Junge Visionen: Mit der Ringbahn in die Zukunft

Dachgärten zur Selbstversorgung, Ruhezonen mit Handyverbot: Mit einer Ausstellung in der Ringbahn stellen Jugendliche des Projekts Yoofooz ihre Visionen von Berlin im Jahr 2021 vor

Verdutzt bleibt ein Mann in der Tür des S-Bahnwaggons stehen. "Tschuldigung", fragt er. "Ist das hier ne normale Bahn?" Sein Blick wandert von rechts nach links. Die Scheiben des Wagens sind bunt beklebt, davor sind kleine Modelle von Gebäuden aufgestellt, an den Wänden pappen Post-its. "Ja, ja, wir halten an jeder Station", erwidert Nisha von Carnap. "Willkommen im future-shuttle!".

Normal ist an dieser S-Bahn nur der Fahrplan. Wer am Samstag nichtsahnend in die Ringbahn stieg, fand sich in der Zukunft wieder: Nisha von Carnap, Projektleiterin der "Yoofooz", der jungen Futuristen, und ihr Team präsentierten ihre Visionen von Berlin in 20 Jahren. Die Jugendlichen füllten einen Zug mit Modellen ihrer Wunsch-Stadt.

Ihre Vision scheint paradisisch: Auf der Grundlage eines neuen Gemeinschaftsgefühls entwickeln sich in der Gesellschaft völlig neue Strukturen. Zusammen entwickeln die Bewohner umweltschonende Lösungen für das Transportwesen und die Lebensmittelversorgung. Dachgärten machen die Stadtbewohner zu Selbstversorgern. Ruhezonen, in denen weder Laptops noch Handys erlaubt sind, stoppen das Burn-Out-Syndrom. Das Beamen ist längst erfunden, der Flughafen Tempelhof ist ein riesiges Exploratorium, wo jeder Wissenschaftlern bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen kann. Hologramme ermöglichen Studienreisen in ferne Länder, ohne sich vom Fleck zu bewegen. In der Schule unterrichten Athleten Sport, zum Kunstunterricht geht es in das Atelier eines Künstlers. Noten gibt es keine mehr, es werden "Karma-Kredits" für Sozialverhalten vergeben.

Diese Zukunftsvisionen hat das Yoofooz-Team im vergangenen halben Jahr mit der Unterstützung des Vereins Berlin21 entwickelt. Auch die Ergebnisse ihrer Zukunftsumfrage (taz berichtete) unter Jugendlichen flossen mit ein. "Das hier ist der passende Ort, um unsere Ideen zu präsentieren", sagt von Carnap. "Es geht uns um die Zukunft, und die ist unendlich und lässt sich nicht stoppen. Wie die Ringbahn, die immer in Bewegung ist."

Während manche Fahrgäste sich vor dem Trubel in einer Ecke hinter ihrer Zeitung verstecken, schauen die meisten sich interessiert um. Die Yoofooz haben noch viele andere Projekte eingeladen, im future-shuttle mitzufahren. Am Kopf des Zuges hat sich die Tanzgruppe "Locomotiva do Frevo" in Stellung gebracht um ihren Capoeira-ähnlichen Tanz zu performen. Einige Sitzreihen weiter ist ein Trommelwirbel zu hören. Das Freie Theaterwerk Gavroche hat ein Podest aufgebaut. "Irgendjemand hier mit einem besonderen Talent?", fragt die Ansagerin. Für eine akrobatische Einlage an der Mittelstange erntet eine junge Frau Jubelrufe. Betont gelangweilt mustern drei Jungs das Geschehen, sie sitzen breitbeinig in einem Viererabteil. Als sie von einer Clownin kostenlose Umarmungen angeboten bekommen, grinsen sie. Aufzustehen trauen sie sich nicht.

Was sonst noch auf uns zukommen könnte, treibt Künstlerin Amy Klement um. "Ich mache jetzt Spermien", sagt sie und strickt an einer großen roten weiter. Ihr Kunstprojekt erinnert daran, dass immer mehr Männer unfruchtbar werden. Durch Umweltgifte und künstliches Östrogen in vielen Kunststoffen produzieren sie zu wenige Spermien. "Vielleicht müssen wir Frauen in der Zukunft die Spermien machen", sagt sie. Schon fast konventionell erscheint dagegen das Projekt von ehemaligen Studenten der TU Berlin. Mit einer mobilen Bluetooth-Station in einem hohen weißen Quader übertragen sie eine Minipräsentation der Yoofooz-Vision auf die Handys der Besucher.

All die Denkanstöße sollen die Betrachter zu Handelnden machen. "Wir wollen den Jugendlichen zeigen: Ihr habt eine Zukunft, ihr könnt sie gestalten", sagt von Carnap. Doch das von Yoofooz entwickelte Szenario hat einen Haken: Damit in der Gesellschaft ein Umdenken stattfinden kann, so glaubt das Team, muss erst eine Katastrophe geschehen. "Ohne dass irgendwas passiert, wird sich nichts ändern", glaubt von Carnap. "Die Menschen sind zu sehr daran gewohnt, alles zu haben." In ihrer Zukunftsvision zerstört deshalb ein starker elektromagnetischer Impuls alle elektronischen Geräte. Zwangsweise ihrer Transport- und Kommunikationsmittel beraubt, so prophezeien es die Jugendlichen, spielen Unterschiede zwischen den Menschen keine Rolle mehr. Die Gesellschaft müsse einen Schritt zurück machen, um sich dann neu zu erfinden. Die Vision von der Katastrophe als Neustart sei natürlich ein Extrem, erklärt von Carnap. "Aber wir brauchen eine Veränderung in den Köpfen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.