Justiz in Polen: Nächster Richter geschasst

Ein bekannter regierungskritischer Richter verliert in Polen seine Immunität. Jetzt droht ihm ein Berufsverbot oder eine Haftstrafe.

Igor Tuleya

Igor Tuleya, einer der bekanntesten Richter Polens, verliert seine Immunität Foto: Jakub Kaminski/imago

WARSCHAU taz | Igor Tuleya ist einer der bekanntesten Richter Polens. Seit Jahren setzt sich der heute 50-Jährige für den Erhalt des Rechtsstaats in Polen ein. Damit verärgerte er mehr als einmal die regierenden Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Am Mittwoch hob die von ebenjenen Nationalpopulisten neu geschaffene Disziplinarkammer am Obersten Gericht die Immunität von Tuleya als Richter auf, so dass ein reguläres Strafverfahren gegen ihn eröffnet werden kann.

Laut Urteil der Disziplinarkammer darf Tuleya ab sofort nicht mehr an Gerichtsprozessen teilnehmen, auch seine Bezüge wurden bereits um 20 Prozent gekürzt. Zur Last gelegt werden soll ihm, dass er ein für die PiS unangenehmes Verfahren für die Medien öffnete, statt es unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Dabei war es um mutmaßlich rechtswidriges Verhalten von PiS-Abgeordneten bei einer wichtigen Abstimmung gegangen.

Das Problem: Das Oberste Gericht, an dem die neue Disziplinarkammer eingerichtet wurde, entschied schon im Dezember 2019, dass die Disziplinarkammer kein Gericht nach polnischem und EU-Recht sei und ihre Urteile daher keine Rechtskraft besäßen.

Folgenlose Rüge

Im April 2020 forderte der Europäische Gerichtshof in einer einstweiligen Verfügung die Richter an der Disziplinarkammer auf, ihre Arbeit so lange ruhen zu lassen, bis die Legalität ihres Gerichts geklärt sei. Doch die Disziplinar-Richter ignorierten die Anordnung aus Luxemburg und strafen weiter fleißig regierungs- und PiS-kritische Richter ab – bis hin zum Berufsverbot. Zwar rügte die Europäische Kommission im Juni, dass Polen die einstweilige Anordnung des Europäischen Gerichts nicht umsetze, aber Folgen hatte dies für Polen keine.

So soll das auch bleiben, wenn es nach der PiS geht. Anfang der Woche legten die Regierungen von Polen und Ungarn, gegen die mehrere EU-Rechtsstaatsverfahren laufen, ein Veto gegen den neuen siebenjährigen EU-Haushalt sowie das milliardenschwere Corona-Hilfspaket ein.

Polen und Ungarn wollen erreichen, dass der Rechtsstaatsmechanismus, der erstmals die Kürzung von EU-Geldern für offenen Rechtsbruch von EU-Mitgliedern vorsieht, wieder gestrichen wird. Die endgültige Abstimmung über das Veto steht erst Anfang Dezember bei einem erneuten EU-Gipfel an.

Doch schon jetzt zeigt Polen geradezu provokativ, wie wenig es Anordnungen aus dem Europäischen Gericht und Rügen der Europäischen Kommission interessieren. Tuleya soll nun selbst auf der Anklagebank sitzen und könnte mit Berufsverbot oder mehreren Jahren Gefängnis bestraft werden.

Kein Prozess

Ankläger werden PiS-weisungsgebundene Staatsanwälte sein. Auch ihr Chef, der Generalstaatsanwalt und Justizminister Zbigniew Ziobro, war damals dabei gefilmt worden, wie er anscheinend post factum seine Unterschrift auf die Anwesenheitsliste einer Haushaltssitzung der Abgeordnetenkammer setzte.

Ohne eine Mindestanzahl von Abgeordneten wären Sitzung und Abstimmung ungültig gewesen. Zu einem Prozess kam es letztlich nicht, da die Staatsanwälte das Verfahren zweimal niederschlugen.

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