Justiz: Das Warten hat jetzt seinen Preis

Bei überlangen Gerichtsverfahren kann künftig Entschädigung eingeklagt werden - ob die Prozesse deswegen auch beschleunigt werden, ist jedoch zweifelhaft

Je größer der Aktenstapel auf dem Schreibtisch des Richters, desto länger meist die Zeit des Wartens auf eine Entscheidung. Bild: Jan Zier

Der Bedarf ist da. Weil: Beispiele überlanger Verfahren gibt es genügend, auch in Bremen. Da ist beispielsweise der Prozess gegen die rechten Hooligans, die 2007 eine Feier von linken Werder-Fans überfallen hatten. Vier Jahre dauerte es, ehe das Amtsgericht dies verhandelte. Da ist ein erschossener türkische Sozialarbeiter und Menschenrechtler, dessen Angehörige sechs Jahre auf ein Verfahren gegen den Schützen warten mussten. Da ist Friedrich Hennemann, der Exvorstandschef des Bremer Vulkan, gegen den – mehr als 15 Jahre nach dem Untergang der Werft – noch immer eine Schadensersatzklage lief und lief und lief. Und so weiter.

Seit kurzem können Betroffene eine Entschädigung einklagen, wenn ein Gerichtsverfahren „unangemessen“ lange gedauert hat, wie es im Gesetz heißt. 1.200 Euro sind dafür als Richtwert vorgesehen, für jedes Jahr der Verzögerung, für körperliche und seelische Belastungen ebenso wie für handfeste materielle Nachteile. Wie lange ein Prozess dauern darf, ist allerdings nicht geregelt. Hintergrund des neuen Gesetzes ist, dass der – auch selbst überlastete – Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg schon seit Jahren von Deutschland einen besseren Schutz vor überlangen Verfahren verlangt. Bei vier von fünf Verurteilungen Deutschlands durch den EGMR geht es um Verzögerungen bei der Justiz.

Einer der ersten in Bremen, der sich auf das neue Gesetz beruft, ist der Anwalt Horst Wesemann. Er vertritt eine Frau, die 2003 mal des Verstoßes gegen das Ausländergesetz beschuldigt wurde – es ging um die Einschleusung von Prostituierten aus Osteuropa. 2004 schon hob das Landgericht den Haftbefehl gegen die Frau auf. Doch es dauerte weitere sieben Jahre – ehe die Entscheidung fiel, doch kein Verfahren zu eröffnen. „Dazwischen ist nichts passiert“, sagt Wesemann. Macht nach seiner Rechnung 9.000 Euro Schadensersatz. Eine entsprechende Klage ist jetzt beim Oberlandesgericht (OLG) anhängig. Wie lange – ist unklar.

Von dem Gesetz betroffen sind prinzipiell alle Verfahren, Straf- ebenso wie Zivilsachen, Arbeits- ebenso wie Verwaltungsgerichte, die Arbeit von RichterInnen ebenso wie jene der StaatsanwältInnen. Voraussetzung für eine Entschädigungsklage ist jedoch immer, dass der Betroffene die Verfahrensdauer zuvor beim jeweiligen Gericht offiziell gerügt hat. Sonst geht der Anspruch auf Entschädigung gleich verloren. „Ob dies zur Beschleunigung beitragen wird, erscheint eher zweifelhaft“, sagt Wesemann.

Während im Bundesjustizministerin von einem „Durchbruch für den Rechtsschutz in Deutschland“ die Rede ist, reagieren Juristen in Bremen bislang eher zurückhaltend. Strafverteidiger Sven Sommerfeldt etwa spricht von einem „stumpfen Schwert“. Die Gerichte könnten zwar gerügt werden – aber nicht verpflichtet, schneller zu arbeiten. RichterInnen sind schließlich unabhängig. Und wenn einer, weil das Strafverfahren gegen ihn Jahre gedauert hat, schon eine mildere Strafe bekam, ist das als Wiedergutmachung bereits „ausreichend“, heißt es im Gerichtsverfassungsgesetz.

„Der Teufel steckt im Detail“, sagt Stephan Haberland, Sprecher des OLG. Die genauen Kriterien des neuen Rechtsschutzes seien noch „weitgehend offen“, und Rechtsprechung dazu gebe es bisher kaum. Wie stark das neue Instrument genutzt wird, ist ebenso unklar wie sein Effekt in der Praxis. Haberland geht davon aus, dass man „nicht zu Unrecht“ hoffe, dass eine Rüge oder gar Klage „den Richter bewegen wird, schneller zu arbeiten“. Nur Anspruch darauf gibt es keinen. Sommerfeldt zumindest hat aber schon mal positive Erfahrungen mit der Rüge gemacht. In einem Falle zumindest sei das Verfahren hernach schneller vorangegangen. In zwei anderen indes nicht.

Bislang gab es „eine Handvoll“ Verzögerungsrügen aufgrund der neuen Regelung, sagt Hans Alexy vom Oberverwaltungsgericht, für Klagen sei es hier noch zu früh. „Wir wissen nicht genau, was auf uns zukommt“, so Alexy. Viele solcher Klagen könnten am Ende ein Argument für mehr Personal sein. Gerade im Bereich der Verwaltungsgerichte sieht Alexy aber nicht nur ein personelles, sondern auch ein „strukturelles Problem“. In Bremen mussten sie bis 2009 immerhin vier Jahre lang Aufgaben der Sozialgerichte gleich mit erledigen. Und leiden an den Folgen zum Teil noch immer.

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