Junger Afghane bekommt Entschädigung: Allein im „Dschungel“ von Calais

Frankreichs Behörden müssen einem afghanischen Kind Schmerzensgeld zahlen. Sie hatten ihn unbetreut in einem Flüchtlingscamp gelassen.

Drei junge Geflüchtete laufen über eine unbefestigte Straße an verfallenen Hütten vorbei

Die Menschen im Flüchtlingscamp am Rande von Calais leben unter elenden Bedingungen Foto: Björn Kietzmann

STRAßBURG taz | Ein afghanischer Junge, der sich monatelang ohne staatliche Betreuung im berüchtigten Flüchtlingslager „Dschungel“ bei Calais durchschlagen musste, hatte nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Erfolg. Er erhält eine Entschädigung von 15.000 Euro.

Jamil Khan flüchtete nach EGMR-Angaben 2015 als Elfjähriger aus Afghanistan. Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen kam er im Spätsommer 2015 in Frankreich an. Weil er aber weiter nach Großbritannien wollte, siedelte er sich in dem provisorischen Flüchtlingscamp „Dschungel“ bei Calais an. Nachdem NGOs die Behörden auf die vielen unbegleiteten Minderjährigen aufmerksam gemacht hatten, wurden diese im Januar 2016 gezählt, aber nicht identifiziert.

Auf Vermittlung der Organisation La Cabane Juridique ordnete ein Richter am 23. Februar an, dass das inzwischen 12-jährige Kind in einem Kinderschutzzentrum untergebracht werden sollte. Dazu kam es aber nicht. Die französischen Behörden sagten, sie wussten nicht, wo sich Khan aufhielt.

Anfang März 2016 wurde der südliche Teil des Dschungels von den Behörden aufgelöst. Dabei wurde auch die Hütte von Khan zerstört. Dieser blieb aber weiter unbetreut. Etwa am 20. März 2016 gelang Jamil Khan die Reise durch den Eurotunnel nach England, wo er von Jugendhilfe-Behörden in Obhut genommen wurde. Er lebt heute in Birmingham.

Eine „erniedrigende Behandlung“

Der Straßburger Gerichtshof stellte fest, dass Khan als unbegleitetes Flüchtlingskind zu den verletzlichsten Gruppen der Gesellschaft gehörte. Der halbjährige Aufenthalt im „Dschungel“ sei für ein Kind völlig unangemessen gewesen, so der EGMR, die Unsicherheit über seine Situation angesichts seines Alters „inakzeptabel“.

Die Richter räumten ein, dass der Umgang mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen für die Behörden schwierig war. Manche lehnten Hilfe generell ab, andere wie Khan waren zwar bereit, Hilfe anzunehmen, versuchten aber gleichzeitig, weiterhin nach England zu kommen. Dennoch hätten die französischen Behörden nicht das getan, was von ihnen erwartet werden konnte, so die Richter. Schließlich hätten sie nicht einmal die Kinder im Dschungel identifiziert, obwohl diese doch auffällig gewesen seien.

Die Richter wiesen auch das französische Argument zurück, Khan habe sich nicht bei den Behörden gemeldet. Das habe nicht von ihm erwartet werden können, zumal er nur schlecht Französisch sprach. Auch die NGO und sein Anwalt seien nicht verpflichtet gewesen, Khan zu dem Kinderschutzzentrum zu bringen. Vielmehr wäre es Aufgabe der französischen Behörden gewesen, das Kind zu finden und zu betreuen.

Im Ergebnis stellte die siebenköpfige EGMR-Kammer unter Vorsitz der deutschen Richterin Angelika Nußberger fest, dass die mangelnde Betreuung des Jungen einer „erniedrigenden Behandlung“ gleichkam. Khan bekommt nun 15.000 Euro Schmerzensgeld. Frankreich kann dagegen allerdings noch Rechtsmittel einlegen.

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