Iran nach dem Krieg mit Israel: Halbherziger Wettlauf gegen den „Snapback“
Sollte sich Iran nicht wieder an den Verhandlungstisch setzen, drohen neue UN-Sanktionen. Warum sich Teheran davon bisher nicht beeindruckt zeigt.
taz | Das iranische Regime lebt seit seiner Gründung von Drohkulissen: seinen Proxy-Milizen in der ganzen Region, dem Atomprogramm, den ewigen „Tod Amerika“- und „Tod Israel“-Slogans. Das sollte Stärke nach innen signalisieren und Abschreckung nach außen.
Vieles an dieser Drohkulisse ist in den letzten Monaten implodiert wie ein Kartenhaus: Die sogenannte Achse des Widerstands – das Netzwerk aus Teheran-hörigen Milizen – ist ein Schatten seiner selbst, das Atomprogramm liegt weitgehend in Trümmern. Bleiben nur noch die Slogans. Und eine verbliebene Menge beinahe atomwaffentaugliches Uran, das Iran laut Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) noch besitzen soll, etwa 440 Kilogramm. Doch kaum einer weiß, wo sich das genau befindet. Denn die iranische Regierung hat die Zusammenarbeit mit der IAEA nach dem Krieg mit Israel im Juni weitgehend stillgelegt und die Behörde nur noch ein einziges Atomkraftwerk im Land inspizieren lassen.
Aber auch Europa setzt auf Drohkulissen. Die wichtigste davon ist aktuell die mögliche Wiedereinführung der UN-Sanktionen, die 2015 im Rahmen des Atomdeals aufgehoben wurden. Ende August beschlossen Großbritannien, Frankreich und Deutschland – auch als E3 bekannt – den sogenannten Snapback-Mechanismus zu aktivieren. Diese Regelung erlaubt es den UN, die Sanktionen gegen Iran wieder einzusetzen, sollte die Regierung sich nicht an die Verpflichtungen jenes Atomvertrags halten, aus dem die USA unter Trump bereits im Jahr 2018 ausgestiegen sind. Nach der Aktivierung des Snapback hat Iran 30 Tage Zeit, im Atomstreit eine Einigung mit der internationalen Gemeinschaft zu erzielen.
Kaja Kallas, EU-Außenbeauftragte
Doch bislang scheint die Drohung ihre Wirkung zu verfehlen. „Das Zeitfenster für eine diplomatische Lösung der iranischen Atomfrage schließt sich sehr schnell“, warnte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas in einer Erklärung jüngst. „Iran müsse „glaubwürdige Schritte“ unternehmen. Das bedeute, „uneingeschränkt mit der Internationalen Atomenergiebehörde zusammenzuarbeiten und unverzüglich Inspektionen aller Nuklearstandorte zuzulassen“.
China und Russland sind gegen die Sanktionen
Wie ernsthaft man sich in Teheran überhaupt Gedanken über neue UN-Sanktionen macht, ist aus mehreren Gründen fraglich. Das Atomabkommen hatte ohne die USA für das iranische Regime ohnehin nur noch einen Bruchteil seines ursprünglichen Werts. Die schmerzvollsten Sanktionen sind nicht diejenigen, die von der UN nach Ablauf der Snapback-Deadline wiedereingesetzt würden, sondern die Sanktionen, die die USA bereits seit 2018 im Rahmen der „Kampagne des maximalen Drucks“ aktiviert haben.
China und Russland haben eine Wiedereinführung der UN-Sanktionen gegen Iran bereits entschieden abgelehnt. Ohne diese Staaten wird es aber kaum möglich sein, nach Ablauf des Snapbacks neue UN-Sanktionen effektiv durchzuführen. Es wird also bei neuen Sanktionen einzelner europäischer Staaten bleiben.
Man sieht: Die unmittelbaren praktischen Auswirkungen des Snapbacks und einem darauffolgenden offiziellen Endes des UN-Atomabkommens mit Iran halten sich in Grenzen. Iran hat sich aufgrund der US-Sanktionen seit 2018 ohnehin längst anderen politischen und wirtschaftlichen Partnern zugewendet, insbesondere Russland und China, aber auch den Vereinigten Arabischen Emiraten – das mutmaßlich dabei behilflich ist, iranisches Öl trotz Sanktionen nach China, Russland und Venezuela zu verschiffen.
Die Reaktionen aus Teheran klingen also aktuell eher nach statt Beschwichtigung. Das iranische Parlament plant momentan ein Gesetz, das einen raschen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag ermöglichen soll. Dieser verbietet es Ländern ohne Nukleararsenal, an Atomwaffen zu gelangen.
Ist eine neue Eskalation unausweichlich?
Auch das dürfte mehr Drohgebärde als konkrete Drohung sein. Dennoch wären die indirekten Folgen eines offiziellen Endes des Atomdeals für das iranische Regime von großer Tragweite. Nicht aufgrund von neuen Sanktionen oder weil Iran von heute auf morgen die Bombe hätte, sondern weil ein endgültiger Bruch mit dem Westen Iran noch stärker von China und Russland abhängig machen würde, als es jetzt schon ist.
Und was für Teheran noch weitaus schlimmer wäre: Ein letzter gescheiterter diplomatischer Lösungsversuch könnte als Legitimation für neue militärische Schläge seitens Israels dienen – diesmal auch mit Unterstützung aus Europa. Dass er dafür Sympathie empfindet, hat Bundeskanzler Friedrich Merz mit seiner Aussage, Israel würde für uns „die Drecksarbeit“ erledigen, schon klargemacht.
Eine neue Eskalation zwischen Israel und Iran scheint schon deshalb unausweichlich, weil das iranische Atomprogramm zwar beschädigt, aber nicht endgültig zerstört ist. Solange die Islamische Republik im Besitz von beinahe atomwaffentauglichem Material ist und die Anreicherung von Uran nicht offiziell aufgibt, wird die israelische Führung weitere Luftschläge gegen Iran als notwendig erachten.
Dass iranische Politiker aus dem Lager der sogenannten Reformer im August erstmals die freiwillige Aussetzung des Atomprogramms forderten, liegt daran, dass pragmatische Elemente innerhalb des iranischen Establishments einen weiteren Krieg mit Israel unbedingt verhindern wollen. Im Gegensatz zur Drohgebärde europäischer Sanktionen wäre ein Krieg gegen Israel eine ganz reale, existenzielle Bedrohung.
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