Junge Torhüter im Profifußball: Mit 16 fängt das Leben an

Früher hieß es, ein Keeper brauche Zeit zum Reifen. Heute drängen sogar Jugendliche in den Kasten: Gianluigi Donnarumma und Alban Lafont.

Gianluigi Donnarumma beim Abwurf

Spielt beim AC Mailand: Gianluigi Donnarumma Foto: Reuters

Überliefert ist vom jungen Torwart Gianluigi Donnarumma aus der Hafenstadt Castellammare di Stabia am Golf von Neapel die Geschichte, dass einst seine Mutter seine Geburtsurkunde stets mit zu den Jugendspielen schleppte, um Zweifler im gegnerischen Team davon zu überzeugen, dass ihr jetzt 1,96 Meter großer Sprössling wirklich so jung sei. Donnarumma bewegte sich nie im Normbereich.

Wer im italienischen Fußball seinen Weg verfolgte, der genau wie der seines neun Jahre älteren Bruders Antonio früh in die Milan-Akademie führte, der ist nicht überrascht: Seit dem achten Spieltag hütet Donnarumma wie selbstverständlich das Tor des ruhmreichen AC Mailand. Dass die Rot-Schwarzen in dieser Saison eine schwere Sinnkrise durchmachen, ist am wenigsten dem Tormann anzulasten, der bei seinem Debüt Ende Oktober erst 16 Jahre und 242 Tage alt war. Nie war ein Torwart einer Startelf in Italiens höchster Spielklasse jünger.

„Ich schaue auf die Leistung, nicht auf das Alter“, erklärte Trainer Siniša Mihajlović eine spektakuläre Personalentscheidung, die den stolzen spanischen Ballfänger Diego López, früher bei Real Madrid, den Stammplatz kostete. Donnarumma verkörpert die vom Coach zitierte „Zukunft des italienischen Fußballs“, weil der Junge, der in Anlehnung an seinen Jahrgang die 99 auf dem Rücken trägt, seinen Job mit erstaunlicher Gelassenheit erledigt.

Gigio bleibt cool

„Ich wollte immer Torwart werden. Und seit meiner Kindheit bin ich Milan-Fan. Ich habe nie einen anderen Traum gehabt, als in dieser Mannschaft auf dem Feld zu stehen“, teilte er stolz mit. „Für die Öffentlichkeit ist er eine Überraschung, für uns aber keineswegs“, erklärte sein Manager Mino Raiola, der auch Zlatan Ibrahimović vertritt. Seine Einschätzung: „Er ist ein sehr bescheidener Junge, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht.“ Gerade mit dem Medienhype sei Donnarumma bereits bestens fertig geworden.

Die Mitspieler rufen ihn „Gigio“ und haben sich daran gewöhnt, von einem Schlussmann angewiesen zu werden, der nicht volljährig ist. Dessen Vorbild ist Gianluigi Buffon, die Institution unter Italiens Ballfängern. Längst wird darüber spekuliert, ob Donnarumma nicht direkt die alterslos erscheinende Legende in der Squadra Azzurra beerben könnte. Der viermalige Welttorhüter debütierte übrigens als 19-Jähriger in der Nationalmannschaft, und das galt einst als Sensation.

Derzeit haben die 18 Stamm­tor­hüter der Bundesliga ein Durchschnittsalter von 26,5 Jahren

Nun braucht es ein anderes Alter, um für Aufsehen zu sorgen. So wie Alban Lafont, der sich aktuell in der französischen Ligue 1 einen Stammplatz eroberte. Anfang Dezember debütierte das Torwarttalent für den FC Toulouse mit 16 Jahren, 10 Monaten und 5 Tagen. Seine Team siegte 3:0. Danach gewann der in Burkina Faso geborene Keeper gleich noch mal zu null. Lafont rutschte in die Liste der jüngsten Spieler der Saison, die in den fünf europäischen Topligen zum Einsatz kamen. Angeführt wird dieses Ranking von West Hams Mittelfeldspieler Reece Oxford (16 Jahre, 7 Monaten und 24 Tage).

„Mit 16 Jahren ganz oben mitzuspielen ist schon eine Ausnahme, die aber wiederum einmal mehr die enorme Entwicklung in der Torwartausbildung zeigt“, sagt Klaus Thomforde, Torwarttrainer der deutschen U21-Nationalmannschaft. Im Torwartland Deutschland ist die frühere Weisheit, dass die Nummer eins reifen müsse wie guter Wein, um zu einer gewissen Güteklasse zu gelangen, ja seit Längerem außer Kraft gesetzt. Derzeit haben die 18 Stammtorhüter in der Bundesliga ein Durchschnittsalter von 26,5 Jahren. 2008 lag es noch bei fast 29 Jahren. Nur noch drei Keeper – Diego Benaglio, Ramazan Özcan und Rune Jarstein – sind älter als 30.

Alban Lafont

Spielt beim FC Toulouse: Alban Lafont

Gefahren der Überforderung

Die Ballfänger werden immer jünger, glaubt Thomforde, weil in den Nachwuchsleistungszentren noch strukturierter gearbeitet werde. „Was vor fünf, sechs Jahren im U16-Bereich noch mit Mängeln behaftet war, machen die U14- oder U15-Torhüter heute viel besser“, findet der 53-Jährige und lobt die deutsche Nachwuchsförderung. „Wer gut ausgebildet ist, sein Handwerk also beherrscht, der hat in diesem Alter automatisch ein größeres Selbstbewusstsein.“

Gleichwohl warnt Thomforde, der in seinem Heimatverein St. Pauli das Torwarttraining von der U16 bis zur U19 leitet, auch vor Gefahren der Überforderung. „Wir sollten uns darüber Gedanken machen, ob es richtig ist, einen jungen Menschen so viel Druck auszusetzen. Die Position bringt viel Verantwortung mit sich. Deshalb muss man sich auch die Frage stellen: Hat der Junge schon die gefestigte Persönlichkeit, um auch mit Misserfolgen umgehen zu können?“

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Diesen Beweis müssen die 16-jährigen Hoffnungsträger aus Italien und Frankreich tatsächlich erst noch erbringen.

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