Japans Rechtssystem: So viele Geständnisse wie in Diktaturen

"Geiseljustiz" in den polizeilichen Ersatzgefängnissen sorgt in Japan für einen sehr hohen Anteil an Geständnissen. Bewusstsein für nötige Reformen reift nur langsam.

Stolz auf die viele Geständnisse: Japans Justizminister Kunio Hatoyama. Bild: ap

TOKIO taz "Ich hoffe, sie strengen sich ab jetzt gut an." Diese Worte standen am Ende von Hiroshi Yanagiharas Odyssee durch Japans Strafrecht und stammen vom Vorsitzenden Richter seines Wiederaufnahmeverfahren. Drei Jahre saß der heute 42-Jährige als verurteilter Vergewaltiger unschuldig in Haft - bis sich ein später gefasster Serientäter eher zufällig auch zu seinem Fall bekannte. "Diese Nicht-mein-Problem-Haltung des Gerichts macht mich krank", sagt Yanagihara. Während der Haft verstarb sein Vater allein und ohne Beistand. Alle sozialen Bindungen sind gekappt. Sein Job ist weg, seine Zukunft fraglich.

Das Strafrecht wurde 1907 nach dem Vorbild des deutschen kaiserlichen Reichsstrafgesetzbuches konzipiert und 1947 durch die US-Besatzungstruppen reformiert. Es beinhaltet die Todestrafe, die sich Umfragen zufolge auf 90-prozentige Unterstützung der Bevölkerung stützen kann. Insgesamt leidet Japans Rechtssystem unter geringer Personalausstattung aufgrund des geringen Prestiges juristischer Berufe. . In den von der Polizei verwalteten so genannten Ersatzgefängnissen, die es in jeder mittleren Polizeiwache gibt, können Verdächtige bis zu 24 Tage ohne Haftbefehl festgehalten werden. Die Beschuldigten haben dort nur einen eingeschränkten Zugang zu Anwälten wie auch ein beschränktes Recht auf Aussageverweigerung und zu Kontaktaufnahmen. Verhöre, bisher grundsätlich ohne Tonband- und Videoaufzeichnung, von bis zu 18 Stunden sowie der Entzug von Schlaf und Nahrungsaufnahme sind keine Seltenheit. Laut UN-Komitee gegen Folter vernachlässigt Japan die generelle Unschuldsvermutung wie das Recht auf Verteidigung. Verurteilungen allein auf Basis von Geständnissen seien grob rechtswidrig.

Yanagihara war Taxifahrer in der kleinen Stadt Hini an der dünn besiedelten Westküste des japanischen Archipels. In der Umgebung waren zwei Frauen vergewaltigt worden, und ein Kollege meinte, ihn auf einem Phantombild der Polizei wiedererkannt zu haben.

"In der falschen Sicherheit, den richtigen Mann zu haben, ignorierten die Ermittler alle entlastenden Indizien. Sie schleppten Yanagihara in eines ihrer Verhörzimmer und bearbeiteten ihn so lange, bis er alles gestand", sagt sein Anwalt Shinichiro Murata.

Nach japanischem Recht können Verdächtige 23 Tage lang ohne Haftbefehl und ohne Kontakt zur Außenwelt von der Polizei vernommen werden. Die Verhöre dauern bis zu 18 Stunden - oftmals ohne Flüssigkeitsaufnahme, Schlaf und Ausgang. "Es werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Verdächtigen zu einem Geständnis zu bewegen - psychischer Druck, falsche Versprechungen, plumpe Lügen und nicht selten auch Gewalt", so Senichiro Koike vom Verband der japanischen Rechtsanwälte.

"Yanagihara ist ein typischer Fall", meint Murata. "Bei ihm dauerte es nur drei Tage - trotz der schwer wiegenden Vorwürfe. Einfache Menschen sind in Japan nicht geübt darin, der Obrigkeit zu trotzen und auf den eigenen Rechten zu beharren."

Das Geständnis gilt in japanischen Strafverfahren als Königin der Beweise. Denn bei Geständnissen gibt es keine zwei Meinungen, keine zweifelhafte Beweisaufnahme in der Sache. Die schwache Seite wird zum Verzicht auf alle Rechte gedrängt und der Schein der Harmonie nach außen gewahrt. 99,9 Prozent aller Strafprozesse in Japan enden mit einem Schuldspruch. 87 Prozent davon basieren auf einem Geständnis.

Justizminister Kunio Hatoyama ist stolz auf diese Werte und sieht sie als Beweis für die Effizienz von Polizei und Justiz. Doch im internationalen Vergleich werden ähnliche Zahlen nur von autoritären Unrechtsregimen erreicht. "Die Gerichte fungieren in Japan nur als Stempelstelle der exekutiven Behörden. Wie soll es auch eine unabhängige Justiz geben, wenn elementare Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaats nicht einmal vom zuständigen Minister verstanden werden?", fragt Koike.

"Geiseljustiz" wird das System von seinen Kritikern genannt. Verdächtige werden in die provisorischen Gefängnisse der Polizei entführt und zum Geständnis gepresst. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Fälle verbürgter Justizopfer. Und jedes Mal spielten die Verhörmethoden der Polizei eine zentrale Rolle. Recht regelmäßig taucht Japan auch in Berichten der früheren UN-Menschenrechtskommission und des jetzigen Rates auf.

Der breiten Öffentlichkeit wurde die Praxis der "Geiseljustiz" erst in einem Spielfilm nahe gebracht. Unter dem Titel "Wie auch immer - ich wars nicht" wird die wahre Geschichte eines Angestellten gezeigt, der in der Bahn ein Mädchen sexuell belästigt haben soll. Der Film schildert recht eindringlich den rücksichtslosen Eifer der Polizei nach der zu schließenden Akte und gab schließlich die Initialzündung für eine breite Diskussion zu ersten Reformen im Prozessrecht.

In einem im März begonnen Versuch sollen Verhöre zumindest bei schweren Anschuldigungen aufgezeichnet werden. Noch wichtiger ist für Koike die testweise Einführung von Geschworenengerichten ab dem kommenden Jahr. "Ich habe schon viele in Prozessen schlafende Richter gesehen, die sich trotz der eklatanten Vernachlässigung ihrer Amtspflichten noch immer als Halbgötter empfinden. In das gesunde Rechtsempfinden des Normalbürgers setze ich weit mehr Vertrauen."

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