Julia Timoschenko klagt in Straßburg: „Entwürdigende“ Zustände in Haft

Der Straßburger Gerichtshof prüft die Haft und Versorgung der ukrainischen Oppositionsführerin. Um eine Freilassung geht es nicht.

Das Flugblatt ruft zur Befreiung Julia Timoschenkos auf. Bild: dapd

STRASSBURG taz | „Der einzige Grund, warum Julia Timoschenko in Haft sitzt, ist der Versuch, sie aus dem politischen Leben der Ukraine auszuschalten.“ Das sagte ihr Anwalt Sergej Wlassenko vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die ukrainische Regierung bestritt dies.

Julia Timoschenko war 2004 eine Anführerin der Orangenen Revolution der Ukraine und verdrängte dabei den heutigen Präsidenten Viktor Janukowitsch von der Macht. Später war sie mehrere Jahre Premierministerin. Janukowitsch gewann allerdings 2010 die Präsidentschaftswahlen gegen Timoschenko. Seitdem wird die Frau mit dem kunstvoll geflochtenen Haarkranz von der ukrainischen Justiz verfolgt. So wurde sie im Oktober 2011 wegen Amtsmissbrauchs beim Abschluss eines Gasvertrags zu sieben Jahren Haft verurteilt. Weitere Verfahren stehen bevor.

Der Gerichtshof für Menschenrechte nimmt den Fall Timoschenko so ernst, dass er ein beschleunigtes Verfahren anordnete. Bei der Verhandlung ging es aber noch nicht um die strafrechtliche Verurteilung, weil diese noch nicht rechtskräftig ist (vermutlich wird an diesem Mittwoch in Kiew das letztinstanzliche Urteil gesprochen), sondern um die vorangegangene Untersuchungshaft. Die Vorwürfe sind aber die selben.

„Die Inhaftierung Timoschenkos ist politisch motiviert“, betonte Anwalt Wlassenko und berief sich dabei auch auf Einschätzungen von internationalen Gremien wie dem Europäischen Parlament und von amnesty international. „Präsident Janukowitsch will seine wichtigste politische Gegnerin, die Führerin der ukrainischen Opposition, aus dem Weg räumen“, so Wlassenko. Der Regierungsvertreter Nasar Kultschizki erklärte nur pauschal, es gebe „keine Hinweise“ auf politische Ziele der ukrainischen Justiz.

Timoschenkos Klage hat an diesem Punkt gute Chancen. Im Juli hatte bereits Timoschenkos ehemaliger Innenminister Jurij Luzenko in Straßburg einen Erfolg in ähnlicher Sache erzielt. Die gegen ihn angeordnete Untersuchungshaft sei „willkürlich“ gewesen, urteilte der Gerichtshof für Menschenrechte.

Eine große Rolle spielt im Straßburger Verfahren Timoschenkos Gesundheitszustand. Die 51-Jährige, die nicht an der Verhandlung teilnehmen durfte, leidet seit Oktober 2011 unter einem schweren Bandscheibenvorfall. Sie hat Schmerzen, kann kaum gehen und nicht lange sitzen. In Straßburg beschwerte sich ihr Anwalt auch über mangelnde medizinische Versorgung in der Haft. Der Regierungsvertreter warf Timoschenko jedoch vor, den Zustand selbst verschlimmert zu haben, weil sie sich nicht von Gefängnisärzten untersuchen und behandeln ließ. Ihr Anwalt entgegnete: „Wie kann sie Ärzten trauen, die täglich öffentlich erklären, sie sei völlig gesund und simuliere nur“. Inzwischen wird sie nach einem Hungerstreik und auf Vermittlung des Gerichtshofs von deutschen Ärzten in einem zivilen Krankenhaus behandelt.

Als „entwürdigend“ kritisierte Timoschenko in ihrer Klage, dass sie in der Zelle Tag und Nacht von drei Videokameras überwacht werde. Der Regierungsvertreter entgegnete, die Überwachung sei „nicht exzessiv“, denn die Kameras seien abgeschaltet, wenn sie sich wasche, aufs Klo gehe oder von Ärzten untersucht werde. Außerdem würden die Bilder nicht aufgezeichnet, sondern nur von Wärtern beobachtet.

Vierter wichtiger Punkt in Timoschenkos Klage ist der Vorwurf, dass sie bei einem Transport von Sicherheitskräften geschlagen worden sei. Der Transport fand im April überraschend nachts um elf Uhr statt und brachte sie in ein Krankenhaus, das Timoschenko und die deutschen Ärzte für ungeeignet hielten. Deshalb wehrte sich die Gefangene und wurde dann nach Angaben ihres Anwaltes verprügelt. Die Hämatome habe er später mit eigenen Augen gesehen. Der Regierungsvertreter bestritt allerdings eine Gewaltanwendung der Beamten. Entweder habe sich Timoschenko die blauen Flecken selbst zugefügt, oder sie seien Folgen einer Krankheit.

Anwalt Vlassenko zeigte in seinem zeitweilig pathetischen Vortrag, dass er nicht nur Jurist, sondern auch Parlamentsabgeordneter (von Timoschenkos Vaterlandspartei) ist. Doch auch seine Worte sollten mit Vorsicht behandelt werden. So behauptete er, Timoschenko sei in Haft völlig isoliert und habe keinen Kontakt zu ihren Verwandten und Bekannten. Allerdings hatte vor dem Gerichtsaal Jewgenia Timoschenko, die Tochter der Inhaftierten berichtet, dass sie ihre Mutter wöchentlich besuche.

Das Straßburger Urteil wird erst in den kommenden Wochen oder Monaten verkündet. Der Gerichtshof kann – wenn er eine Verletzung der Menschenrechte feststellt – die Ukraine allerdings nur zu Schadensersatz verurteilen. Eine Freilassung Timoschenkos könnte er nicht anordnen.

Die Tochter Timoschenkos hofft, dass das Urteil noch vor der Parlamentswahl am 28.Oktober bekannt gegeben wird.

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