Italiens Weg durch das Turnier: Auferstanden aus Skandalen

Kurz vor dem Turnier wurden Spieler verhaftet, in der Vorrunde gab es lauwarme Spiele und homophobe Sprüche. Aber dank Pirlo und Balotelli wurde Italien wieder zu einer Fußballmacht.

Buffon, Pirlo and Marchisio bei der Ankunft in Kiew. Dass sie es bis ins Finale schaffen würden, mag manche verwundern. Aber nicht die Italiener. Bild: dpa

Die Ausgangslage

Kurz vor Beginn des Turniers bietet der italienische Fußball wieder einmal ein kaputtes Bild. Ende Mai werden die Nationalspieler Domenico Criscito und Stefano Mauri und 17 weitere Personen wegen des Verdachts auf Wettbetrugs verhaftet. Sogar Weltmeistertorwart Gianluigi Buffon gerät in Verdacht; und der italienische Ministerpräsident Mario Monti sinniert darüber, ob man die Mannschaft nicht aus dem Turnier nehmen und den Fußball im Land für zwei, drei Jahre aussetzen soll.

Doch viele italienische Fans denken ganz anders: Sie erinnern sich daran, wie kurz vor den Weltmeisterschaften 1982 und 2006 Manipulationsskandale den heimischen Fußball erschütterten und wie Italien beide Male Weltmeister wurde. Auch EM-taz-Redakteur Enrico Ippolito stört sich weniger am Skandal als am Umgang damit, den er als enttäuschend tränen- und dramafrei kritisiert.

Nach dem miserablen Auftritt bei der WM 2010 hat Trainer Cesare Prandelli sein Team erneuert. Von der Weltmeisterschaft sind nur Buffon, Spielmacher Andrea Pirlo und Daniele de Rossi übrig, auch Antonio di Natale gehört zu den älteren Jahrgängen. Dafür ist ein gewisser Mario Balotelli im Kader, die „Bombe im Sturm“, wie die taz ihn vorstellt.

Die Vorrunde

Bereits im Auftaktspiel in Danzig trifft Italien auf den späteren Finalgegner Spanien. Zur allgemeinen Überraschung stellen sich das Team nicht einfach hinten rein, um auf Konterchancen zu lauern, sondern spielt mit großem athletischem Einsatz offensiv nach vorn. Nach einem traumhaften Zuspiel von Pirlo auf di Natale gehen die Italiener in der 61. Minute in Führung; kurz darauf gleicht Spanien zum gerechten 1:1 aus „Mit Italien ist zu rechnen“, urteilt der Teamleiter der EM-taz, Deniz Yücel. Skeptischer ist der italienische Autor Marco D'Eramo: „Ich habe mich bei Ukraine gegen Schweden mehr amüsiert“, sagt er im taz-Interview.

Im zweiten Spiel gegen Kroatien sind die Italiener anfangs überlegen. Und besonders überlegen ist wieder einmal Pirlo, der in der 39. Minute einen Freistoß ins kroatische Tor zirkelt. Doch am Ende steht es erneut 1:1. „Italien hat versäumt, rechtzeitig die Führung auszubauen“, urteilt EM-taz-Autor Felix Dachsel und muss zur Strafe um den Einzug ins Viertelfinale bangen.

Denn die Konstellation ist: Endet das Spiel zwischen Spanien und Kroatien mit einem Unentschieden von 2:2 oder höher, ist Italien unabhängig vom Ergebnis des Spiels gegen Irland ausgeschieden. Im skandalerprobten Italien spekuliert man über mögliche Absprachen, was Spanier und Kroaten empört zurückweisen. Doch am Ende gewinnt Spanien mit 1:0 und Italien besiegt pflichtgemäß Irland mit 2:0. Die Torschützen: Andrea Cassano und Mario Balotelli mit einem großartigen Fallrückzieher. Insgesamt aber ist der Auftritt nicht überzeugend. „Will Italien das Viertelfinale überstehen, braucht es aber eine deutliche Steigerung“, findet EM-taz-Hospitant Erik Peter.

Und sonst? Sonst macht eben jener Cassano von sich reden, als er auf einer Pressekonferenz auf Italienisch zu Protokoll gibt: Die Vorstellung, dass Schwule in der Nationalmannschaft spielen könnten, sei eine „Schande“. EM-taz-Redakteur Enrico Ippolito antwortet ihm in einer Sprache, die er garantiert versteht; Cassano entschuldigt sich.

Das Viertelfinale

einem gewagten und sehr coolen Lupfer den weiteren Verlauf des Duells maßgeblich beeinflusst: Die Italiener gewinnen ihr Selbstvertrauen zurück, die Engländer sind verunsichert, Buffon bleibt souverän und am Ende steht es 4:2. „Elfmeterschießen können gerecht sein“, resümiert EM-taz-Autor Jan Feddersen und der Corriere dello Sport jubelt: „Gewaltig! Italia grandissima!“

Das Halbfinale

Im Laufe des Turniers hat sich Balotelli zum zweiten Schlüsselspieler neben Pirlo gespielt. „Er könnte in Form sein gegen die Deutschen“, warnt taz-Redakteur Andreas Rüttenauer. Er soll recht behalten. Italien erweist sich auch beim achten Turnierspiel für Deutschland so unbesiegbar wie zuvor.

Im Liveticker weigert sich taz-Expertin Ines Pohl, den Siegern zu gratulieren, aber EM-taz-Redakteur Michael Brake meint, dass Italien an diesem Tag „einfach besser“ war. Auch das Finale hält er für „eine offene Angelenheit“. Der Mann des Spiels: Der doppelte Torschütze Mario Balotelli. „Sein Talent ist so groß wie seine Selbstgewissheit“, schreibt taz-Sportredakteur Markus Völker, der Publizist Georg Seeßlen erklärt in der taz Balotellis Nicht-Jubel-Pose zu einem „antirassitsischen Denkmal“ und der Corriere della Sera kommentiert: „Es war die schönste Partie, eine Schönheit, entstanden aus dem Wissen um die eigenen Mittel.“

Deutschland hingegen ist noch vor dem Finale ausgeschieden, womit hierzulande nur die wenigsten. Dazu gehört EM-taz-Chef Deniz Yücel:„Super! Deutsche endlich am Arsch“, hatte er vor Beginn des Turniers in einer Kolumne geschrieben und prognostoziert, die deutsche Mannschaft sei „gefundebes Fressen für die Italiener“.

Vorm Finale

Aus der italienischen Mannschaft, die Buffon vor EM noch mit Griechenland oder Tschechien verglichen hat, ist wieder eine echte Fußballmacht geworden, berichtet Andreas Rüttenauer aus Kiew – einer der man zutraut, nicht nur den Titel zu gewinnen, sondern auch zur Heilung eines ganzen Landes beizutragen.

Und hier Spaniens Weg durchs Turnier.

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