Japan: Begegnungen der dritten Art

Kein Land, sondern ein eigener Planet. Dabei finden die Japaner Ausländer mindestens so merkwürdig wie wir sie.

Schräges, auch bei der Kunstmesse in Tokio. Bild: imago/AFLO

Ich habe Japanisch studiert und immer wieder für ein paar Monate in Japan gelebt, unter anderem bei einer Gastfamilie in Fukushima. Sie waren Tabakbauern. Im Haus von Familie Satô lebte auch die 90-jährige Großmutter. Sie war von der jahrelangen Arbeit auf den Feldern ganz krumm und stützte sich mit den Händen immer auf dem Boden ab. Sie lief quasi auf allen vieren.

Als ich beim Essen auf dem Boden saß, berührte sie unter gemurmelten Entschuldigungen meine Füße und tastete die Zehen ab. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Offenbar fand sie irgendwann, was sie gesucht hatte, lächelte und sagte, alles sei in Ordnung. Zurück in Tokio erzählte ich meiner Freundin Megumi davon, die das zwar genauso komisch fand wie ich, sich aber erinnern konnte, dass man früher geglaubt hatte, Ausländer hätten nur vier Zehen.

Das kam so: Traditionelle japanische Socken haben eine Extrakammer für den großen Zeh, damit man sie auch in den Geta, den japanischen Flipflops, tragen kann. Bei den Socken der „Langnasen“ fehlt diese Extrakammer. Deswegen dachten Japaner früher, Ausländern fehle der große Zeh.

Japan Rail Pass: Der Bahnpass bietet sich vor allem für eine Rundreise an. Japanische Züge sind sauber, sicher und die pünktlichsten weltweit: Im Jahresdurchschnitt kommen sie 6 (!) Sekunden zu spät. Eine Woche kostet ab 215 Euro. www.japanrailpass.net

Heiße Quellen: Nur eine kurze Bahnfahrt von Tokio entfernt liegen die Hakone-Quellen. Überall blubbert und plätschert es, und bei gutem Wetter ist der Blick auf den Berg Fuji inklusive.

Oedo Onsen Monogatari: Wer lieber in der Stadt bleiben will, kann locker einen ganzen Tag in dem Onsen-Themenpark verbringen. Im Stil eines japanischen Palastes aus der Edo-Zeit gebaut, wird das heiße, mineralhaltige Quellwasser aus 1400 Metern Tiefe hochgepumpt und in unzählige Außen- und Innenbecken geflutet.

Flüge: ab 600 Euro. Wer schon im Flieger japanische Gastfreundschaft erleben möchte, bucht den Flug mit Japan Airlines. www.jal.co.jp

Kleiner Tipp: Tattoos sind in vielen Onsen tabu - sie gelten als Zugehörigkeitssymbol zur Yakuza, der japanischen Mafia.

Kein Platz für die Heizung

Willkommen in Japan. Immer wenn ich denke, jetzt habe ich Land und Leute endlich verstanden, passiert irgendetwas, das mir zeigt: Ich habe keine Ahnung. So ging es mir auch, als ich mir mit einer Mitbewohnerin eine winzige Wohnung in Sôka teilte, einem Unistädtchen eine Stunde nördlich von Tokio. Auf den 30 Quadratmetern war leider kein Platz für eine Heizung gewesen. Monatelang haben wir in Skiunterwäsche unter drei Decken geschlafen, bis es Frühling wurde. In Japan baut man für den unerträglich schwülen Sommer: Alte Häuser stehen auf Stützen, Fenster sind prinzipiell nicht dicht, überall gibt es Ritzen, durch die kühle Luft strömt.

Natürlich hat jeder Haushalt eine Klimaanlage. Im Sommer haben wir dann gemerkt, dass wir nicht nur keine Heizung, sondern auch keine Klimaanlage haben. Das fanden nun unsere japanischen Freunde empörend. Keine Klimaanlage in Japan zu haben ist so undenkbar, wie in Deutschland keine Heizung zu haben.

Begehrtes Blond

Bei mehr als einer Gelegenheit habe ich mich gefragt, wie Japan zu einer der führendsten Industrienationen aufsteigen konnte. Beim Waschen zum Beispiel. Die Waschmaschine in unserem Apartment sah aus wie ein überdimensionierter Legostein. Man öffnete den Deckel und warf die Wäsche in eine Art Nudelsieb. Das war die Trommel. Dann musste man kaltes Wasser vom Hahn direkt in die Trommel laufen lassen, Waschpulver darüberstreuen, mit dem man besser keinen Hautkontakt haben sollte, und dann die integrierte Eieruhr auf 15 Minuten stellen. Danach waren meine Jeans fünf Zentimeter länger.

