Journalistin über Equal Pay: „Profit auf Kosten von Frauen“

Frauen verdienen in denselben Jobs 7 Prozent weniger. Lohndiskriminierung, sagt die Autorin Birte Meier. Dabei könnte die Ampel dagegen vorgehen.

Porträt von Birte Meier

Kämpft seit Jahren gegen ungleiche Löhne von Frauen und Männern: Birte Meier Foto: Julia Baier

wochentaz: Frau Meier, weltweit verdienen Frauen weniger als Männer. Auf Deutschland bezogen sprechen Sie „vom größten Lohnraub in der Geschichte der Bundesrepublik“. Das klingt drastisch.

Birte Meier: Aber so ist es. Unternehmen erzielen ihre Profite auch auf Kosten von Frauen. Betrachtet man alle hierzulande gezahlten Löhne und Gehälter, geteilt durch die Arbeitszeiten, kommen wir auf einen Unterschied von 18 Prozent zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten. Es wäre für die Firmen ein Kostenschock, wenn sie plötzlich gleiche Löhne für gleiche Arbeit zahlen würden.

Sie haben ein Buch zum Thema geschrieben und schildern darin einen solchen Kostenschock, es geht um die schottische Stadt Glasgow.

Ja, dort wurde es richtig teuer. Städtische Mitarbeiterinnen klagten gegen die Kommune, ihren Arbeitgeber, und erkämpften einen Vergleich. Und was passierte? Um die Frauen auszahlen zu können, musste die Stadt Glasgow ihre Konzerthalle verscherbeln. Das zeigt schon, um welche Summen es da geht. Und wie Frauenarbeit als günstiger Kostenfaktor in Budgets einkalkuliert wird.

Wenn es um die Lohnlücke geht, heißt es oft: Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit oder setzen Jahre aus, wegen der Kinder, deshalb verdienen sie insgesamt weniger.

Da ist tatsächlich etwas dran. Bei den genannten 18 Prozent sprechen wir von der „unbereinigten Lohnlücke“: Oft wählen Frauen andere Berufe als Männer, Jobs, die generell schlechter bezahlt sind, außerdem sind die Führungsetagen mehrheitlich männlich. Rechnet man diese Faktoren heraus, bleibt die „bereinigte Lohnlücke“ übrig, und die beträgt immer noch 7 Prozent. Hier haben wir es dann mit dem zu tun, was nicht nur ich als „Lohndiskriminierung“ bezeichne.

Sie schreiben: Die berühmten 18 Prozent sind eine statistische Größe – die Lohndiskriminierung ist eine individuelle Rechtsverletzung.

Genau. Einfacher gesagt: Für ein gutes Drittel der Lohnlücke finden sich keinerlei sachliche Gründe. Die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen das. Es ist ein Skandal.

„Diskriminierung“, das klingt nach einem Minderheitenproblem.

Oh ja. Wenn es um den Kampf für gleiche Gehälter geht, denken viele, dass sich da nur ein paar „Karrierefrauen“ aufregen und für ihre Extraboni kämpfen. Das ist wirklich haarsträubend. Denn in den späten 1970ern kämpften beispielsweise die „Heinze-Frauen“ für gleiche Bezahlung, sie waren Angestellte einer Fototechnikfirma. Später waren es Arbeiterinnen beim Schuhhersteller Birkenstock und aus den Keksfabriken von Bahlsen, es kommt auch bei Versicherungen vor und im Finanzwesen, zieht sich durch alle Branchen.

Zwischen der Frau im Niedriglohnsektor und der Managerin besteht aber doch ein Unterschied.

Selbstverständlich. Nichtweiße Frauen, Frauen mit Kindern und trans* Frauen tragen ein höheres Risiko, auch dazu gibt es harte Zahlen. Es geht aber nicht darum, die eine gegen die andere auszuspielen, sondern um Solidarität. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Wir kämpfen für ein Rechtsgut, das nicht nur auf europäischer Ebene seit 1957 festgeschrieben, sondern auch im Grundgesetz verankert ist.

Bieten Tarifverträge Schutz?

Auf dem Papier ja. Aber, abgesehen davon, dass viele heute außerhalb des geregelten Tarifgefüges arbeiten, bleibt die Frage: Wie wird ein Tarifvertrag angewandt? Wie viele Berufsjahre werden mir anerkannt? Habe ich eine leitende Funktion oder nur halb oder gar nicht? In Österreich gab es einen Prozess um die Definition „gleichwertige Tätigkeiten“ innerhalb eines Tarifvertrags: Bestehen für die Heilmasseurin und den Gärtner nicht vergleichbare Ausbildungs- und Leistungsanforderungen? Dann müssen sie auch gleichbezahlt werden. Oft geschieht die Ungleichbehandlung gar nicht mit Absicht.

Die „Jeanne d’Arc der Lohnlücke“

So bezeichnet Birte Meier sich selbstironisch in ihrem Buch „Equal Pay Now! Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer“. Die 1971 geborene Journalistin war lange für das ZDF tätig. Seit 2015 streitet sie mit dem Sender für gleiche Bezahlung für alle Geschlechter. Mittler­weile arbeitet sie für RTL News.

Der Equal Pay Day

Der Equal Pay Day wird als internationaler Aktionstag in über 20 Ländern begangen. Er markiert das Datum, bis zu dem Frauen, statistisch gesehen, ohne Lohn gearbeitet haben – wenn man ihr Einkommen mit dem von Männern vergleicht. Bei seiner Einführung 2008 in Deutschland lag er auf dem 15. April. Je weiter die Lohnlücke sich schließt, desto früher im Kalender findet er statt. In diesem Jahr fällt er auf den 7. März, einen Tag vor dem Internationalen Frauentag.

