Jesiden in Norddeutschland: Eine Gemeinschaft im Übergang

Tradition, Bildung, Frauenrechte – in der jesidischen Gemeinde treffen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander.

Ohne Frauen: Oldenburger Jesiden beraten, wie sie ihren Landsleuten im Irak helfen können. Bild: Jean-Philipp Baeck

HAMBURG taz | „Jetzt merken wir, warum die Jesiden immer so an der Gemeinschaft festgehalten haben“, sagt Düzen Tekkal. „Es ist ein Schutzmechanismus.“ Tekkal ist Journalistin, sie arbeitet für Spiegel TV und RTL. Sie ist weit davon entfernt, die Dinge schönzureden. Die Dinge: das sind die Konflikte der Jesiden untereinander. Das Aufbegehren der Frauen gegen die Vormacht der Männer, das Ungenügen, das die Jungen empfinden, weil ihnen die Alten so wenig über die eigene Religion sagen können.

Der Zusammenprall einer Welt von vor 500 Jahren mit der gegenwärtigen, so sagt es Jan Ihlan Kezilhan, der Psychologe ist und ethnologisch-psychologische Studien zu den Jesiden veröffentlicht. Er hat ein Kinderbuch geschrieben, das erklären soll, woran die Jesiden glauben. Und in Prozessen wegen eines sogenannten Ehrenmordes hat er den jesidischen Täter begutachtet.

Tekkal und Kezilhan sind selbst Jesiden. Man kann daraus schlussfolgern, dass sie befangen sind, wenn sie über diese Gemeinschaft sprechen. Man kann es aber auch so deuten, dass sie nicht nur einen Außenblick darauf werfen. Es ist interessant, wie ähnlich der Ton ist, in dem sie und zwei weitere junge Frauen über die Konfliktfelder innerhalb der Jesiden sprechen: Niemand verneint, dass es „schwarze Schafe“ gibt, so sagt es die Studentin Berivan Demir (Name geändert) von der jesidischen Hochschulgruppe in Bremen, dass es Zwangsheiraten gibt und auch Morde an jungen Frauen, die ihr Leben selbstbestimmt führen wollten. Aber alle sind sich sicher, dass das Ausnahmen sind und dass die jesidische Gemeinschaft im Umbruch ist: von einer, deren Überlebensstrategie Abkapselung ist, hin zu einer, der der Spagat zwischen Innen und Außen immer mehr gelingt.

Nach außen, an die Öffentlichkeit, dringt weniger das Ringen um eine religiöse Identität als die Frage, wie es den Jesidinnen geht. Es gibt eine Studie aus dem Jahr 2011, die das Bundesfamilienministerium zu Zwangsverheiratungen in Deutschland in Auftrag gegeben hat. Demnach ist der Anteil von Jesidinnen, die aus Angst vor einer erzwungenen Ehe Beratungsstellen aufsuchen, um ein Vielfaches höher als ihr Anteil an der eingewanderten Bevölkerung.

Das kann man als Hinweis darauf sehen, dass das Problem innerhalb der Jesiden besonders groß ist, zumal bei ihnen sowohl Mutter als auch Vater Jeside sein müssen, damit das Kind als zur Gemeinschaft zugehörig gilt. Man kann aber auch, das ist die Schwierigkeit der Statistik, darin einen Hinweis sehen, dass Jesidinnen sich in dieser Zwangssituation eher Hilfe holen als zum Beispiel muslimische Frauen.

Frauen auf der Überholspur

Die Journalistin Düzen Tekkal sagt: „Ich habe mir Gehör verschafft“ – und studiert. Inzwischen ist die Familie stolz auf sie. „Du bist für mich wie ein Sohn“, so formulierte der Vater sein zwiespältiges Lob. Und die Onkel laden sie ein, mit ihnen über Politik zu diskutieren. Tekkal glaubt, dass die jesidischen jungen Frauen inzwischen auf der Überholspur sind, dass sie mit ihrem Bildungsehrgeiz perfekt zum deutschen Leistungsideal passen.

Auch für Jan Ihlan Kezilhan sind die Jesiden in Bewegung: Einen „erheblichen Generationenkonflikt“ sieht er zwischen der ersten Generation, die im Geist das Dorf ihrer Herkunft nicht verlassen habe, und der dritten, die, in Deutschland aufgewachsen, die alten Regeln in Frage stelle. Die sind, das macht Kezilhan sehr deutlich, oft nicht im eigentlichen Sinne religiös, sondern kulturell begründet.

Das Jesidentum sieht keineswegs die Unterordnung der Frau vor. Gerade jetzt, so beschreibt es Kezilhan, stießen in der jesidischen Community in Deutschland Tradition und Moderne heftig aufeinander, wenn Jesiden aus ehemaligen Sowjetrepubliken und der Türkei auf die deutlich konservativeren aus dem Irak träfen. Und doch ist er überzeugt, dass sich nach einer „Übergangsphase“ von etwa 15 Jahren die freiheitlichere, jüngere Fraktion durchgesetzt haben wird.

Fragen der Jungen

Die Linien dieser Entwicklung sind oft feiner als die von Frau gegen Mann und Jung gegen Alt. Die älteren Frauen in ihrer Gemeinde in Osterholz-Scharmbeck hätten großes Interesse an Computerkursen, sagt Hülya Cengiz, die dort Referentin für Frauen- und Mädchenfragen ist. Weniger, um sich von ihren Ehemännern zu emanzipieren, als um nicht länger bei allen Amtsfragen von ihren Kindern abhängig zu sein. Die Jungen wüchsen hier freiheitlicher auf, meint Cengiz, sie fürchteten nicht wie die Alten, dass es um Assimilation statt um Integration ginge.

Diese Jungen rücken den Alten mit ihren Fragen auf die Pelle, so klingt es in den Gesprächen – aber natürlich ist das ein Ausschnitt, sind es diejenigen, die sich mit dem Bestehenden ohnehin nicht zufriedengeben. Es gibt ein großes Interesse an den religiösen Grundlagen, über die unter den Jesiden, von denen viele ohne Schulbildung waren, wenig bekannt war. Junge Frauen wie Berivan Demir übersetzen Gebete aus dem Kurdischen ins Deutsche. Sie kritisieren die bestehenden jesidischen Verbände – „Egospiele zwischen älteren Männern“ – und setzen auf die Jüngeren. Die sollen Aufklärungsarbeit leisten.

Mehr zu den Jesiden in Norddeutschland gibt es in der gedruckten Wochenendausgabe der taz oder am E-Kiosk.

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