Junge Liberale schreiben FDP-Buch: Warme Worte statt Eiskaffee

Marktradikal und kaltherzig - so will der Parteinachwuchs nicht gesehen werden. In einem Buch bewerben die Jungen die FDP als Hort wahrer "Solidarität" und fordern "Fairness".

Philipp Rösler will das Profil der FDP schärfen. Bild: dpa

Flirten kann uns viel lehren. Amerikanische Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass es ganz einfach ist, vom umgarnten Gegenüber für sympathisch gehalten zu werden. Wer sich beim Gespräch an einem heißen Milchkaffee festhält, wirke auf Beobachter weit warmherziger als jemand, der sich an einen kalten Eiskaffee klammert. Diesen Trick haben Philipp Rösler und Christian Lindner begriffen. Die beiden Nachwuchshoffnungen der FDP übertragen diese Einsicht übers Zwischenmenschliche gerade auf die Politik.

Denn schneidend kalt wirkt auf viele Wähler bislang, was die FDP nicht erst seit der großen Krise von sich gibt. Oder besser gesagt: was ihr omnipräsenter Vorsitzender Guido Westerwelle nimmermüde verkündet. Keine Rettung für Opel soll es geben, eine zeitweise Verstaatlichung der Hypo Real Estate sei ein "Sündenfall", Sünde wider die Marktwirtschaft, und überhaupt seien alle Parteien außer der FDP weichliche Sozialdemokraten. Zwar beschert diese klare Kante der Partei in Umfragen und Landtagswahlen ungeahnte Höhenflüge, doch trotzdem ist so manchem Nachwuchspolitiker nicht ganz wohl bei diesem Image. Nun wollen die wichtigsten von ihnen dies ändern. Weg vom Eis-, hin zum Milchkaffee.

Allen voran Christian Lindner und Philipp Rösler. Lindner, 30 Jahre alt, hat große Augen, ein sehr breites Lächeln und eine schlanke Figur. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, schrieben Journalisten nicht ausdauernd, dass Parteifreunde ihn ob seines zarten und jungenhaften Äußeren gern "Bambi" nennen. Das - vielleicht nicht nur freundlich gemeinte - Kosewort lenkt davon ab, dass Lindner einer der kommenden Männer in der FDP ist: Als stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Generalsekretär in Nordrhein-Westfalen ist er fest verankert im weitaus mächtigsten FDP-Landesverband. An dem konnte in den vergangenen Jahrzehnten kein Parteichef vorbeiregieren. Mit Vorliebe demonstrierte das der Münsteraner Jürgen Möllemann gegenüber dem Bonner Guido Westerwelle. Nach der Wahl will Lindner in den Bundestag wechseln.

Philipp Rösler, 35, Doktor der Medizin, ist nicht nur seit Kurzem Wirtschaftsminister in Niedersachsen, sondern für die Partei auch willkommener Nachweis dessen, dass sich Anstrengung lohnt, unabhängig von der Herkunft. Rösler ist in Vietnam geboren, wurde von einem Ehepaar aus Deutschland adoptiert und nach dessen Trennung allein vom Vater aufgezogen, einem Bundeswehroffizier.

Gemeinsam haben Rösler und Lindner gerade einen Sammelband veröffentlicht, in dem junge FDP-Politiker und befreundete Publizisten schreiben, was ihnen zum Lieblingsbegriff ihrer Partei so einfällt: "Freiheit: gefühlt - gedacht - gelebt. Liberale Beiträge zu einer Wertediskussion". Die Macher verstehen ihr Buch als Anregung für ein neues FDP-Grundsatzprogramm. Nach der Wahl soll es einen Nachfolger geben für die zwölf Jahre alten "Wiesbadener Grundsätze". In ihnen ist auch von "sozialer Gerechtigkeit" die Rede, die es zu bewahren gelte.

Da fängt für Lindner das Problem schon an: "Soziale Gerechtigkeit", was soll das sein? Mit diesem Begriff lasse sich "jeder Eingriff in Markt und Gesellschaft gegen Einwände verteidigen, knallhart vertretene Gruppeninteressen können gegen Widerspruch immunisiert werden und kaum ein Vorwurf wiegt schwerer als der, eine Politik verstoße gegen die ,soziale Gerechtigkeit'. Kurzum: Hinter diesem Wort stecke lediglich "quasireligiöser Aberglaube". Beim Schreiben dieser Worte, mögen Leser denken, trank Lindner vermutlich gerade einen leckeren Eiskaffee.

Wie passt das zum Ziel der Imagekampagne, die FDP sozialer, mitfühlender erscheinen zu lassen? Koherausgeber Rösler selbst schreibt, "Solidarität" werde "eher selten als liberaler Wert erkannt. Dabei ist Solidarität in ihrem ursprünglichen Sinne ein urliberaler Wert."

Die Antwort ist aus Sicht von Rösler und Lindner ganz einfach: Alle anderen verstehen unter "Freiheit" und "Solidarität" das Falsche. Den beiden geht es nicht um einen Wandel der FDP. Sondern um einen Wandel des Blicks aller anderen auf die FDP.

Und mit diesem Kniff bestreiten die Jung-FDPler das Kunststück, fast 360 Buchseiten lang das bekannte FDP-Programm als warmherzig zu präsentieren. Sie müssen sich Guido Westerwelle als einen Milchkaffee trinkenden Menschen vorstellen.

Und das geht so: Statt von "sozialer" solle von "fairer Marktwirtschaft" die Rede sein. Den Begriff "Fairness", fordert Lindner, solle die FDP offensiv für sich reklamieren. Dann klappts auch mit dem Umdeklarieren der bekannten Parteiziele. Die Grenze zu "legitimer Verteilungspolitik" sieht Lindner dort, "wo Leistungsunterschiede nivelliert (werden), Leistungsbereitschaft zerstört und Anerkennung durch Neid ersetzt wird". Und das passiert anscheinend überall: "Insbesondere" das System der sozialen Sicherung solle weitgehend aufbauen "auf dem Äquivalenzprinzip von Leistung und Gegenleistung beziehungsweise Anspruch". Nur noch "die medizinisch unbedingt notwendigen Leistungen", fordert FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr in seinem Beitrag, sollten im gesetzlich fixierten Leistungskatalog stehen - das Ende des Solidarprinzips. Vermögen und Erbschaften will Lindner "unangetastet" lassen, unter anderem mit dem zumindest originellen Argument: "Die Besteuerung des Todes ist inhuman."

Am Freitag stellten Lindner und Rösler ihr Buch in einer Kneipe in Berlin-Mitte vor. Die Sonne schien durchs Fenster. Gereicht wurde kaltes Mineralwasser.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.