Italien vor dem Spiel gegen Frankreich: Und nun?

Die Italiener müssen vor dem entscheidenden Spiel gegen Frankreich auf holländische Hilfe hoffen und spinnen schon mal Verschwörungstheorien.

Leidet: Trainer Donadoni. Bild: dpa

Als neutraler Beobachter der Europameisterschaft kann man nur mit dem größten Vergnügen auf Roberto Donadonis Italiener blicken. Die Mannschaft des Weltmeisters spielt, sie agiert, sie will den Ball besitzen, und natürlich verfügt sie über ausreichend Spieler, die diese Ideen sehr gut aussehen lassen. Vielleicht befinden wir uns an einem historischen Moment, der einmal als "Ende des Catenaccio" in die Annalen eingehen wird. Doch wie furchtbar muss diese Metamorphose aus der Perspektive der Italiener wirken? Sie gewinnen nicht mehr.

Jahrzehntelang waren sie gefürchtet für ihre Defensivkünste wie die Deutschen für ihre Körperkraft. Soziologen sagen sogar, Italien beziehe ein Stück seines nationalen Selbstvertrauens aus der unübertroffenen Fähigkeit, mit taktischer Finesse, Stoizismus und Athletik die Offensivkünste der besten Fußballteams der Welt zu entzaubern. Und nun schreibt der Corriere dello Sport: "Die Weltmeister sind verschwunden."

Für Ästheten ist das herrlich. Zweifelsfrei gehören beide Partien der Italiener zum Attraktivsten, was diese Europameisterschaft bislang zu bieten hatte. Der bislang glücklose Bayern-Stürmer Luca Toni sprach nach dem wunderbaren 1:1 gegen die Rumänen treffend von einem "großen Spiel". Dennoch ist die Nation todunglücklich. Ein mageres Pünktchen und der Umstand, dass sie das Viertelfinale nicht mehr aus eigener Kraft erreichen können, nagen verständlicherweise am italienischen Selbstvertrauen.

Unter den Tifosi kursieren daher alte Ängste und böse Ahnungen. Wenn die Holländer Rumänien gewinnen ließen, dann wären sie Gruppensieger und hätten sich auf einen Schlag beider WM-Finalisten entledigt. In gewisser Weise würden sie ihren Siegeszug in der Todesgruppe damit vollenden, zumal der Gruppenzweite schon im Halbfinale wieder auf die Holländer treffen könnte. Zwar sagt Trainer Donadoni, "weil ich Marco van Basten kenne, weiß ich, dass seine Mannschaft alles geben wird", doch die Erinnerung an 2004 ist noch frisch. Damals flogen die Italiener nach der EM-Vorrunde aus dem Turnier, weil Dänemark und Schweden in ihrer letzten Partie 2:2 spielten. Beide Skandinavier kamen weiter, das heftig umjubelte italienische Siegtor in der Schlussminute gegen Bulgarien war entwertet.

Hinzu kommt, dass viele Italiener sich seit längerem ungerecht von der Uefa behandelt fühlen. Als der Verband im April 2007 die Europameisterschaft 2012 an Polen und die Ukraine vergab, glaubte Mitbewerber Italien sich hintergangen. Und als der Weltmeister in die schwere Gruppe mit Holland und Frankreich gelost wurde, meldeten sich die Verschwörungstheoretiker schon wieder - das konnte kein Zufall sein.

Dann gab es das korrekte, aber doch aufsehenerregende, Nicht-Abseits-Tor der Holländer vorige Woche und nun einen korrekten Treffer Tonis gegen Rumänien, dem die Schiedsrichter die Anerkennung versagten. Und nicht zuletzt einen wohl unberechtigten Elfmeter für Rumänien. Verbandspräsident Giancarlo Abete forderte von der Uefa eine Stellungnahme. Offiziell Einspruch erheben will er nicht, es ist eine Geste des Misstrauens.

Dass sie zum Weiterkommen auch selber erst mal erfolgreich spielen sollten und gegen die Franzosen dringend ihre Defensive reparieren müssen, gerät angesichts dieser Diskussionen fast in Vergessenheit. Bedrohlicher als alle Theorien und Tabellenkalkulationen scheint die Unausgewogenheit zwischen Risiko und Sicherheit. Roberto Donadoni, der einstmals Teil der legendären Milan-Mannschaft Arrigo Sacchis war, die in den 80er- und 90er-Jahren einen begeisternden Offensivfußball spielte, hat bewusst mit der italienischen Tradition des Catenaccio gebrochen. "Wir haben nach vorne gespielt, das war gut", sagte Donadoni nach dem Spiel gegen die Rumänien, "aber in der Defensive haben wir eben auch gelitten." Obwohl er seine Mannschaft auf fünf Positionen umgebaut hatte. Eine solch große Baustelle inmitten eines Turniers in den Griff zu bekommen, scheint so schwierig wie die Reform des Gesundheitssystems.

Vier Gegentore hat Italien im Turnierverlauf schon kassiert. Während der ganzen WM 2006 waren es nur zwei. Donadonis großes Projekt, Italiens Ausgewogenheit zu bewahren und gleichzeitig die Gewichtung in Richtung Risikofreude und Tempo zu verschieben, ist noch nicht gelungen. Das mitten in einem Turnier zu merken, ist natürlich ungünstig. Der Ausfall von Kapitän und Abwehrchef Fabio Cannavaro gehört wohl zu den Ursachen, doch solche Kulturrevolutionen in großen Fußballnationen gelingen höchst selten. Vielleicht ist Donadonis Projekt daher zum Scheitern verurteilt. Ganz ohne holländische Verschwörung.

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