Islamlehrer Hikmet Gökdemir über Sport und Religion: "Das Schicksal wollte es so"

Eigentlich wollte Hikmet Gökdemir weiter als Fußball-Trainer arbeiten. Jetzt ist er einer der ersten Muslime, die in Niedersachsen Islam an einer weiterführenden Schule unterrichten

Vermittelt gerne religiöse Werte: Hikmet Gökdemir in seinem Wohnzimmer. Bild: Christian Wyrwa

taz: Herr Gökdemir, sind Sie religiös erzogen worden?

Hikmet Gökdemir: Ich bin relativ liberal erzogen worden. Ich konnte mit elf Jahren schon den Koran lesen, aber dann ist der Imam aus unserem Ort, aus Garbsen, weggezogen. Ich bin einmal die Woche zum Freitagsgebet in die Moschee gegangen, aber das war’s dann auch schon.

Wie sind Sie denn dann zum Religionslehrer geworden?

Ich bin mit 40 Jahren für vier Jahre arbeitslos geworden. Das hat mich schon stark getroffen und ich habe mich dann intensiv mit meiner Religion beschäftigt. Der Imam in meiner Gemeinde hat mir angeboten, in der Moschee Koran-Unterricht für Kinder zu geben. Das hat den Kindern sehr gut gefallen und der Imam meinte auch, ich kann ganz gut unterrichten. Er hat mir erzählt, dass in Osnabrück ein Studiengang eröffnet wird.

Sie haben sich dann mit 44 Jahren für Islamische Religionspädagogik eingeschrieben. Wie hat Ihre Familie darauf reagiert, dass Sie noch mal an die Uni gegangen sind? Sie hatten ja vorher schon Sport studiert!

47, hat Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück studiert und wird ab Oktober das neue Schulfach Islam an der evangelischen Integrierten Gesamtschule Wunstorf unterrichten. Zuvor arbeitete er als Jugendtrainer bei Hannover 96.

Meine Frau hat gesagt, wenn ich eine Arbeit finde, dann kann ich noch zusätzlich studieren. Dass ich arbeite, war die Bedingung und ich habe dann eine Stelle als Physiotherapeut gefunden. Aber das war für die Familie eine Zerreißprobe, sie hat in den letzten Jahren sehr darunter gelitten. Ich hatte fast gar keine Zeit für meine Familie.

Was hat Sie trotzdem angespornt?

Meine Religion, der Islam, sagt: Der Gesegnetste unter euch ist der, der den Koran lernt und lehrt. Die Religion zu lehren und zu verbreiten, das kann ja nicht jeder – dafür bekommt man dann die Belohnung im Jenseits. Ich habe durch meine Religion Kraft gewonnen und eine Arbeitsstelle gefunden – oder was heißt gefunden, ich hatte ja schon eine sichere Arbeitsstelle. Aber als Lehrer wird man halt ein bisschen besser vergütet als als Physiotherapeut. Und ich wollte muslimische Kinder den Islam lehren, denn die inzwischen dritte beziehungsweise vierte Generation spricht besser Deutsch als ihre Muttersprache.

Sie haben kein Referendariat gemacht, sind Sie dann überhaupt ein richtiger Lehrer?

Können Sie sagen, dass ich kein richtiger Lehrer bin? Ich habe die letzten drei Jahre islamische Religionspädagogik studiert und habe ein Diplom in Sport, das zählt als erstes Staatsexamen. Ich habe also nicht direkt Lehramt studiert. Ich bin ein Quereinsteiger, das ist möglich, weil 2.000 Islamlehrer benötigt werden. Sie können natürlich sagen, ich hab kein Lehramt studiert, dann bin ich auch kein richtiger Lehrer.

Was halten Sie dagegen?

Ich durfte mit einer Ausnahmegenehmigung in Osnabrück studieren. Und mit einer Ausnahmegenehmigung hat man mich auch als ersten Lehrer für islamische Religion an einer Gesamtschule in Niedersachsen eingestellt. Also, ich bin sozusagen eine Ausnahme – und ich hoffe, dass die Ausnahme dann auch einschlägt. Wie das wird, weiß ich nicht. Aber ich denke, jetzt mit 47 Jahren noch ein Referendariat zu machen, macht wenig Sinn. Im Studium hatte ich ein Jahr eine fünfte Klasse unterrichtet und die Examenslehrprobe habe ich mit sehr gut bestanden. Ich denke, dass das keine so schlechte Voraussetzung ist.

Nehmen die anderen Lehrer Sie ernst?

Ich fange ja erst heute an, aber bisher bin ich sehr gut aufgenommen worden. Bei einer zweitägigen Lehrerfortbildung waren die Kollegen sehr freundlich, aufgeschlossen und haben mir in den Gesprächen ihre Unterstützung zugesagt. Insofern hoffe ich auf eine gute Zusammenarbeit. Ich bin der erste Moslem, der für die evangelische Kirche arbeiten wird. Dies ist ein Novum. Ich hoffe, dass das alles gut geht.

