Justiz in Russland: Doch nicht ins Arbeitslager

Ein Blogger wird zu dreieinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt. Er hatte in einer Kirche mit seinem Smartphone „Pokémon Go“ gespielt.

Ruslann Sokolowski verlässt das Gerichtsgebäude in Jekaterinburg

Ruslann Sokolowski verlässt das Gerichtsgebäude in Jekaterinburg Foto: reuters

MOSKAU taz | Ruslan Sokolowskij hat noch einmal Glück gehabt. Ein Gericht in Jekaterinburg im Ural verurteilte den 22jährigen Jurastudenten zu dreieinhalb Jahren Haft auf Bewährung. Zusätzlich muss der junge Blogger noch gemeinnützige Arbeit leisten. Die Richterin fällte ein mildes Urteil. Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Lagerhaft gefordert. Für alle Fälle brachte Sokolowskij ins Gericht schon eine Tasche mit unverzichtbaren Utensilien für die „Zone“ mit. Dahinter verbirgt sich im Russischen das Straflager.

Sokolowskij ist kein jugendlicher Schwerverbrecher. Er mag etwas naiv gewesen sein, als er sich im vergangenen Sommer auf die Jagd nach den bunten PokemonGo-Figuren machte. Russlands Nachrichtenkanal Rossija 24 hatte gewarnt: Wer in Kirchen, Wahlbüros oder fremden Wohnungen nach den virtuellen Monstern suche, müsse mit mehrjähriger Haftstrafe rechnen. Sokolowskijs Glaube an den russischen Rechtsstaat war unterdessen stärker. Er wollte es unbedingt testen und löckte wider den Stachel, räumte er später ein.

Die Jagd begann in Jekaterinburgs „Kathedrale auf dem Blute“. Das Gotteshaus war erst Anfang dieses Jahrhunderts an jener Stelle errichtet worden, wo die Zarenfamilie Nikolaus II. 1918 von den Bolschewiken erschossen wurde.

Sokolowskijs Jagdbeute fiel üppig aus. Nur war einer leider nicht ins Netz gegangen, der Religionsstifter – zugegeben eine Rarität – bedauerte der Student in seinem Video-Blog.

Erstmal Hausarrest

Gleichwohl kursierten auch Gerüchte, dass es Jesus Christus gar nicht gäbe, machte sich der Atheist Libertarist im Netz noch lustig. 300 000 Nutzer folgten Ruslans Youtube-Kanal damals. Bis dahin war er nicht durch ein besonders radikales Engagement aufgefallen.Sollte es strafbar sein, mit einem Smartphone eine Kirche zu betreten? fragte Sikolowskij vor der Aktion rhetorisch.

Die Antwort kam postwendend. Wenige Tage später nahmen Strafverfolger die Fährte auf. Zunächst wurde er im September unter Hausarrest gestellt, ab Oktober dann ins Untersuchungsgefängnis verlegt, da er zu hause zu aktiv geworden war.

Vor Gericht wurde ihm vorgeworfen, gegen drei Gesetze verstoßen zu haben. Die Jagd nach den Pokemon in der Kirche auf dem Blute wertete das Gericht als „Verletzung religiöser Gefühle von Gläubigen“.

Die Überprüfung früherer Videos hatte laut Ermittlungsbehörde ergeben, dass Sokolowskij darin Hass und Feindschaft schüre. Von drei der insgesamt 150 Videos war die Rede, auf zweien seien eindeutig „Anzeichen von Extremismus“ zu erkennen. Verdacht auf Extremismus wird zum Universalinstrument gegen jede Form von Widerspruch.

Geringe Rauschgiftspuren

Alles in allem war die strafrechtliche Ausbeute der Fahnder nicht zufriedenstellend. Wie in solchen Fällen nicht selten versuchten die Ermittler den Tatbestand noch etwas aufzupeppen. Zwischenzeitlich wollte das Ermittlungskomitee gar noch geringe Rauschgiftspuren entdeckt haben. Strafrechtlich seien diese jedoch nicht relevant: doch sie würden die „Persönlichkeit des jungen Mannes negativ charakterisieren“.

Zu guter Letzt stießen die Ermittler noch auf einen Stift mit eingebauter Kamera. Für „verdeckte Informationsbeschaffung“, so die Behörde. Der Besitz von Spionagewerkzeugen ist in Russland verboten. Der Beschuldigte kannte diese Waffe angeblich nicht. Die Menschenrechtsorganisation Memorial erklärte Sokolowskij bereits zum politischen Gefangenen.

„Wenn es jemanden nicht gefällt, kann er ja wegziehen“, hatte die Staatsanwaltschaft vor dem Plädoyer angeregt. Äußerungen von Missachtungen gegenüber dem Staat dürften nicht toleriert werden.

Schon das geforderte Strafmaß von dreieinhalb Jahren machte den Jurastudenten sprachlos. Vor der Urteilsverkündung sagte er:“ Vielleicht bin ich ein Idiot, aber ich bin sicher kein Extremist“. Darüber entscheidet in Russland inzwischen wieder der Staat.

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