Jelinek-Aufführung „Wut“: Schenkelklopfende Dschihadistinnen

Es darf gelacht werden: Jelineks Stück „Wut“ karikiert religiöse Radikalisierung und Polizeigewalt fast ohne moralisierenden Zeigefinger.

Eine Frau im Minirock steht mit einem Mann auf der Theaterbühne, neben ihr eine überlebensgroße Katze mit Sprengstoffgürtel

Bombenstimmung auf der Bühne: Elfriede Jelineks Stück „Wut“ spielt mit den Grenzen der Karikatur Foto: Thomas Aurin

Der Regisseur greift ein. Nicolas Stemann stellt klar, dass da gerade nicht Elfriede Jelinek gesprochen hat, sondern eine Schauspielerin, die Elfriede Jelinek gespielt habe. Dieselbe Schauspielerin habe auch den Regisseur gespielt und sei nicht der Regisseur gewesen, der sei ja er selber. Und wie er, der Regisseur des Abends, da so auf der Bühne steht, mag sich mancher fragen, ob er in dem Moment, in dem er zum Publikum spricht, nicht doch auch selbst wieder nur ein Schauspieler ist, der einen Regisseur spielt, der Nicolas Stemann heißt. Und wie er sich und das Publikum so fragt, ob er wohl gut getroffen worden sei, da wird er in seiner Eitelkeit zur Karikatur, womit wir schon beim Thema wären.

Jelinek hat sich nach den mörderischen Anschlägen vom 7. Januar 2015 auf das Satiremagazin Charlie Hebdound einen koscheren Supermarkt in Paris darangemacht, die Wut zu verstehen, die die Attentäter angetrieben haben mag. Herausgekommen ist ein Text, der am Samstag in den Münchner Kammerspielen zur Uraufführung gekommen ist. „Wut“ heißt der Text, den Stemann in einer wilden Revue auf die Bühne gebracht hat.

Da geht es um die Wut der betrogenen Partnerin, die folgenlos bleibt, weil sie in ihrer Aufgeregtheit erst einmal aufs Klo geht. Es geht um die Wut im Netz, wo mit Schaum vorm Mund in die Tastatur gehauen wird. Kleiner Shitstorm gefällig? Schon scheißen die Schauspieler durch megasaubere Reinraumanzüge auf die Bühne und werfen mit der Scheiße auf die Bilder derer, die ihnen nicht passen. Schwäbische Wutbürger, Volk in Pegida-Wut und die wahre Wut auf die verlogene Presse fehlen auch nicht. Die Wut all derer, die „wir!“ schreien, wenn sie eigentlich „ich“ sagen müssten.

Es hätte ein schrecklicher Zeigefingerabend werden können, eine gruselige Schlimm-schlimm-Revue. Und Jelineks ratloser Text, in dem sie auch keine Antwort darauf findet, wo all die Wut nun herkommt, hätte zur Nachdenkvorlage werden können für einen intellektuell gehaltvollen Abend in einer Schwabinger Altbauwohnung bei teurem Rotwein. Stattdessen wird herzhaft gelacht über die Karikaturen, die auf der Bühne herumlaufen. Wie ein Mädchen sich in den bewaffneten Kampf hineinfantasiert, wird nicht in sozialpädagogischem Verständnisduktus vorgetragen, sondern im Kreischton kichernder Teenies in viel zu kurzen Röcken und viel zu hohen Schuhen. Schenkelklopferdschihadistinnen statt Problemkinder.

Nächste Aufführungen: 19. 4., 24. 4., 8. 5., 26. 5. Münchner Kammerspiele

Viel Spaß beim Nachdenken

Und wenn Jesus, der nie ohne sein Kreuz aus dem Haus geht, seine Götterkumpels Buddha, Ganesha oder Zeus zur Party einlädt, dann darf auch Mo nicht fehlen. Die Götter fragen sich, wo er bleibt und können es kaum fassen, als ein Mann im Minirock, Netzstrumpfhosen und hochhackigen Schuhen den Raum betritt. „Ich habt doch nicht geglaubt, dass ich …“, sagt der. Nein, geht ja gar nicht. Es gibt ja kein Bild von Mohammed. Den Karikaturen der Götter auf der Bühne bleibt doch nur die Charlie-Hebdo-Karikatur von Mohammed als Bild des Propheten. Schauspieler stellen Karikaturen von Göttern dar, die über eine Karikatur eines Religionsstifters sprechen, von der viele behaupten, dass eine solche nicht erlaubt ist.

Bitte sehr, liebes Publikum, viel Spaß beim Nachdenken darüber, was uns der Regisseur hat sagen wollen. Geht es um das Bilderverbot im Islam oder allgemein um Religion unter spezieller Berücksichtigung des radikalen Islam? Ist das kalkulierte Verletzung religiöser Gefühle oder eine Satire über Menschen, die sich Gedanken über religiöse Gefühle machen? Stemann gibt dem Publikum freie Hand. Witzelt da einer nur oder ist es ihm ernst? Man weiß es nie an diesem beinahe vier Stunden langen Abend. Und genau das macht ihn zur großen Kunst.

Wenn Jesus seine Götterkumpels einlädt, darf auch Mo nicht fehlen

Und wenn am Ende vorgeführt wird, dass der Wut kein Zweifel innewohnt, dass es keinen Sinn hat zu argumentieren, wenn einer sagt: „Wir töten euch, weil ihr die seid, die bestimmen, was überall auf der Welt geschieht!“, dann wird es still im Publikum. Noch ein paar kritische Anmerkungen zur Rolle des Kapitalismus bei der Mörderwerdung junger Männer, ein Verweis auf das Massaker französischer Polizeieinheiten gegen friedlich demonstrierende Algerier im Jahr 1961, und plötzlich ist da dieser intellektuelle Klartext, der den Abend beinahe noch kaputt gemacht hätte. Wir haben doch so schön gelacht über all die Karikaturen, die dieses großartige Ensemble da auf die Bühne gestellt hat.

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