Journalistentreffen „Netzwerk Recherche“: Hurra, wir leben noch

Auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche versuchen die Journalisten die Krise als Chance zu sehen. Tadel verteilen sie an Bundesminister Hans-Peter Friedrich.

Bundesinnenminister Friedrich scheute sich seine „verschlossene Auster“ abzuholen. Bild: dpa

Am frühen Samstagnachmittag läuft das Programm auf den Höhepunkt zu. Das Netzwerk Recherche verleiht auf seinem Jahreskongress die verschlossene Auster, den Negativpreis für Kommunikation. Georg Mascolo ist da, bis zum Frühjahr noch Spiegel-Chefredakteur. Sein Rauswurf glich ebenso einer Kommunikationspleite, doch nun geht es um einen, der zuletzt den Eindruck erweckte, sich gegen den Journalismus an sich stellen zu wollen. Es geht um den Bundesminister des Inneren.

„Hans-Peter Friedrich ist in diesem Land der deutsche Verfassungsminister“, mahnt Mascolo. Seine Aufgabe sei es, die verfassungsgemäßen Rechte der Deutschen, ohne die es in diesem Land keine Ordnung geben könne, zu schützen. Nun müsse er an seine Pflichten erinnert werden, zu der auch die Wahrung der Pressefreiheit zähle. Gekommen, um sich seinen Preis abzuholen, ist der CSU-Politiker nicht. Sein Vorgänger Otto Schily war dafür einst extra per Hubschrauber eingeflogen. Der Auftritt ist unter Journalisten legendär.

Die verschlossene Auster ist das wichtigste Instrument des Vereins, der jeden Sommer für zwei Tage einen Teil des NDR-Geländes okkupiert, um seinem Namen gerecht zu werden und ein Netzwerk für Rechercheure zu bilden. Innenminister Friedrich genießt bei den journalistischen Ermittlern keinen guten Ruf. Sie tadeln ihn und seinen Apparat dafür, Akten erst dann rauszurücken, wenn Richter die Anfragen aus der Öffentlichkeit nach einem Blick ins Gesetz unterstützen.

Ohne juristischen Druck geht oft nichts. Und wenn sie gezwungen werden, legen sie nach: Für die Unterlagen, aus denen hervorgeht, an welche Medaillenwünsche das Friedrich-Ministerium seine Fördergelder für den Spitzensport koppelt, stellte die Behörde Gebühren von 15.000 Euro in Rechnung.

Vor zwei Jahren war es allerdings kein Minister, der auf dem Treffen des Netzwerks für Aufregung sorgte, sondern die Vereinsspitze selbst. Im Mittelpunkt der Affäre stand Thomas Leif, Chefreporter des SWR. Er hatte den Verein mit großem Engagement zu dem gemacht, was er war: ein Erfolgsmodell, das den Deutschen Journalistenverband, den etablierten DJV, alt aussehen ließ. Leif suchte dabei so etwas wie Grenzerfahrungen – und machte Fehler. Der übrige Vorstand lehnte sich währenddessen quasi zurück.

Damals gerieten die Skandaljäger selbst in die Schlagzeilen. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erhielt Fördergelder von 75.000 Euro zurück, die einst zu Unrecht in die Bilanzen des Vereins eingeflossen waren. Nun, zwei Jahre später, gehen Verein und Leif fleißig getrennte Wege. Die bpb schießt seit diesem Jahr wieder Geld für die zweitägige Tagung zu, die weiterhin der zentrale Treffpunkt der Branche ist.

Datenbanken als Potenzial statt Bedrohung

Etwa 900 Journalisten tummeln sich diesmal in der Kulisse von „Schlechte Zeiten! Gute Zeiten!“, wie der Titel der Veranstaltung lautet. Tatsächlich ist wenig von Krise und dafür umso mehr von Chancen die Rede. Und es sind Veranstaltungen wie „Hacking für Journalisten“, „Doktor Data“ und „Open Data für die Recherche nutzen“, die in ihrer Ballung zeigen, wohin die Reise geht: Datenbanken sind die neuen Spielflächen.

Mit eigenen Algorithmen fangen Rechercheure dann auch nicht zuletzt systematisch die Informationen ein, mit denen Nutzer soziale Netzwerke füttern – eine Goldgrube. Der Verein, der für diesen zunehmend technischen Wissenstransfer die Bühne bereitet wie kein anderer Verband in der Republik, versucht sich unterdessen zu stärken.

Am Rande der Tagung fällt der Beschluss, einen professionellen Spendensammler zu installieren, einen „Fundraiser“. Der tut not: Der Finanzbericht für das vergangenen Jahr weist – neben den Zuschüssen für konkrete Projekte –unter dem Posten „Spenden“ lediglich 193 Euro aus. Und die kommen vom Leiter der Geschäftsstelle selbst.

Zurück zu Georg Mascolo. Der fand auch für seine Kollegen mahnende Worte. Hierzulande noch recht frische Recherchehilfen wie das Informationsfreiheitsgesetz seien nämlich kein Instrument nur für Journalisten. „In Amerika sind es längst die NGOs, die die Macht der Informationsfreiheit erkannt haben“, sagt Mascolo. Dort fänden sich bedeutende Enthüllungen nicht mehr nur in Zeitungen, sondern auch auf den Webseiten der Verbände. „Und bei allem Respekt vor Foodwatch und Transparency International: Ich möchte nicht, dass sie unsere Arbeit machen.“

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