Jugendliche in Hannover: iPhone 6 und faule Pflaumen

Was denken Jugendliche über die Gesellschaft? Wie gehen sie mit Rassismus um? Wir waren an einer Berufsschule in Hannover.

Diskussion am runden Tisch: Wie stellen sich die Berufsschüler*innen ihre Gesellschaft vor? Bild: Burhan Yassin

von MALAIKA RIVUZUMWAMI

Rassismus ist allgegenwärtig, auch in der jungen Generation. Ausgrenzungen und Anfeindungen gehören scheinbar ebenso an den Berufsschulen zum Alltag. Genügend Stoff für taz.meinland, um nach Hannover zu reisen und an der Berufsbildenden Schule 2 mit den Auszubildenden zu diskutieren.

Mit dem Blick auf ihr Smartphone, einem eher gelangweilten Gesichtsausdruck und einem zwar netten, aber auffordernden Lächeln ihrer Lehrer*innen betraten die meisten Schüler*innen den Raum. Offenbar wünschen sich viele die Pausenglocke mehr herbei, als eine Tageszeitung aus Berlin, die mit ihnen über das Thema Rassismus diskutieren will.

Der runde Tisch in der Mitte scheint zudem mehr abschreckend, als einladend zu wirken. Kurz vor Veranstaltungsbeginn ist der Tisch zwar fast vollständig besetzt, die jungen Männer dominieren jedoch. Die Damen im Raum scheuen sich: erst nach längerem Bitten, Gelächter und Beifall von den Mitschüler*innen setzt sich schließlich eine weitere junge Frau auf den letzten freien Stuhl. Während der Veranstaltung bewiesen sie dann: gegen die Platzhirsche hatten sie einiges zu sagen und erhielten auch noch Unterstützung aus dem Publikum.

53 Nationen, 53 Meinungen?

Die Einladung nach Hannover kam von Seiten der Schüler*innen, die uns Anfang des Jahres innerhalb ihres Projektes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ in der Rudi-Dutschke-Straße besuchten.

Jugendliche aus 53 verschiedenen Nationen gehen auf die Berufsbildende Schule. Noch befinden sie sich mitten in ihrer Ausbildung. Doch was kommt danach? Wie wollen die jungen Menschen, die die zukünftigen Gestalter*innen der Republik sein werden, ihr Land gestalten? Wie wollen sie für die offene Gesellschaft innerhalb und außerhalb ihres Schulgeländes eintreten?

Einerseits versteh ich AfD-Wähler schon. Anderseits kann man sie nicht alle in einen Topf werfen.“

Fragen und Themen, die an diesem Vormittag im Restaurant der Schule besprochen werden. Beim Thema offene Gesellschaft sind sie sich am Tisch einig: ein Leben miteinander, nicht aneinander vorbei, die Menschen wahrnehmen und akzeptieren. Die Umsetzung dessen, finden viele aber eher schwierig.

Die Flüchtlingskrise, die Umbrüche in Europa, die AfD: Auch an der Berufsschule beschäftigen diese Themen seit Monaten die Lernenden. Dass sie eben nicht, wie oft klischeehaft behauptet wird, alle AfD-Wähler*innen seien, wird deutlich betont. Viele sind der Meinung, dass die AfD gezielt auf Personen zugehe, die im Allgemeinen unzufrieden sind. Deshalb müsse die Politik diese Unzufriedenheit im Land in den Griff bekommen.

Vorurteile gegenüber Geflüchteten

Doch immer wieder wird auch deutlich: sie selbst sind auch nicht zufrieden. Emrah Ulus, als Kind mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland gekommen, sagt: „Einerseits versteh ich AfD-Wähler schon. Aber wenn hier Leute herkommen und Scheiße bauen, dann werde ich auch sauer! Anderseits kann man sie nicht alle in einen Topf werfen. Nur weil eine Pflaume faul ist, sind es nicht alle“.

Pauschalisieren will hier niemand. Die Schüler*innen sind sich wohl bewusst, dass sie ein sehr privilegiertes Leben führen, denn Unterstützung gibt es von allen Seiten, wenn man sie nur annimmt. Während der Veranstaltung sorgt die sogenannte Nafri-Debatte für Streit. Für die einen ist der Begriff „Nafri“ eine unmögliche Aussage und der Beweis, dass Politik und Medien den Hass in Deutschland schürten. Eine weitere Schülerin meint: „Aber wir kürzen doch alles ab. Das stört sonst auch niemanden!“

„Oft höre ich Kollegen rassistische Dinge sagen. Meistens kommt dann die Antwort: Nö, ich mag die einfach nicht.“

„Wenn ich durch die Stadt laufe und Flüchtlinge sehe, die ein iPhone 6 haben, dann wundere ich mich“, gibt ein Schüler aus dem Publikum zu. Die Berufsschüler*innen selbst sind in unserer Gesellschaft mit ihren Berufswünschen nicht sehr angesehen. Fleischer*innen oder Bäcker*innen stehen selbst innerhalb von Jugendgruppen nicht für eine besondere Coolness. Nicht nur erhalten sie oftmals wenig Wertschätzung, sondern auch eine schlechte Bezahlung. So entsteht auch Neid auf andere.

Fake News und Politikverdrossenheit

Rassismus ist ein Thema, sowohl auf dem Schulgelände oder in der Freizeit, als auch in ihren Betrieben: Mitarbeiter*innen aus dem Ausland, die von Vorgesetzten nicht ernst genommen werden und mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Kai Wellhausen, Auszubildender Fleischer, berichtet aus seinem Betrieb: „Oft höre ich Kollegen rassistische Dinge sagen. Dann frage ich: Warum sagst du so etwas? Hast du schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht? Meistens kommt dann einfach die Antwort: Nö, ich mag die einfach nicht.“

Genau diese Berichte machen deutlich: die Vorwürfe sitzen in den Köpfen fest, beschäftigten uns alle. Generationsübergreifend. Einige Schüler*innen geben jedoch auch zu, sich nicht so richtig für Politik zu interessieren. Die wichtigen Dinge schnappen sie zwar auf – doch manche Aussagen machen deutlich, dass sie sie auch ungefiltert weitergeben. So entstehen Meinungen, die auf Fake News aufgebaut sind.

Dass die Medien ein Grund für den steigenden Fremdenhass seien, steht für viele im Raum fest. Denn oft werde gehetzt, würden Unwahrheiten verbreitet oder Geschehnisse nur von einer Seite aus betrachtet.

Mit dem Läuten der Schulglocke ist die Diskussion beendet. Das Thema hat zwar viele zum Sprechen gebracht, doch das Klingeln, das Freiheit verspricht, ist zumindest heute noch lauter als der Wunsch nach einer noch längeren politischen Debatte. Doch taz.meinland möchte im Sommer wieder kommen – ob wir dürfen, überlegt sich die Lehrerschaft noch.