Just another David-Lynch-Konferenz: Der „Schizo-Blick“

Wie dechiffriert man einen Geschichtenerzähler, dessen Filme sich klaren Narrativen verweigern? Eine Berliner Tagung zum heterogenen Werk David Lynchs.

Hochdekorierter Filmemacher, profaner Werbefilmer, ausgestellter Maler, Internetkünstler, Cartoonist, Möbeldesigner usw: David Lynch. Bild: reuters

Im Grunde fehlte nur das charakteristische Schwarz-Weiß-Muster auf dem Parkett. Ansonsten fühlte man sich mit den kräftig gestrichenen Wänden, den dicken, roten Vorhängen und massigen Sesseln im Roten Salon der Berliner Volksbühne ohne Weiteres in den Red Room aus David Lynchs TV-Serie „Twin Peaks“ versetzt, in dem Agent Cooper auf den mysteriösen Zwerg trifft, der vorwärts spricht, indem er rückwärts spricht.

Ein passenderer Ort für eine internationale Konferenz zu David Lynchs die Grenzen von Gattungen, Genres und Produktionszusammenhängen weit überschreitendes Werk ist kaum denkbar.

Dass die ein oder andere abstrakte Theorie aus den höheren Etagen akademischer Denkgebäude manchem Besucher ebenfalls vorwärts auf rückwärts vorkam, liegt wohl schon in der Natur des Gegenstands begründet. „Mind-Game“-Filme nennt der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser jene insbesondere auch von Lynch bediente Sorte Film, die mit einer verkanteten Erzählarchitektur sowie einer nach außen fragmentarischen Form zum spekulativen bis analytischen Diskurs geradezu provoziert. Weniger seriöse Exegeten nennen es einfach „Mindfuck“.

Just another David-Lynch-Konferenz also? Schon – und doch wieder nicht: Zwar bietet sich Lynchs Werk für eine film- und kulturwissenschaftliche Forschung als Gegenstand oder illustrierender Stichwortgeber geradezu an. Lynch-Tagungen aber finden selten statt, die letzte war vor drei Jahren in der Tate Modern in London.

Schönheit und Verfall

Den in Berlin bis vergangenen Samstag versammelten internationalen Referenten gelang es vor allem, die heterogenen Aspekte von Lynchs Arbeiten herauszustellen, die sich klaren kategoriellen Zuweisungen erfolgreich entziehen: Bei Lynch trifft Hollywood auf das Erbe europäischer Filmkunst, Hochglanz-Gloss auf groteske Körperbilder, Anmut und Schönheit vermengen sich mit zelebriertem Verfall, und die Soap Opera bietet Anlass zur Kunst.

Seine Filme erzählen, während sie sich klaren Narrativen verweigern. Und wie überhaupt Lynch selbst kategorisieren? Hochdekorierter Filmemacher, profaner Werbefilmer, ausgestellter Maler, obskurantischer Internetkünstler, Cartoonist, Möbeldesigner, zuletzt sogar Musiker, Botschafter obskurer Meditationsesoterik? Einen „sauber“ sortier- und festlegbaren Lynch jedenfalls gibt es nicht – seine Position markiert ein Sowohl-als-auch, auch bei ihm geht vorwärts immer nur rückwärts.

Spuren ins „Unsaubere“ legten zahlreiche Vorträge: Die Filmwissenschaftlerin Martha P. Nochimson etwa strukturierte Lynchs Filmoeuvre in einer zwar leicht esoterischen Synthese aus vedischer Mystik und quantenmechanischen Implikationen in eine erste und, ab „Lost Highway“, eine zweite Phase, die sich mit je einem sicheren und einem unsicheren Blick auf eine als materiell instabil begriffene Welt befassen.

Americana-Ästhetik

In einem close reading von Lynchs Tierszenen untersuchte der Kulturwissenschaftler Christian Kassung nicht nur den Signalcharakter insbesondere von Hunden bei Lynch, sondern auch das bei Lynch komplex verhandelte Verhältnis zwischen Menschen und Tieren, das sich als Krise einer streng anthropozentrisch gezogenen Grenze begreifen lässt: „Die Eulen sind nicht, was sie scheinen“, wie eine unter Lynch-Aficionados als Bonmot verwendete Sentenz in „Twin Peaks“ lautet. Ausgehend von Lynchs Konzeptcartoon „Angriest Dog in the World“, legte der Kultursoziologe Thomas Becker schließlich das ästhetische Verfahren des körperlosen „Schizo-Blicks“ frei, der Lynchs Filme strukturiert.

Streng genommen 15 Jahre nach David Lynchs letzter genuin für das Kino konzipierter Arbeit – „Mulholland Drive“ (2001) ist ursprünglich ein Fernsehfilm, „Inland Empire“ (2006) ein großer, auf Urlaubs-Digicam gedrehter Abschied vom Kinolook – rückt der Fokus auch vom Filmemacher Lynch allmählich ab, wie einige Vorträge zeigten: So legte der Kunsthistoriker Arito Sakai Grundlagen für eine Ästhetik von David Lynchs Malereien und verwies dabei insbesondere auf Francis Bacon als maßgeblichen Einfluss.

Alexandra von Stosch sensibilisierte im Rückgriff auf John Cage für das bei Lynch oft instabile Verhältnis von Raum und Zeit. Der Filmkritiker Daniel Kothenschulte stürzte sich unterdessen für eine ästhetische Ahnenforschung kopfüber ins Material und kehrte mit reicher Beute in Form der Fotografien von Walker Evans und Diane Arbus sowie des Films „Die Nacht des Jägers“ zurück, die Lynch offenkundig als Steinbruch seiner „Americana-Ästhetik“ dienen.

Zu den „Americana“ bei Lynch gehört auch der wider alle europäische Kaffeehauskultur hemdsärmelig so bezeichnete „verdammt gute Kaffee“, den Agent Cooper in „Twin Peaks“ literweise trinkt. Lynchs eigener Kaffeekonsum ist Legende. Dass auf der Tagung dann alsbald ausgerechnet beim Kaffee Notstand herrschte, ist von daher eigentlich ein Fauxpas – oder die Aficionados im Saal hatten es ihrem Meister einfach nachgetan.

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