Italienisches Ligaspiel in Australien: 20 Stunden Flug zu einem Heimspiel
Italiens Serie A lässt Milan und Como in Perth gegeneinander spielen. In Spanien verhindern Profis, dass ein Ligaspiel in Miami angepfiffen wird.
Wenn ein anderer Sport kommt, gibt es viel zu tun: Der Rasen muss ausgetauscht werden, die Umkleiden vergrößert, die Technologie angepasst. Und das dann alles wieder zurück. Daher wird das Estadio Santiago Bernabéu nach dem Heimspiel von Real Madrid am Samstag gegen Valencia für den herkömmlichen Fußballgebrauch den übrigen November ausfallen. Denn Mitte des Monats gastiert Amerikas Footballliga NFL in der Stadt. Miami trifft auf Washington.
Der umgekehrte Entertainmenttransfer entfällt dagegen – eine geplante Partie der spanischen Fußballliga in Miami wurde vorige Woche storniert. Trotz einer von den Befürwortern des Projekts als bahnbrechend gefeierten Genehmigung des spanischen Verbandes und der Europäischen Fußballunion Uefa steigt das ausgesuchte Match zwischen Villarreal und dem FC Barcelona am Vorweihnachtswochenende ganz schnöde in der ostspanischen Provinzstadt.
„Unsicherheiten in Spanien“ hätten die Absage des Miami-Abenteuers erzwungen, hieß es von der einschlägigen Vermarktungsagentur Relevent. Gemeint waren insbesondere Protestaktionen der Spieler, die sich über Motive und Ablauf des Auslandseinsatzes nicht hinreichend informiert fühlten – und am vorvergangenen Wochenende in allen Ligapartien mit 15 Sekunden langer Untätigkeit nach dem Anpfiff demonstrierten.
Potzblitz, dabei heißt es doch immer, die Spieler wären nur Rädchen im System, weshalb ihnen trotz ausufernd beklagter Belastungen gar nichts anderes übrig bliebe, als immer weiter neue Wettbewerbe zu spielen, um damit nicht zuletzt ihre Konten zu füllen. Können sie in Wahrheit mit einem bloßen Sekundenaufstand den Gang des Fußballkapitalismus aufhalten? Ganz so einfach liegen die Dinge dann doch nicht – weshalb die Revolution auch nicht ausfällt, sondern nur verschoben ist.
Australisches Experiment
Die italienische Serie A plant nämlich weiterhin, die Partie zwischen AC Milan und Como im australischen Perth auszutragen. Sosehr auch dort Spieler wie Milans französischer Mittelfeldakteur Adrien Rabiot die Idee „absurd“ finden, für ein Match mitten in der Saison knapp 20 Stunden im Flugzeug zu sitzen, one-way.
„Hier geht es darum, ob wir heute das Ei oder morgen die Henne wollen“, hält Serie-A-Geschäftsführer Luigi De Siervo dagegen. Als kommerzielle Liga habe man die Pflicht, an die Zukunft zu denken und die Internationalisierungsstrategie der amerikanischen Profibetriebe zu imitieren. Alles andere wäre eine „Todsünde“, und so seien manchmal eben auch „unpopuläre Entscheidungen“ nötig.
Die Zeiten, in denen Kurzzusammenschnitte von Matches aus fernen Ländern das höchste der Fangefühle waren, sind lang vorbei. Überall auf dem Globus kann jedes Spiel jeder großen Liga in voller Länge empfangen werden, und im Fußball tendieren die Zuschauerpräferenzen dabei klar zur englischen Premier League. Sie nimmt inzwischen mit 2,1 Milliarden Pfund (rund 2,4 Milliarden Euro) jährlich mehr aus der internationalen TV-Vermarktung ein als auf heimischem Terrain (1,7 Milliarden Pfund). Die Serie A kommt gerade mal auf rund 250 Millionen Euro aus dem Ausland. Da sollen Gastspiele vor Ort neue Fangruppen erschließen und bestehende mit dem Gefühl von Nähe belohnen.
Luigi De Siervo, Chef der Serie A
Terminiert ist der Australientrip für die erste Februarwoche, wenn das Mailänder San Siro mit der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele belegt ist. Die Vorbereitungen für das Event erfordern zwei Wochen, der Abbau eine Woche, Wettbewerbe finden dort nicht statt. Winterolympia wird 2026 erstmals auf etliche Städte und Alpendörfer verteilt, so wie es ja auch üblich ist, dass Fußballturniere in mehreren Ländern ausgetragen werden.
Expansion gegen Tradition
Così fan tutte, überall im Sport werden Gewohnheiten gebrochen – die Ligachefs in Spanien und Italien verstehen nicht, warum das bei ihnen nicht gehen soll. Einen „engstirnigen und provinziellen“ Begriff von „Tradition“ attestierte Spaniens Javier Tebas seinen Gegnern.
Der wortgewaltige Tebas ist in den Expansionsdebatten des Fußballs einer von vielen Playern mit enormen Widersprüchen. Grob gesagt ist jedes Projekt ein Segen, wenn es das eigene ist – und vom Teufel, wenn andere es verfolgen. Tebas etwa tritt selbst gern als oberster Traditionalist auf, wenn es gegen die europäische Superliga geht. Umgekehrt protestierte deren großer – und mittlerweile einziger – Befürworter Real Madrid mit diversen Petitionen bei internationalen Verbänden und der spanischen Regierung gegen den Miami-Plan der Liga.
Dessen mögliche Konsequenzen seien „von solcher Schwere, dass sie ein Vorher und Nachher in der Fußballwelt bedeuten würden“. Real bezog sich auf die „Wettbewerbsverzerrung“ durch die Verlegung einer Partie auf neutrales Terrain – von der es im Falle der NFL selbst profitiert.
Wer bekommt was von einem Kuchen, der insgesamt kaum größer wird? Darum geht es auch bei den internationalen Verbänden Fifa und Uefa, die den Kalender mit immer mehr Spielen in Wettbewerben wie Klub-WM, Nations League oder Champions League fluten. Deren internationalen Medienrechte werden ab 2027 ebenfalls von Relevent vermarktet. Auch um diese Liaison nicht gleich mit einem problematischen Projekt zu belasten, zogen die Amerikaner ihre Einladung nach Miami letztlich zurück. Die Uefa nämlich erteilte ihre Genehmigung für die Auslandsauftritte nur „mit Bedauern“ und aufgrund einer aktuellen Lücke im Fifa-Reglement, wie sie selbst erklärte. Im Hintergrund lobbyiert sie für eine Stornierung auch der Perth-Nummer.
Serie-A-Chef De Siervo sieht sich dennoch auf gutem Weg nach Australien. Anders als in Spanien könne er auf die Unterstützung aller 20 Klubs zählen und habe bereits fünf der sieben nötigen Autorisierungen vorliegen. Es fehle jetzt nur noch die des asiatischen Verbandes, dem Australien angehört, und die der Fifa. „Ich glaube, keiner will, dass wir dieses Match spielen“, so der Funktionär: „Aber wir haben das Recht dazu.“
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