Japaner finden uns gaijin seltsam. Naseputzen in der Öffentlichkeit ist nur eine Sache, die sie wirklich ekelig finden. Aber irgendwie sollte man glauben, dass Japaner fast 150 Jahre nach der Meiji-Restauration an unseren Anblick gewöhnt sind. In Tokio mag das stimmen. Aber Sôka ist nicht Tokio. Man fällt als Ausländer auf, vor allem als 1,73 Meter große, blonde Mitteleuropäerin. Ältere Damen blieben auf der Straße stehen, um meine „goldenen“ Haare zu streicheln. Dann stand ich da wie ein Golden Retriever und ließ mir von winzigen japanischen Omis über den Kopf streicheln. Dass passierte so oft, dass ich mir ernsthaft überlegt hatte, ein Schild um den Hals zu hängen: „Einmal streicheln 100 Yen“.

Als ich dann zum Friseur gehen wollte, um meine goldenen Haare abzuschneiden, erschrak der Friseur bei meinem Anblick so sehr, dass er die Hand vor den Mund hielt und mir seine Assistentin auf Englisch radebrechend klarmachte, dass dies ein japanischer Friseur sei und da Japaner ganz besondere, dicke Haare hätten, könne man mich leider nicht bedienen.

Viel Geld, wenig Arbeit

Immerhin beschaffte mir mein Exotenstatus einen Nebenjob in einer japanischen Baufirma mitten in Tokio. Auf dem Oktoberfest der Deutschen Botschaft verschüttete ich mein Bier aus Versehen auf Herrn Kawaguchi. Der bat mir daraufhin einen Job an – er suchte jemanden, der Glasbausteine in Deutschland bestellen und Broschüren übersetzen könne. Vier Monate lang pendelte ich zweimal die Woche in die Baufirma, wo ich viel Geld für wenig Arbeit erhielt, was mir bei den hohen Lebenshaltungskosten sehr gelegen kam.

Dafür nahm ich die Firmenuniform in Kauf, bestehend aus weißer Bluse, grauem Rock und grauer Weste, in er ich aussah wie eine DDR-Grenzbeamtin. Das gefiel dem Abteilungsleiter des Overseas Purchase Department. Er war passionierter Künstler und fertigte den ganzen Tag lang Skizzen seiner Mitarbeiter an oder googelte Katzenbilder, seine zweite Leidenschaft. Ich merkte schnell: Allen Mitarbeitern war sehr langweilig, und ich war da, um sie zu unterhalten. Die Baubranche war am Boden, und es gab schlichtweg keine Aufträge. Daher wurden kleinste Aufgaben mit viel Eifer und großer Ernsthaftigkeit angegangen.

Ich bat eine Kollegin um einen Anspitzer. Sie hatte keinen, und binnen Minuten war die ganze Abteilung auf der Suche. Als ich anbot, im Schreibwarenladen um die Ecke einen zu kaufen, war die Stimmung im Eimer. Betretenes Schweigen und die tadelnde Bemerkung meiner Kollegin, dass das doch nicht ginge.

Singende Ampeln

Tokio. Ampeln, die bei Grün „When the Saints go marching in“ spielen, U-Bahnen, in die behandschuhte Männer immer noch mehr Menschen hineinquetschen, und Misosuppe mit Lachs-Sashimi zum Frühstück. Die ganze Stadt scheint einzig und allein der Unterhaltung zu dienen. Überall blinkt es, flackern Neonreklamen. Mädchen sprechen, als würden sie ausschließlich Helium atmen. Eine Stadt, die mich oft in den Wahnsinn trieb, die mich aber auch süchtig machte.

2011 wollte ich meine Freunde aus Studentenzeiten besuchen. Dann passierte das Jahrhundert-Erdbeben mit Tsunami und Atom-GAU. Meine Freundin Megumi hat mittlerweile ein Kind, lebt in Tokio und ist verunsichert: „Unsere Geigerzähler zeigen hohe Werte, aber die Regierung sagt, alles sei sicher. Ich weiß nicht, was ich glauben soll.“

Ich habe versucht, meine Gastfamilie aus Fukushima zu finden. Von der Bezirksregierung habe ich erfahren, dass es in der Region keine Toten gab, die Familie aber auch nicht mehr in dem Dorf lebe. Wurden sie evakuiert? Angeblich hat die Regierung dazu aufgerufen, Obst und Gemüse aus Fukushima zu kaufen, um die örtlichen Bauern zu unterstützen. Das Schlimmste, was ich mir vorstelle, ist, dass Familie Satô noch immer auf den Feldern sitzt und Tabakblätter rollt.

Japan. Ich werde das Land wohl wirklich nie verstehen.

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