabei helfen, das Mitarbeiternetz für die Sparkassen-Recherche aufzubauen. Dabei könnten sich, sagt Schraven, durchaus auch etablierte Kollegen beteiligen. Er denke dabei nicht zuletzt an Lokaljournalisten, die so nicht nur ihre eigene Geschichte hätten, sondern gleichzeitig das große Bild. Genauso gut könnte Correctiv aber auch mit lokalen Bloggern zusammenarbeiten: „Hauptsache, wir haben überall eigene, engagierte Leute.“

Hunderte Rechercheure für mehr Transparenz in Deutschland. „Natürlich kann das nach hinten losgehen“, sagt Schraven. „Oder aber es klappt. Und dann knacken wir mit unserem neuen System jede große Geschichte.“

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