Jürgen Ehlers, Geologe und Krimi-Autor: "Abgründe sind überall"

Jürgen Ehlers ist Eiszeitexperte und schreibt historische Kriminalromane. An den realen Fällen reizt ihn, dass der Handlungsablauf keinem Krimi-Schema folgt. Und dass es wie in der Geologie darum geht, Zusammenhänge zu rekonstruieren.

Schürft gerne tief: Der Eisexperte und Krimi-Autor Jürgen Ehlers. Bild: Ulrike Schmidt

taz: Herr Ehlers, Sie haben mir um 6 Uhr morgens auf meine Mail geantwortet! Was machen Sie denn um diese Uhrzeit schon in der Umweltbehörde?

Jürgen Ehlers: Ich bin sogar schon um 5.30 Uhr da! Niemand stört, das Telefon klingelt nicht und man kann ganz in Ruhe arbeiten.

Und offenbar haben Sie so früh Muße, nachzusehen, auf welchem Untergrund die taz in Altona steht.

Ja, das habe ich hier im Amt schnell nachgesehen, ich dachte, es interessiert Sie vielleicht. Wahrscheinlich haben Sie in Altona etwa 16 Meter eiszeitliche Grundmoräne unter sich, also Geschiebelehm und Geschiebemergel und darunter dann Schmelzwassersande.

Schauen Sie immer nach, auf welchem Untergrund jemand sitzt, wenn Sie sich mit ihm treffen wollen?

Nein, aber als Eiszeitforscher interessiert mich das eben. Alle Spuren der Eiszeit interessieren mich. Wenn ich zum Beispiel auf Sylt am Strand bin, dann gucke ich zur falschen Seite - nämlich zum Kliff und nicht aufs Meer.

Müssten Sie Ihre Urlaube nicht eigentlich eher in den Bergen verbringen?

63, arbeitet seit 1978 beim Geologischen Landesamt Hamburg, das heute zur Umweltbehörde gehört. Seine Spezialgebiete sind die Geologie des Eiszeitalters und die Küstenforschung und er hatte einen Lehrauftrag an der Uni Bremen.

Der gebürtige Hamburger schreibt Sachbücher und Kurzgeschichten, von denen er viele in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht hat.

2005 erschien sein erster Kriminalroman "Mitgegangen". 2006 bekam er für seine Kriminalerzählung "Weltspartag in Hamminkeln" den Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte Kurzgeschichte.

Wegen der Abgründe meinen Sie? Ich bin nicht schwindelfrei. Menschliche Abgründe ertrage ich leichter als steile Felshänge. Und die Vergletscherung der Alpen reizt mich auch nicht besonders. Da sind die Gletscher der Eiszeit eben die Berge runter bis an den Alpenrand gelaufen, dann liegen geblieben und fertig. Das ist relativ klar rekonstruierbar. Hier im Norden liegen die Dinge komplizierter, und es macht mehr Mühe, die verschiedenen Eisvorstöße gegeneinander abzugrenzen.

Wie wurde Ihre Leidenschaft für die Eiszeit denn geweckt?

Im Studium, und zwar relativ spät. Für mich war immer klar, dass ich Deutsch studiere und Lehrer werde. Und als Lehrer braucht man ein zweites Fach, und ich dachte, Erdkunde ist einfach, das nehme ich. Dann kam die Sache mit der Geologie. Ich hatte Seminare bei dem damaligen Leiter des Geologischen Landesamtes, mit ihm waren wir in Baugruben unterwegs und haben die eiszeitlichen Ablagerungen vor Ort in Augenschein genommen. Das hat mir gefallen, und da habe ich gesagt, Germanistik lasse ich mal und mache das Diplom in Geographie. Außerdem glaube ich, dass ich kein guter Lehrer geworden wäre. Ich bin nicht gelassen genug.

Sie haben dann 1978 im Geologischen Landesamt, also der heutigen Umweltbehörde, angefangen und geben dort bis heute Auskunft über die Untergründe der Stadt, wenn jemand beispielsweise bauen möchte. Sehr treu.

Naja, ich habe Familie, es ist eine sehr sichere Stelle, wir sind ein nettes Team und es gibt keinen Grund, da auszuscheren.

Offenbar doch, sonst müssten Sie sich ja nicht in Ihrer Freizeit mit menschlichen Abgründen beschäftigen.

Ja, das ist so ein Hobby! Geschrieben habe ich immer gern. Das ging schon mit sechs Jahren los, bevor ich richtig schreiben konnte. Es gibt seitenweise Texte von mir, die ich mit Buntstiften verfasst habe, jedes Wort in einer anderen Farbe, sozusagen in Lautschrift ohne Rücksicht auf die Rechtschreibung.

Worüber haben Sie geschrieben?

Über die Hühner. Wir hatten damals Hühner. Aber wenn Sie die Texte lesen, merken Sie gar nicht, dass von Hühnern die Rede ist. Sie agieren wie Menschen, die irgendwelche Abenteuer bestehen. Verbrechen spielten damals noch keine Rolle.

