Israelische Wahlparty in Berlin: Hoffnung auf bessere Zeiten

Die Wiederwahl von Netanjahu hat auch Auswirkungen auf das Leben von Israelis, die im Ausland leben. Besuch einer Wahlparty in Berlin.

Was in Tel Aviv gewählt wurde, ist auch für Jüdinnen und Juden in Berlin wichtig. Bild: dpa

BERLIN taz | Um nicht mal 21 Uhr, also noch bevor die ersten Wahlergebnisse bekannt werden, sind die Schnittchen alle. Zumindest die essbaren mit Lachs und Käse; stapelweise Häppchen mit unkoscherem Schwein liegen noch unberührt zwischen Deko-Spinat, Trauben, Oliven und Israel-Wimpeln auf dem Tisch.

„Zugegeben – wir waren vorhin ziemlich im Stress“, sagt Michael Spaney vom Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB). „Die Wurst kam da einfach schneller aufs Brot.“ In Israel wird gewählt und das Forum hat zur Wahlparty in die Räumlichkeiten der Amadeu Antonio Stiftung eingeladen, um mit Menschen, gleich welcher politischen Präferenz, Israel und seine Demokratie zu feiern.

Israel-Fähnchen, mal in blau-weiß, mal in bunten Friedensfarben, ragen in die Luft, blaue Vorhänge umspielen weiße Fensterrahmen, sogar blau-weiß-karierte Hemden sind zu sehen. Gekommen sind unter anderem Vertreter von SPD, CDU und Linkspartei, deutsch-israelischer Gesellschaft, Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus sowie Mitglieder der Antifa.

Schon vor der ersten Hochrechnung fallen überall im Raum die Namen Herzog, Livni, Netanjahu – meist in dieser Reihenfolge.

„Viele glauben, in Israel sei man entweder sehr rechts oder sehr links“, sagt Nitza Medina, 67, gebürtige Israelin, seit 40 Jahren in Deutschland. „Nichts davon ist der Fall, die meisten sind in der Mitte.“ Nitza liebt Israel – und ist doch mit vielem nicht einverstanden, was im Land passiert. Netanjahu sei zu weit nach rechts gerückt, Herzog habe dagegen wenig Erfahrung. Eine Koalition zwischen Netanjahu und Herzog würde ihr gefallen.

Nitza winkt Mitorganisatorin Nirit heran, die sieht das genauso: „Netanjahu hat es versucht, aber es klappt nicht. Israel braucht bessere Zeiten.“ Nirit weiß, dass an diesem Abend andere Veranstaltungen zur Wahl stattfinden, die meisten von ihnen auf Hebräisch. Das spricht sie zwar fließend, doch „ich finde es schön, den Abend mit Nicht-Israelis zu verbringen.“ In Berlin gefällt es beiden Frauen nach wie vor gut. Stolz zeigt Nitza Bilder herum, auf denen sie mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht. „Ich habe ihm gesagt, wie schade ich es fand, dass ich meine israelische Staatsbürgerschaft ablegen musste, um ganz Deutsche zu werden“. Seitdem fehle ihr ein Teil ihrer Identität.

„Die Situation ist katastrophal.“

Dror hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Seit 2002 lebt der 41-Jährige in Deutschland, seit kurzem hat er nur noch den deutschen Pass. Er wäre gerne Israeli geblieben und erhofft sich viel von der Wahl: „Die Situation ist katastrophal.“ Nervös wickelt er sein Israel-Fähnchen immer wieder um das Stäbchen, lässt es ausrollen, wickelt es erneut herum. „Israel ist doppelt so teuer wie viele europäische Länder, doch die Menschen verdienen weniger. Es braucht dringend einen Regierungswechsel.“ Dror präferiert die linksgerichtete Partei Meretz; er sagt, irgendwann sei es zu spät, die Situation mit den Palästinensern zu ändern.

Um kurz vor 21 Uhr dann, als Lachs und Käse aufgegessen sind, versammeln sich alle vor der großen Leinwand – der englischsprachige israelische Nachrichtensender i24 berichtet live aus dem Hafen von Jaffa. „Pschscht“, macht Nitza Medina. Als die Ergebnisse bekannt werden, geht ein mäßig erstauntes Raunen durch die Runde. Die Schlappe für Netanjahu bleibt aus, ihm stehen nach momentanen Kenntnissen mehr Koalitionspartner zur Verfügung.

Da ohnehin niemand akustisch versteht, was die Journalisten im Fernsehen erzählen, widmet man sich bald wieder den eigenen Gesprächen. Die Luft riecht nach Rotwein, der in Bechern serviert wird. Nirit hat sich auf einen Tisch am Fenster gesetzt, Nitza leistet ihr Gesellschaft. „Was sagst du dazu?“, fragt sie, ruckt den Kopf unwirsch Richtung Leinwand. „Dass alle Prognosen falsch waren“, antwortet Nirit. Dabei funktioniere der Weg von Netanjahu, der „American Style“, wie sie ihn nennt, nicht. Gut aussehen und reden können, das sei zu wenig.

„Wenn ich heute nach Israel will, dort leben, Kinder kriegen – ich könnte es nicht“, sagt die 36-Jährige, „zu teuer“. Die Wirtschaft und der Konflikt mit den Palästinensern bleiben an diesem Abend in Berlin und vermutlich anderswo die vorherrschenden Themen.

Auswandern oder nicht?

Auch Nina, 32 Jahre alt und mit einem Israeli verheiratet, ist schwer enttäuscht: „Ich hatte so auf Veränderungen gehofft. Aber das ist kein deutliches Zeichen.“ Netanjahu habe sich mit der Rede am Wahltag nur noch lächerlicher gemacht. Doch so habe er es mal wieder geschafft, rechte Wählerstimmen abzufangen. Jetzt hofft Nina auf eine Koalition vom Zionistischen Bündnis um Herzog und Livni und der Arabischen Einheitsliste. Die hat sich allerdings gegen jedwede Regierungsbeteiligung ausgesprochen.

Ninas Freundin, eine 28-jährige Jüdin aus Weißrussland, die nicht namentlich genannt werden möchte, überlegt, nach Israel auszuwandern. Weder Belarus noch Berlin fühlten sich nach echter Heimat an. Doch sollte es zu einem Bündnis der Rechten und noch Rechteren kommen, würde sie wohl nicht gehen. Die Wahl hat auch für die in Deutschland lebenden Juden und Israelis Konsequenzen. Obwohl es, wie Nina betont, kaum zu glauben sei, dass das israelische Wahlsystem keine Briefwahl vorsehe. „Überall auf der Welt leben Israelis, und sie alle können nicht wählen.“

Schließlich gehen die meisten gut gelaunt und vom Rotwein beschwipst, einige aber auch geknickt nach Hause. Veranstalter Michael Spaney vom MFFB sagt: „Egal, was jetzt passiert, ich bleibe dabei: Wir feiern die israelische Demokratie.“ Unterdessen hat er auch Käse und Lachs nachgeliefert.

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