Journalistin über Chinas Medien: "Mut ist gut fürs Geschäft"

Einerseits berichten Chinas Medien gerne Kontroverses, andererseits beklagen sie erschwerte Arbeitsbedingungen. Nailene Chou Wiest über Zensur, gute Storys und Katz-und-Maus-Spiele.

Genehme Nachricht: Ein chinesischer Müllsammler liest Texte über eine Rede seines Premiers Wen Jiabao. Bild: ap

Chinesische Medien bringen immer neue Affären ans Licht. Beispiel: Die Zeitschrift Caixin deckte einen Kindesraub-Skandal in der Provinz Hunan auf. Mitarbeiter eines örtlichen Familienplanungsamtes hatten 16 Bauernfamilien das zweite oder dritte Kind weggenommen - zur Strafe für ihren Verstoß gegen die 1-Kind-Politik. Sie gaben die Kleinen als Waisen aus und vermittelten sie gegen eine Gebühr zur Adoption ins Ausland. Zensieren die chinesischen Behörden weniger streng als früher, fragten wir die Medienexpertin Nailene Chou Wiest.

taz: Frau Chou, Chinas Zeitungen sind voller Artikel über Bestechungsskandale, Bergwerksunglücke und andere Probleme. Wird die Presse freier?

Nailene Chou Wiest: Nein. Aber die Medien haben inzwischen eine beachtliche Geschicklichkeit darin entwickelt, sich den Anschein von Offenheit zu geben. Bei genauem Hinschauen erkennt man, dass gewisse Themen erlaubt sind und andere vollständig tabu.

Berichte über Korruption sind also erlaubt?

Ja, aber nur über Skandale auf unterer Ebene. Geht es höher hinauf, dürfen die Medien nur solche Fälle aufgreifen, die von der Regierung zuvor freigegeben wurden. Das alles bedeutet keineswegs, dass ein Journalist sich für die Geschäfte eines hochrangigen Funktionärs interessieren darf - auch wenn weithin bekannt ist, dass er Dreck am Stecken hat. Es gibt einige wenige einflussreiche Zeitschriften, die weiter gehen dürfen als andere, aber nicht viel.

Die Journalistin, 63, hat lange Zeit für Reuters und die Hongkonger South China Morning Post über China berichtet. Seit vier Jahren unterrichtet sie am Institut für Wirtschaftsjournalismus in Peking.

Sind die Zensoren heute aktiver als früher?

Gewiss. Die Lage wird schlechter. Diese Verschärfung hat vor sieben oder acht Jahren begonnen. Die Behörden fürchten sich nicht so sehr davor, dass irgendein großes Problem in China zu Unruhen wie in Arabien führen könnte. Sie haben vielmehr Angst, dass sich aus irgendeinem der zahlreichen kleineren Konflikte im Land ganz plötzlich ein Flächenbrand massiver Unzufriedenheit entwickeln könnte. Deshalb beobachten sie die Diskussionen in den Medien und im Internet genau. Sobald ein Thema ihrer Ansicht nach zu heiß debattiert wird, beenden sie es von einem Moment zum anderen. So war es zum Beispiel im Fall von Li Gang.

Dessen Sohn hatte eine Frau mit dem Auto überfahren und sagte, man könne ihm nichts anhaben, weil sein Vater ein hoher örtlichen Funktionär sei.

Ja, das brachte die Leute sehr auf, sie sahen darin ein Beispiel für die Arroganz der Macht. Die Behörden ließen die Debatten in den Zeitungen und im Internet eine Weile zu - aber jetzt ist es vorbei. Es ist nicht mehr möglich, Artikel zu diesem Thema zu veröffentlichen.

Woher wissen die Redaktionen, wann Schluss ist?

Es gibt keine Vorzensur, man muss die Artikel nicht vorlegen, bevor sie in den Druck oder ins Netz gehen. Die Redakteure erhalten die Anweisungen von der Propagandaabteilung - meistens per Telefon, manchmal werden sie zu einer Versammlung einberufen. Einige der mutigeren Publikationen versuchen, ganz schnell mit ihren Artikeln rauszukommen, noch bevor die Direktiven eingetroffen sind. Sie wissen, dass die Behörden sie nur selten zwingen werden, die ausgelieferten Exemplare zurückzuholen, weil das die Neugier der Öffentlichkeit auf heikle Inhalte nur noch steigern würde.

Ein Katz-und-Maus-Spiel.

Chinas Journalisten müssen dieses Spiel spielen, wenn sie ihre Geschichten in die Öffentlichkeit bringen wollen. Einer meiner Bekannten, ein Redakteur, hat mir gesagt, dass er mittlerweile so viele "Selbstkritiken" geschrieben habe, dass er solche schriftlichen Eingeständnisse innerhalb von fünf Minuten heraushauen kann. Manche Direktiven der Propagandaabteilungen sind ganz wohlmeinend: Während der nationalen "Woche des Bücherlesens" zum Beispiel bitten sie darum, Artikel über gute Bücher und die Nützlichkeit des Lesens zu veröffentlichen

Und wie funktioniert das im Internet?

Sie kontrollieren die Nachrichtenportale. Eine Regel lautet: Wer die Direktiven nicht befolgt, darf seine Nachrichtenseite 24 Stunden lang nicht aktualisieren. Das ist tödlich fürs Geschäft. Und aus den Mikroblogs filtern sie heikle Begriffe heraus. Für Leute wie mich - und wahrscheinlich 80 Prozent der Chinesen, die technisch nicht so fit sind -, ist das ziemlich effektiv. Meine Studenten wissen natürlich alle, wie man die "Great Firewall" der Zensur überwindet. Viele von ihnen haben eigene Facebookseiten, obwohl Facebook in China blockiert ist

Was macht in China eine gute Zeitung aus?

Gute Blätter bringen Geschichten, über die man im ganzen Land spricht - und das nicht nur einmal. Davon gibt es gar nicht wenige. Ein Beispiel ist die Geschichte über ein jungverheiratete Paar, das zu Hause Pornos anschaute. Die Polizei drang in ihre Wohnung ein und konfiszierte die DVDs. Darüber haben alle gesprochen, und es entwickelte sich zu einer Debatte über die Privatsphäre und die Macht der Polizei.

Ein Grund für mutige Berichterstattung ist das Geld: Die Leser geben ihre schwer verdienten Renminbi lieber für Artikel aus, die nicht dasselbe bringen wie alle anderen. Mutigere Redaktionen finden mehr Leser und damit auch mehr Werbekunden. Das ist gut fürs Geschäft, funktioniert allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt: Sobald die Medien richtig profitabel sind, werden sie wieder vorsichtiger.

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