Und wie sind Sie zu den Krimis gekommen?

Durch Lesen. Das fing an mit einem verregneten Urlaub im Harz. In unserer Pension standen Bücher von Edgar Wallace und Agatha Christie. Die habe ich alle gelesen. Später kamen dann deutsche Autoren dazu. Hansjörg Martin und Horst Bieber zum Beispiel. Und schließlich habe ich gedacht: Das kann ich auch. Ich schreibe auch einen Krimi. Es hat aber Jahre gedauert, bis ich es wirklich konnte.

Später sind Sie dann bei historischen Krimis gelandet?

Am Anfang wollte ich das nicht, vor allem wegen der vielen schlechten Beispiele. Wenn man die Handlung seines Krimis zum Beispiel in das Mittelalter verlegt, dann funktioniert das einfach nicht. Die Figur eines Detektivs ist in der damaligen Welt einfach unvorstellbar. Hinzu kommt, dass die Rekonstruktion der Lebensumstände äußerst schwierig ist. Man macht viele Fehler. Da habe ich gedacht, ich bleibe besser in der Gegenwart.

Aber?

Aber dann kam eine Gelegenheit, die ich nicht auslassen mochte. Bei den Kurzkrimis ist es ja so, dass man die nicht auf gut Glück für den Stapel schreibt, sondern dass es irgendein Projekt gibt, an dem man sich beteiligen will. Das nächste Projekt, bei dem ich mitmache, ist eine Anthologie über Haare: "Waschen, schneiden, umlegen". Und dann muss man sich dazu was einfallen lassen. Das Projekt, das mich zu den historischen Krimis brachte, war eine englische Anthologie "Murder through the Ages", für die ich mir eine Geschichte ausgedacht habe, die in Hamburg während der Zeit der Cholera spielt. Und ich glaube, sie ist ganz gut gelungen. Jedenfalls wurde sie abgedruckt.

Seitdem nehmen Sie reale Fälle als Grundlage für Ihre Krimis. Wieso?

Was mich an den realen Fällen reizt, ist, dass der Handlungsablauf keinem bestimmten Schema folgt. Er ist anders, als man das in einem Krimi erwartet. Das heißt, die zweite Leiche kommt nicht auf Seite 50. Vielleicht gibt es überhaupt keine zweite Leiche. Die meisten Autoren haben Tabus, die nicht gebrochen werden dürfen. Kinder kommen nicht ums Leben. Oder Tiere. Daran halte ich mich nicht. In meinem letzten Buch stirbt zum Beispiel jemand, den wir gerade lieb gewonnen haben. Im wirklichen Leben ist alles möglich.

Aber die realen Geschichten brauchen fiktive Elemente, damit der Krimi-Leser bekommt, was er gewohnt ist.

Er bekommt eine Mischung aus Realität und Fiktion. Bei meinem letzten Buch "In deinem schönen Leibe", das im Nazi-Hamburg der 30er Jahre spielt, hatte ich nur zwei Quellen - ohne Fiktion kommt man da natürlich nicht weit. Und für mein nächstes Buch, das Anfang des Zweiten Weltkrieg spielen wird, ist die Vorlage auch recht dünn, das ist einfach nur ein Mord. Da steckt keine dramatische Geschichte dahinter. Aber natürlich wird es jede Menge Drama geben.

Woher kommt Ihre Leidenschaft für Abgründe?

Abgründe sind einfach da. Überall. Man muss sie nur sehen wollen. Das kann unbequem sein. Und: Krimi funktioniert eben.

Sie schreiben aber nicht bloß Krimis, weil die sich gut verkaufen lassen.

Nein, nein, das macht schon Spaß, den Leser ein bisschen zu provozieren. Außerdem gefällt mir die Arbeitsweise eines Krimiautors - und es gibt natürlich eine Ähnlichkeit zu den geologischen Arbeiten. Es ist in beiden Fällen so, dass man aus Indizien die Zusammenhänge rekonstruieren muss. In der Geologie geht es darum, herauszufinden, woher das Eis gekommen ist und wenn man einen historischen Krimi schreibt, geht es darum, anhand der überlieferten Fakten herauszufinden, was sich abgespielt haben könnte und warum das so war.

Haben Sie bei Ihrer Arbeit für die Umweltbehörde schon mal Inspiration für eine Geschichte gefunden?

Nein, bisher nicht. Aber vielleicht kommt das ja noch. Vielleicht heute, ich muss noch nach Langenfelde, da hat sich im Garten eines Hauses ein tiefes Loch aufgetan und ich muss mir das mal ansehen. Es könnte der Keller einer alten Ziegelei sein! Oder einfach nur alter Bauschutt, in dem sich ein Hohlraum gebildet hat. Aber wenn eine Leiche in dem Loch steckt, dann werde ich da sicher eine Geschichte draus machen.

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