Jubiläum des Fernseh-Tierfilms: Sielmanns junge Erben

In "Expeditionen ins Tierreich" hat Heinz Sielmann einst onkelhaft die Tierwelt erklärt. Die jungen Naturfilmer von heute setzen in ihren aufwändigen Abenteuern auf High-Tech und Geduld.

Auge in Auge mit seltenen Tieren: Der Riesenfischuhu ist fast ausgestorben, Szene aus "Wildes Russland". Bild: NDR/Henry Mix

"Ich habe Tierfilme auch in einem Alter gesehen, als das als uncool galt", sagt Oliver Goetzl. Das ist einerseits nicht verwunderlich, denn heute ist der 42-Jährige selbst Tierfilmer, er hat zum Beispiel an zwei Projekten des NDR mitgewirkt, die demnächst ins Kino kommen: an der Afrika-Dokumentation "Serengeti" und an neuen Version der TV-Serie "Wildes Russland". Der Weg dahin war in gewisser Weise vorgezeichnet. "Dass ich Biologie studieren würde, wusste ich, bevor ich das Wort kannte", sagt er. "Ich hatte als Kind immer Regenwürmer in den Hosentaschen".

Ein Platz für Tiere

Andererseits fällt es einem schwer, sich vorzustellen, dass er in den 90er Jahren stets vor dem Fernseher gesessen hat, wenn "Expeditionen ins Tierreich" zu sehen war. 1988 hat Goetzl in Hamburg nämlich das Gitarrenpop-Label Marsh-Marigold gegründet, außerdem singt er seit 1995 in der Band Knabenkraut, bei der er auch am Schlagzeug saß. Man wird nicht viele Indie-Musiker und Labelbetreiber finden, die Heinz Sielmann, der "Expeditionen ins Tierreich" 1960 erstmals auf den Bildschirm brachte, als einen Held ihrer Jugend bezeichnen würden.

In diesen Tagen feiert der NDR das 50-jährige Jubiläum des Klassikers. Aus diesem Anlass zeigt er am Mittwoch in seinem Dritten Programm "50 Jahre Expeditionen ins Tierreich. Pannen, Preise und Premieren". Heiko de Groot, selbst Tierfilmer, gibt in dieser Dokumentation einen Überblick darüber, wie Naturfilme entstehen, wie sich das Genre entwickelt hat und wie stark Sielmann die heutige Generation der Macher beeinflusst. Tags darauf folgt eine Best-of-Zusammenstellung.

Der 2006 verstorbene Sielmann und bereits 1987 verstorbene Bernhard Grzimek ("Ein Platz für Tiere") prägen immer noch das öffentliche Bild des Tierfilmers. Die Filmemacher von heute haben indes wenig gemeinsam mit diesen mal onkelhaft, mal großväterlich wirkenden Figuren. Das gilt nicht nur für Goetzl, den Indielabel-Typen. Was viele heutige Tierfilmer eint, sagt er, sei eine jugendliche Vergangenheit als Naturschutzaktivist. Eine solche Phase hatte er auch, bevor es mit der Musik richtig losging. Seinen heutigen Partner Ivo Nörenberg, mit dem er die Firma Gulo Film Productions betreibt, kennt Goetzl aus einer Kindergruppe beim Bund für Vogelschutz.

Als Teenager musste der Labelchef wegen seines Engagements für die Umwelt sogar einmal ein paar Stunden in polizeilichem Gewahrsam verbringen. Im holsteinischen Örtchen Hemmingstedt hatte er mit einigen anderen Kämpfern das Gelände einer Ölraffinerie des Texaco-Konzerns besetzt, der sich in den zweiten Hälfte der 80er Jahre massiven Protesten und Boykottaufrufen von Naturschützern ausgesetzt sah. Das Unternehmen, das heute DEA heißt, plante im norddeutschen Wattenmeer eine Bohrplattform - und realisierte sie schließlich auch.

Das Engagement von einst spiegelt sich heute noch in der Arbeitsintensität von Gulo Film Productions wider. "Wir sind Verrückte", sagt Goetzl selbst. Für einen Film der Serie "Wildes Skandinavien", die demnächst ausgestrahlt wird, absolvierten Nörenberg und er 750 Drehtage. Im Budget waren aber nur 100 vorgesehen. "Ein Tierfilmer lebt Monate oder sogar ein Jahr lang vor Ort, viel länger als der Autor einer politischen Dokumentation", sagt Jörn Röver, der Chef der Firma NDR Naturfilm. Bei der sechsteiligen Reihe "Wildes Russland" - nominiert für die Wildscreen Awards, die am 13. Oktober in Bristol vergeben werden und als Oscars der Tierfilmbranche gelten - dauerten die Dreharbeiten mehr als drei Jahre. "Tierfilme kann man allenfalls mit Langzeitreportagen vergleichen, die über ein, zwei Jahre gedreht werden", ergänzt Röver.

Finanzieren lässt sich so etwas nur mit zahlreichen internationalen Koproduktionspartnern. An "Wildes Russland" zum Beispiel waren auf deutscher Seite der NDR und der WDR beteiligt und aus dem Ausland National Geographic, Animal Planet und der walisische Sender S4C. Bei rund einem Dutzend Projekten haben Rövers Leute auch mit der BBC-Tochter National History Unit kooperiert.

