Joachim Gauck auf Versöhnungstour: Schlussstrich per Umarmung

Joachim Gauck besucht mit François Hollande Oradour, wo 1944 SS-Männer über 600 Menschen ermordeten. Heute sei Deutschland „gut“, sagt er.

Dieses Treffen soll in die Geschichte eingehen: Hollande und Gauck in Oradour. Bild: dpa

PARIS taz | Wenn Frankreich und Deutschland, verkörpert je durch ihre Präsidenten, sich in den Armen liegen, ist das doch ein seltenes und starkes Bild der Freundschaft und Aussöhnung. Es war am Mittwoch der Höhepunkt eines dreitägigen Besuchs von Bundespräsident Joachim Gauck in Frankreich: Seite an Seite, Hand in Hand besuchten Gauck und sein Gastgeber François Hollande eine Stätte des Grauens in Oradour-sur-Glane, wo am 10. Juni eine SS-Einheit 642 Dorfbewohner bestialisch ermordet hatte.

Heute ist der Schauplatz des Kriegsverbrechens mit seinen Ruinen eine Gedenkstätte. Alles an der seit 1944 wach gehaltenen Erinnerung wäre angetan, feindselige Gefühle gegen die „Boches“ (Übername der deutschen Besatzer) zu schüren. Deshalb war der Besuch des Deutschen Gauck alles andere als selbstverständlich.

Gerade darum war es – trotz der Inszenierung der feierlichen Zeremonie – echt beeindruckend und rührend, als sich Hollande und Gauck nach ihrem Rundgang durch dieses Mahnmal der Kriegsgräuel innig umarmten. Beide möchten, dass diese symbolische Geste der Versöhnung in die Geschichte eingeht, wie das Treffen von François Mitterrand und Helmut Kohl auf dem einstigen Schlachtfeld von Verdun 1984.

Lange wollten die wenigen Überlebenden von Oradour und ihre Nachkommen in diesem Ort westlich von Limoges lieber gar keine Deutschen sehen. Gauck hat ihnen bei seinem Treffen seine tief empfundene Dankbarkeit und Anerkennung ausgesprochen. Er hat diese Einladung genutzt, um ihnen, und via Medien allen Franzosen und Französinnen, in Erinnerung zu rufen, dass „Oradour und die anderen Orte des Grauens und der Barbarei nicht vergessen“ seien. Dass es in Deutschland eine „ernsthafte Auseinandersetzung“ mit der Geschichte gegeben hat, bei der die „Nachgeborenen“ unbequeme Fragen gestellt hätten.

Deutschland ist heute „gut“

Weil sie Lehren gezogen hätten, sei Deutschland heute ein „gutes Land“, das „Europa bauen und nicht beherrschen“ wolle. Er sei nach Oradour gekommen, „damit man sich der von Deutschen eines anderen Deutschland verübten Gräuel erinnert“, hat Gauck gesagt, der so einen Schlussstrich zieht.

Das „andere Deutschland“ und den „guten Deutschen“ verkörpert Gauck in Frankreich auch in anderer Hinsicht. Er hat zudem den Vorteil, ein fast unbeschriebenes Blatt zu sein, von dem nichts Nachteiliges bekannt. Die meisten Franzosen wussten gar nicht, dass es in der Bundesrepublik neben der Kanzlerin auch einen Präsidenten gibt.

Während Angela Merkel die französischen Partner immer wieder mal brüskiert hat, empfahl Gauck Hollande mit der Freundlichkeit eines Pastors die deutsche Tugend der Sparsamkeit: „Ich gehöre zu den Menschen, die sich freuen, dass Konsolidierungs- und Reformschritte konkret angegangen werden.“ Er verriet, dass auch Deutschland eine weitere Reformdebatte bevorstehe.

Gauck mahnte „ohne jede Häme gegen Frankreich“ in seiner Ansprache am Dienstag: „Reformen, das Wort sagt sich leicht. Veränderungen aber haben viele kleine Gegner: Angst, Bequemlichkeit, auch tief eingelagerte Prägungen stehen ihnen im Wege.“ Das war natürlich sehr freundlich gemeint, doch seine Gastgeber mussten sich dennoch betroffen fühlen und sich fragen, ob dieser so „andere Deutsche“ mit seinen wohlmeinenden Worten nicht auch unbequem werden könne wie die viel direktere Merkel.

Mit einem Abstecher in die diesjährige europäische Kulturhauptstadt Marseille beendet der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck seine versöhnliche Tour de France.

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