Ihre eigentliche Leidenschaft ist aber der Fußball. Sie waren Jugendtrainer bei Hannover 96 – hätten Sie den Job nicht gerne weitergemacht?

Das hat leider nicht geklappt, als Trainer. Man hat mir gesagt, ich darf keine ersten Mannschaften trainieren. Obwohl ich erfolgreich war, hat man mir keine Chance gegeben. Sogar Trainerkollegen haben mir damals bestätigt, dass ich ein guter und erfolgreicher Trainer bin. Man teilte mir mit, dass ich bei 96 keine Lobby habe. Das Schicksal wollte es so, dass ich Islamlehrer werde und kein Fußballtrainer. Fußball war aber meine große Leidenschaft, für mich ist eine Welt zusammengebrochen und ich habe Jahre gebraucht, um das zu verarbeiten. Ich hätte alles dafür gegeben, um Fußballtrainer zu werden. Da habe ich gesagt, das hat keinen Sinn, wenn du hier wie Don Quijote gegen Windmühlen ankämpfst. Nach dieser Erfahrung war mir damals klar, dass ich als Fußballtrainer nicht weit kommen werde.

Haben Sie es nicht bei anderen Vereinen versucht?

Ich habe mich auch bei Vereinen auf dem Land beworben, die haben teilweise gar nicht geantwortet – die haben lieber einen Koch oder einen Tischler vorgezogen. Meine Erfahrung als Trainer war in allen Vereinen, bei denen ich war, ähnlich. Man hat mich immer skeptisch beäugt, es war nicht einfach.

Wegen Ihrer Herkunft?

Ja, man muss als Ausländer in Deutschland besser sein als ein Deutscher. Und man glaubt einem Ausländer nicht, dass er besondere Fähigkeiten hat. Es gibt immer gewisse Kreise, die denken, ein Ausländer oder ein Gastarbeiterkind kann zum Beispiel nur bei VW oder Conti als Arbeiter arbeiten. Dann habe ich meinen Job als Fußballtrainer doch an den Nagel gehängt. Es ist ein kleiner Trost, wenn man dann von Trainerkollegen zu hören bekommt, dass „der Hikmet aus Sch… Gold machen kann“.

Wann sind Ihre Eltern nach Deutschland gekommen?

Mein Vater – Gott hab ihn selig – kam 1966 nach Deutschland. Er hat in einer Kartonfabrik und bei VW gearbeitet. 1969 hat er meine Mutter und mich mit vier Jahren nach Deutschland geholt. Im selben Jahr ist meine Schwester geboren.

Also leben Sie seit Ihrem vierten Lebensjahr hier?

Nein, 1971 haben meine Eltern mich wieder in die Türkei zurückgebracht, weil ich dort eingeschult werden sollte. Dann habe ich drei Jahre bei meinem Onkel gelebt. Es war ja damals so, dass die erste Generation der Gastarbeiter nur ein paar Jahre arbeiten und dann wieder zurückkehren wollte. Aber leider hat sich das nicht bewahrheitet. Dann haben sie mich und meine Schwester wieder zurückgeholt. Seit 1974 sind wir Kinder wieder durchgängig hier.

Was ist in Deutschland anders in Bezug auf Religion?

In Deutschland ist es ja so, dass die Religion nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Religion wird belächelt. In der Türkei spielt die Religion eine sehr bedeutende Rolle. Und im Gegensatz zu anderen Religion hat der Islam einen Zulauf. In Deutschland sind die religiösen Werte verloren gegangen, wer kennt denn noch die zehn Gebote? Das einzige Gebot ist doch noch der schnöde Mammon. Das ist wirklich schade, dass die Menschen nur noch materiellen Werten hinterhergehen und nicht mehr menschlichen. Wenn man heute Menschlichkeit zeigt, dann ist das schon ein Nachteil. Da muss man hart sein, seine Ellbogen rausfahren – nur so kommt man doch leider in der Gesellschaft voran. Die Religion zeigt dir, dass es auch Liebe und Menschlichkeit gibt. Ich vermittle lieber religiöse Werte und halte dagegen.

Erziehen Sie Ihre Töchter nach diesen Regeln?

Wir versuchen, unsere Kinder islamisch mit viel Liebe und Toleranz zu erziehen. Sie sind zweisprachig aufgewachsen und sind aber auch in Sportvereinen integriert. Sie gehen zum Schwimmen, Ballett und Tennis.

Gibt es trotzdem Konflikte wegen Ihrer Religion?

Noch nicht und ich hoffe, dass das so bleibt. Meine Kinder sind jetzt zehn und dreizehn und man sollte die Kinder nicht zu freizügig erziehen, dann wird das Grenzensetzen schwer. Man sollte zum Beispiel auf die Kleidung achten, da muss man sich schon dezent anziehen. Sodass man nicht versucht, die Blicke der Jungs auf sich zu ziehen. Das ist ja auch im Katholizismus so.

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