Obwohl der Aufwand, den Tierfilmer betreiben, beispiellos ist: Halbwegs bekannt werden nur jene Kollegen, die vor allem als Presenter im Einsatz sind, etwa Andreas Kieling und Dirk Steffens, die Gesichter des Naturfilms im ZDF. Wenn Goetzl wildfremden Menschen gegenüber erwähnt, dass er Tierfilmer sei, lassen sich die Reaktionen in zwei Kategorien einordnen. Die einen erwähnen den Namen Heinz Sielmann, was Goetzl als jemand, der seit Kindheitstagen Fan ist, natürlich in Ordnung findet. Eine andere Reaktion nervt ihn allerdings. "Die Serien sehe ich nachmittags immer so gern", sagt der eine oder andere.

Gemeint sind die bewegten Tierbilder, die seit rund einem halben Jahrzehnt unter Titeln wie "Elefant, Tiger & Co." jeden Werktag um 16.10 Uhr in der ARD zu sehen sind. Aber die wiederum haben überhaupt nichts zu tun mit dem potenziell kinotauglichen Fernsehen, für das Nörenberg und er stehen. Denn Tierfilm hat sich in den letzten Jahren in zwei Richtungen entwickelt: An dem einen Ende des Genres findet man State-of the-art-Bilder, gedreht mit HD- und Superzeitlupen-Kameras, am anderen Zoodokus, geprägt von Handkamera-Ästhetik.

Eine Staffel aus jedem Zoo

"Elefant, Tiger & Co.", produziert vom MDR, begann 2005 in der ARD. Die Serie war zuvor schon zwei Jahre im Dritten Programm des ostdeutschen Senders gelaufen. Andere Landesrundfunkanstalten legten nach, 15 verschiedene Serien sind seitdem entstanden, lediglich der kleine Saarländische Rundfunk hat noch keine für das Gemeinschaftsprogramm geliefert. Jeder Sender produziert eine Staffel aus einem Zoo in seiner Region, dann ist eine andere Anstalt dran. Eineinhalb bis im besten Fall zwei Millionen Menschen wollen das regelmäßig sehen, das bedeutet einen Marktanteil zwischen 12 und 14 Prozent. Für die ARD ist das in der Zeit zwischen 16 und 17 Uhr ein erfreuliches Ergebnis.

Die Themen der Tierpark-Soaps, deren Helden vor allem Tierpfleger sind, wiederholen sich zwangsläufig, die Fußpflege von Elefanten etwa hat man schon in vielen Variationen gesehen. So entsteht Trash mit öffentlich-rechtlichem Flair, geeignet für die ganze Familie. Populär sind diese Sendungen aus einem ähnlichen Grund wie Formate aus den Kategorien Dokusoaps, Reality-Fernsehen oder Factual Entertainment. So unterschiedlich die im Einzelfall auch sein mögen, nicht zuletzt unter qualitativen Aspekten: Sie funktionieren, weil es viele Zuschauer gibt, die den Alltag anderer Leute unterhaltsamer finden als fast alles andere - auch wenn er in den entsprechenden Formaten stark inszeniert sein mag.

Dass die Zooserie im Ersten quasi zur Marke werden konnte, liegt auch an der einfachen Bauart der Titel ("Eisbär, Affe & Co.", "Nashorn, Zebra & Co"). Derzeit läuft "Papageien, Palmen & Co." - 40 Folgen, die in der ersten Jahreshälfte im Loro Parque auf Teneriffa entstanden sind. Auch das ZDF mischt auf diesem Markt mit, hier gibt es mittlerweile sechs verschiedene Formate ("Berliner Schnauzen", "Dresdner Schnauzen", "Nürnberger Schnauzen" und so weiter).

Tierpark-Soaps würde er "nie machen", sagt Oliver Goetzl. Das ist für ihn genauso unvorstellbar, wie auf Marsh-Marigold eine Platte herauszubringen, die ihm nicht gefällt. Sowohl Musik und Tierfilm betreibe er stets "mit der gleichen Euphorie". Manchmal lässt sich sogar beides verbinden. Die Band Cats On Fire lernte er beispielsweise kennen, als er mit Ivo Nörenberg in Finnland einen Film über Vielfraße drehte. Später nahm die Band aus Skandinavien für Goetzls Label ihr erstes Album auf.

Vom Vielfraß zur Musik

Auch bei der Entstehungsgeschichte der kommenden Platte von Knabenkraut spielt Goetzls Arbeit als Tierfilmer zumindest mittelbar eine Rolle. Das Projekt ließ sich bisher nicht abschließen, weil er monatelang in Russland und Skandinavien unterwegs war. Die Mitmusiker haben 2006 alles aufgenommen, 2008 hat der Labelchef dann seine Parts gesungen und 2009 endlich die Platte abgemischt. Demnächst steht das Mastering an. Im Frühjahr 2011 schließlich wird sie auf Marsh-Marigold, das Goetzl mittlerweile mit einem anderen Knabenkraut-Musiker gemeinsam betreibt, erscheinen. Es wird also ein Popalbum sein, an dem über einen noch längeren Zeitraum gearbeitet wurde als an einem seiner Tierfilme. In der Regel ist es ja eigentlich umgekehrt

Mittwoch, 22.09.2010, 20:15 Uhr, NDR: "50 Jahre Expeditionen ins Tierreich. Pannen, Preise und Premieren"

Donnerstag, 23.09.2010, 21 Uhr, NDR: "Das Beste aus Expeditionen ins Tierreich"

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