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Jahresendkonferenz mit dem KremlchefMärchenstunde mit Wladimir Putin

Russlands Präsident stellt sich Fragen handverlesener Bürger*innen. Moskau habe den Krieg gegen die Ukraine nicht begonnen, sei aber zum Frieden bereit.

Putin vor seiner jährlichen Pressekonferenz und Bürgerfragestunde am Gostinny Dvor Foto: Pavel Bednyakov/dpa

Aus Moskau

Vera Bessonova

Seine Memoiren zu schreiben plant Wladimir Putin vorerst nicht. Das versicherte der russische Präsident am Freitag zum Ende seiner alljährlichen Veranstaltung „direkter Draht“. Vielleicht ist das die beste Nachricht dieses Tages. Der Mann im Kreml liebt es, seine immer gleichlautenden Thesen aufzuwärmen und seinen Auftritten hören ohnehin sehr viele Menschen zu.

So fanden Übertragungen seiner ganze viereinhalb Stunden andauernden 22. Jahresabschlusspressekonferenz, bei der auch ausgewählte russische Bür­ge­r:in­nen Fragen stellen durften, auch in Schulen und anderen staatlichen Einrichtungen statt.

Eingangs wollte die Moderatorin Jekaterina Beresowskaja wissen, wie es um die Verhandlungen zur Beilegung des bewaffneten Konflikts mit der Ukraine stünde. Putins Antwort: Auf Seiten der Ukraine sehe er keinerlei Anzeichen für eine Bereitschaft dazu. Allerdings deuteten gewisse Signale darauf hin, dass Kyjiw bereit sei, in einen Dialog zu treten.

Der Kreml sei dazu sowieso bereit und wolle den Konflikt auf friedliche Weise beenden, sobald die Ursachen beseitigt seien. Seine Vorstellungen dazu habe er im Juni 2024 im russischen Außenministerium festgehalten. Die Ukraine, zur Erinnerung, solle ihre Streitkräfte aus den Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson komplett abziehen, also aus Landesteilen, die russische Truppen gar nicht besetzt haben.

Die Laune steigt

Putins Laune stieg sichtbar, als er von den Erfolgen seiner Armee berichtete. Bald werde Liman im Donezker Gebiet vollständig eingenommen und auch andernorts gehe es an der Front voran. In Sumy und Charkiw solle eine „Sicherheitszone“ geschaffen werden.

Um von vermeintlichen Erschießungen von Zivilisten durch ukrainische Einheiten bei der russischen Einnahme von Sewersk zu berichten, wurde extra ein mit Orden dekorierter Offizier der russischen Armee in die erste Reihe gesetzt. Der allerdings tat sich schwer, seinen Text ohne Hilfe des Moderatorenteams aufzusagen.

Ob Moskau sich schuldig an dem weiteren Tod von Menschen fühle, sollte Putin Donald Trumps Friedensplan ablehnen? Diese Frage eines Journalisten des US-amerikanischen Senders NBC war vermutlich ernst gemeint.

Doch Putins Antwort war in höchstem Maße zynisch und verlogen: „Wir sehen uns nicht für den Tod von Menschen verantwortlich, weil wir den Krieg nicht begonnen haben.“ Von Ablehnung könne sowieso keine Rede sein, mit den USA habe man sich im Sommer beim Präsidententreffen in Alaska im Wesentlichen geeinigt.

Westliche Gegenspieler

Einziges Zugeständnis: Putin wolle darüber nachdenken, Angriffe im Inneren der Ukraine einzustellen, sollte es zu Wahlen kommen, um deren sicheren Ablauf zu gewährleisten. Auch sollte es sich auf russischem Gebiet aufhaltenden ukrainischen Staatsangehörigen möglich sein, ihre Stimme abzugeben, damit die Ukraine eine „legitime Staatsführung“ erhalte.

In der Welt des Wladimir Putin könnte es so friedlich zugehen, zum Wohl aller, wären da nicht Russlands westliche Gegenspieler. Diese die Kriegsrealität komplett auf den Kopf stellende Botschaft war nicht zu überhören. Der Ball liege jetzt im Feld der ukrainischen Führung und vor allem der europäischer Sponsoren Kyjiws.

Die hatte Putin zwei Tage zuvor als „Jungsauen“ beschimpft – ein Jargon, den sich bislang nur Ex-Präsident Dmitrij Medwedjew zueigen gemacht hat. Eine belarussische Journalistin hatte Gefallen an dem Begriff gefunden und Putin am Freitag dafür ausdrücklich gelobt. Der ruderte jedoch leicht zurück, er habe niemand Konkretes damit gemeint.

Aber wen er im Blick hatte, ist auch ohne Namensnennung klar: Die Verantwortlichen in Brüssel, die „Raub“ an russischem Vermögen begehen wollen, aber sich in der Europäischen Union nur auf halbe Sachen, wie einem zinslosen Kredit an die Ukraine, einigen können.

Reichlich Erfahrung

Putin triumphiert angesichts europäischer Uneinigkeit und kündigt an, die eigenen Interessen zu verteidigen. Darin hat der Kreml ja mittlerweile reichlich Erfahrung, siehe Putins Erzählung darüber, wer den Krieg in der Ukraine begonnen hat.

Apropos Krieg: Das Jahr 2026 steht unter dem Motto der Einheit aller Völker Russlands. Russland mache in dieser Hinsicht, so Putin, alles richtig, besonders jetzt, wo die Bevölkerung während der „militärischen Spezialoperation“ zusammengeschweißt sei. „Was macht es für die Menschen schon für einen Unterschied, welcher Religion jemand angehört, wenn sie unter Beschuss stehen?“, fragte er.

In Russland läuft alles prima, so hört sich Putins Erzählung an. Es geht nicht stets bergab, sondern bergauf: Die Wirtschaft verzeichnet Zuwächse, die Reallöhne steigen. Geht man ins Detail, trifft das indes fast ausschließlich auf die Rüstungsindustrie zu.

Freudige Nachricht

Etwa zur Halbzeit von Putins Auftritt dann die freudige Nachricht: Die Zentralbank senkt den Leitzins von 16,5 auf 16 Prozent. Einige Nöte und Sorgen der Bevölkerung kamen beim „direkten Draht“ ebenfalls zur Sprache, wie hohe Preissteigerung für Lebensmittel, die Erhöhung der Mehrwertsteuer und diverse Defizite bei Sozialleistungen. Eine um ihre Wohnungen betrogene Gruppe aus Mariupol hatte sich hingegen vergeblich um Gehör bemüht und war schon im Vorfeld abgewiesen worden.

BBC-Korrespondent Steve Rosenberg glänzte mit der Frage, ob Putin Russlands Zukunft so sehe wie die Gegenwart, wo abweichenden Meinungen hart bestraft würden. Repressionen gegen „ausländische Agenten“? So etwas gäbe es nicht, aus Putins Mund klingt allein der Gedanke abwegig. Das „Agentengesetz“ sei keine russische Erfindung und anders als in den USA sei auch keine Strafverfolgung vorgesehen.

Man müsse nur ausländisches Einkommen angeben. Putin, der sich so gern kenntnisreich gibt, irrt an dieser Stelle. Ausländisches Einkommen ist laut Gesetz keine Voraussetzung, um als „ausländischer Agent“ zahlreichen Beschränkungen unterworfen zu sein. Aber in der Welt des Wladimir Putin sind Fakten Chefsache und haben mit der Realität nur wenig gemein.

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