Sondern?

Wir stellen uns immer vor: Diskriminierung, das ist der böse Chef, der fiese Patriarch. Der Chef denkt aber vielleicht: „Hey, dieser Typ erinnert mich an meinen Onkel, der hat auch ’ne ganze Familie zu versorgen.“ Also gönnt er ihm eine höhere Lohngruppe. Der männliche Mitarbeiter ist ihm instinktiv näher als die alleinerziehende Angestellte. Da wirken tief eingegrabene Geschlechterbilder.

Auch Frauen sind davon nicht frei. Bascha Mika, ehemalige taz-Chefredakteurin, schrieb ein Buch über „Die Feigheit der Frauen“, die Autorin Mirna Funk polterte: Frauen sollten aufhören zu „jammern“ und härter verhandeln.

Ja, solche Dinge bekam auch ich schon oft zu hören. Ein Arbeitsrichter sagte mal zu mir, es herrsche eben der Kapitalismus, da gelte die Vertragsfreiheit – nach dem Motto: Selbst schuld!

Tatsächlich führen Sie einen Rechtsstreit mit dem ZDF. Als Journalistin waren Sie für das Magazin „Frontal 21“ tätig. Bis Sie feststellten, dass ihre männlichen Kollegen viel mehr verdienten. Sie klagten dagegen, im Netz kursierte der Hashtag #IchbinBirteMeier.

Ein Zeichen dafür, wie viele Frauen ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Das ZDF bot Ihnen einen Aufhebungsvertrag mit einer Summe in sechsstelliger Höhe an. Sie sollten gehen und schweigen. Sie lehnten ab.

Mittlerweile zieht sich mein Prozess schon acht Jahre, ein Hin und Her zwischen allen Instanzen. Das muss man sich leisten können, sowohl finanziell als auch, was das Nervenkostüm angeht. Es gab Vorstreiterinnen, die bedeutende Präzedenzurteile erstritten haben – auch deshalb kämpfe ich öffentlich. Ganz wichtig war eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von 2021: Seither muss die Klägerin nicht mehr belegen, dass sie wegen ihres Geschlechts weniger verdient. Jetzt muss der beklagte Arbeitgeber Gründe für die Ungleichbehandlung vorbringen. Juristisch nennt man das „Beweislastumkehr“. Ein echter Game Changer.

Wie geht eine Frau am besten gegen ungleiche Bezahlung vor?

Seit 2017 gilt das Entgelttransparenzgesetz, allerdings nur für Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten. Dort habe ich das Recht, mich nach den Gehältern männlicher Kollegen mit vergleichbaren Aufgaben in vergleichbarer Position zu erkundigen. Stelle ich fest, dass ich weniger bekomme, springen sofort juristische Fristen an: Spätestens zwei Monate nachdem ich von der Ungleichheit weiß, muss ich meinen Arbeitgeber darüber in Kenntnis setzen, und nach drei Monaten muss ich Klage einreichen, wenn er nicht von sich aus reagiert. Das Unternehmen hat eine Rechtsabteilung – die einzelne Frau bloß eine Rechtsschutzversicherung, wenn überhaupt. Deswegen scheuen viele diesen Weg, auch aus Angst vor Schikane.

Die Frau wird zu einer Art Whistle­blowerin im Betrieb.

Und macht sich damit nicht gerade beliebt. „Du diskriminierst Frauen“ – das lässt kein Vorgesetzter auf sich sitzen. Schnell gilt die Frau, die sich beschwert, als zänkisch oder zickig. Seit #MeToo hat sich das Klima aber zum Positiven geändert. Das Bewusstsein für Sexismus ist gestiegen, auch bei Gehaltsfragen. Inzwischen unterstützen viele Männer ihre Kolleginnen, denn es geht ihnen auf den Senkel, wenn sie sehen, wie ihre Partnerinnen, Töchter oder Enkelinnen sich mit Strukturen auseinandersetzen müssen, die angeblich längst nicht mehr existieren.

Der Politik werfen Sie „Arbeitsverweigerung“ vor. Was fordern Sie von der Ampelregierung?

Es wäre ganz einfach: Die EU hat unlängst eine neue Transparenzrichtlinie entworfen, einen echten Equal-Pay-Turbo. Da stehen wahnsinnig tolle Sachen drin: Schweigevereinbarungen über die Gehälter in Betrieben werden verboten. Interne Lohnlücken müssen den Behörden gemeldet werden, vom Unternehmen aus. Frauen können bis zu drei Jahre rückwirkend ihr Gehalt einklagen. Firmen, die gegen das Lohngleichheitsprinzip verstoßen, werden bestraft. Die Ampel könnte all das ruckzuck umsetzen, wenn sie wollte.

Man hört, die Arbeitgeber jaulen.

Klar, die haben mit dem Geheule schon angefangen, warnen vor einem „Bürokratie-Tsunami“. Da muss die Ampel eben hart bleiben. Es geht um ein Grundrecht! Immerhin findet sich im Koalitionsvertrag ein guter Ansatz: Geplant ist die sogenannte Prozessstandschaft – eine Art Verbandsklagerecht. Das würde bedeuten, dass künftig eine Gewerkschaft oder ein Antidiskriminierungsverband anstelle einer einzelnen Frau vor Gericht zieht. Das wäre ein riesiger Fortschritt. Es ist eine Zumutung, dass Frauen bisher alleine gegen die strukturell vorhandene Ungerechtigkeit kämpfen müssen, jede für sich.

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