Jahrestag des Völkermordes in Ruanda: Reden ist Silber, Trauern ist Gold

Das große Publikum zum 25. Jahrestag des Völkermordes an den Tutsis kommt erst zur nächtlichen Totentrauer. Die Reden sind politisch und kämpferisch.

vier Menschen zünden tagsüber mit großen Fackeln ein Gedenkfeuer an

Kigali, 7. April: Moussa Faki (u.), Paul und Jeannette Kagame sowie Jean-Claude Juncker (r.) Foto: reuters

KIGALI taz | „Diese Geschichte wird sich nicht wiederholen“: Starke Worte wählt Ruandas Präsident Paul Kagame in seiner Rede zum 25. Jahrestag des Völkermordes an Ruandas Tutsi. Der Präsident, der 1994 als Rebellenführer das für den Völkermord verantwortliche Regime militärisch besiegt hatte, gibt sich auf dieser Gedenkfeier kämpferisch: Ruanda behandle seine Freunde gut – aber kein Feind dürfe Ruandas Stärke unterschätzen. Das sagt er, während in den Nachbarländern Uganda und Burundi ruandische Rebellen zum Krieg gegen ihr Heimatland rüsten.

Die Worte richten sich auch nach innen. Ruandas Stärke, sagt der Präsident, beruht auf seiner Solidarität. „Ruanda ist eine Familie. Deswegen gibt es uns noch, trotz allem, was wir durchgemacht haben.“ Besonderen Tribut zollt er den wenigen Tutsi-Völkermordüberlebenden. Durch Vergebung gegenüber den Tätern hätten sie ein Opfer gebracht, das die „Familie“ wieder zusammengeführt und nationale Versöhnung ermöglicht habe.

Die Transformation Ruandas, so Kagame, müsse von der jungen Generation kommen – fast 60 Prozent aller Ruander sind erst nach dem Völkermord auf die Welt gekommen. Sie sollten weiter daran arbeiten, dass Ruanda eine Erfolgsgeschichte wird. „Wir können noch besser sein. Wir sind die letzten auf der Welt, die sich Selbstgefälligkeit hingeben können.“

Es gibt viel Applaus für diese Rede im neuen Kongresszen­trum von Kigali, die auf eine Zeremonie an der zentralen Völkermordgedenkstätte Gisozi am Morgen folgt. In Gisozi sind nach amtlichen Angaben über 200.000 der mehr als eine Million Toten des Völkermordes beigesetzt. Vor etwa vierzig angereisten Staats- und Regierungschefs sowie den Kommissionspräsidenten der Eu­ro­päi­schen und der Afrikanischen Union entzündet der Präsident eine Erinnerungsfackel, die 100 Tage brennen soll.

Viele Amtskollegen sind angereist. Äthiopiens neuer Premierminister Abiy Ahmed, aktueller afrikanischer Hoffnungsträger, ist da – er diente 1995 als UN-Blauhelmsoldat in Ruanda. Einziger nichtafrikanischer Regierungschef ist Charles Michel aus Belgien: Er führt eine Delegation von mehr als 100 Menschen, darunter Angehörige der zehn belgischen UN-Soldaten, die am 7. April 1994 zu Beginn der Massaker in Kigali getötet worden waren.

Verblichene Politgrößen

Michel erhält viel Applaus, als er sagt: „Dieser Völkermord ist auch ein Versagen der internationalen Gemeinschaft.“ Er erinnert auch an die Entschuldigung seines Vorgängers Guy Verhofstadt, der bei einer anderen Gedenkfeier „die Nachlässigkeit, Inkompetenz und Irrtümer“ der damaligen belgischen Regierung anerkannt hatte.

Viele Länder schicken lediglich verblichene Politgrößen: Ex-Präsident Horst Köhler für die Bundesrepublik Deutschland, Ex-Premierminister-Gattin Cherie Blair für Großbritannien. Uganda hat immerhin seinen Außenminister geschickt. Burundi ist nicht vertreten. Auch die Präsenz Frankreichs ist sehr diskret, nachdem Präsident Emmanuel Macron eine Einladung ausgeschlagen hatte und in Paris Streit über die historische Aufarbeitung tobt. Statt Macron ist Hervé Berville gekommen, Hinterbänkler der Regierungsfraktion im französischen Parlament und ruandischen Ursprungs. Als vierjähriges Tutsi-Waisenkind wurde er 1994 von Frankreichs Militär aus dem Land geholt und von einer französischen Familie adoptiert.

Paul Kagame, Ruandas Präsident

„Ruanda ist eine Familie. Deswegen gibt es uns noch, trotz allem“

Besonderes Aufsehen erregt die Rede von Jean-Damascène Bizimana, Präsident der Nationalen Kommission für den Kampf gegen Völkermord (CNLG). Er empört sich darüber, dass es immer noch Staaten gibt, die sich weigern, flüchtige Völkermord-Täter vor Gericht zu stellen oder auszuliefern, weil sie inzwischen eingebürgert worden sind. Die USA hätten immerhin beschlossen, Beteiligte an den Massakern wieder auszubürgern. Und er fordert die Vereinten Nationen auf, ihre Archive über Ruandas Völkermord an Ruanda zu übergeben.

Bei all diesen Zeremonien sind die Ehrengäste unter sich. Bei früheren Völkermord-Gedenkfeiern fanden die Reden vor Zehntausenden Zuhörern im großen Amahoro-Stadion von Kigali statt. Diesmal wird erst nach den Gedenkreden im kleinen Kreis die Bevölkerung von Kigali zum Marsch zum Stadion gebeten. Während einer Nachtwache werden Namen der Toten rezitiert, dann gibt es öffentliche Trauergesänge und -reden. In Erwartung dieser langen Nacht ist Kigali an diesem Sonntag ruhig und still.

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